
Prof. em. Achim Albrecht (Westfälische Hochschule)
US-Steuerpolitik als geopolitisches Machtinstrument
Nach „Vergeltungszöllen“ drohen „Rachesteuern“ den Handel mit den USA zu belasten
Was die OECD – mit ausdrücklicher Zustimmung der USA und fast aller Industriestaaten – beschloss, war ein Schritt hin zu relativer Steuergerechtigkeit und entwickelte sich zu einem geopolitischen Konflikt. Global agierende Unternehmen – zuvorderst die US-Tech-Industrie – sollte nicht nur grenzenlos agieren und Profite generieren, sondern auch dort Steuern zahlen, wo sie diese erzielten. Die Republikaner sahen die OECD-Initiative jedoch als unzulässigen Eingriff in die nationale Steuerhoheit sowie als unfaire Abschöpfung amerikanischen Unternehmertums. Insbesondere die 15-prozentige Mindestdigitalsteuer, die von der EU, Kanada und anderen Staaten aufgegriffen wurde, sei eine quasi enteignende Maßnahme, die das Steueraufkommen der USA angreife und US-Konzerne unfair belaste.
Der Konflikt geht auf die Anfänge der OECD-Bemühungen zurück, ein globales Steuermodell zu entwerfen. Zwar gab es seit 2013 unter den US-Administrationen Obama und Biden politische Zustimmung zu den Plänen, doch die Durchsetzung scheiterte am US-Gesetzgeber. Mit Section 899 behalten sich die USA vor, einseitig „unfaire“ Besteuerungen anderer Länder mit gezielten Zusatzsteuern für ausländische Investoren zu beantworten.
Der Gesetzentwurf sieht vor, ab 2026 einen zusätzlichen Steueraufschlag auf Einkünfte aus den USA zu erheben – zunächst in Höhe von fünf Prozent, später bis zum Höchstsatz von 20 Prozent. Dieser Aufschlag würde zusätzlich zur ohnehin zu zahlende Quellensteuer erhoben. Die US-Quellensteuer auf Dividenden aus US-Aktien beträgt für deutsche Anleger beispielsweise aufgrund des geltenden Doppelbesteuerungsabkommens 15 Prozent. Dieser Wert würde mit Beginn der Strafbesteuerung auf 20 Prozent steigen und könnte sich noch bis auf 35 Prozent erhöhen. Betroffen wären Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und eine Reihe weiterer Einkunftsarten (z.B. im Immobilienbereich), sofern es um ausländische Investment- und Handelspartner geht, die aus Ländern stammen, deren Steuerpraxis aus US-Sicht „diskriminierend und unfair“ ist.
Seien es Vergeltungszölle oder eine nennenswerte Erhöhung der Quellensteuer – jede Unsicherheit trübt die Marktstimmung deutlich ein.
Von Anfang an setzte Section 899 auf maximale Verunsicherung durch generalklauselartige Begriffe, die einen weiten Interpretationsspielraum eröffnen, ab wann welche ausländischen Besteuerungsmaßnahmen die Anwendungsschwelle der „Rachesteuer“ auslöst. So setzt Deutschland zwar die OECD-Mindestbesteuerung um, erhebt aber – anders als Frankreich und Spanien – keine eigene Digitalsteuer. Fraglich bleibt, ob Deutschland trotzdem als „steuerpolitischer Schurkenstaat“ eingestuft werden könnte. Betroffen wären dann staatliche Institutionen, Privatanleger, Stiftungen und Unternehmen, die in den USA investiert sind.
Zwar enthält der US Tax Code seit Langem eine vergleichbare Vergeltungsvorschrift als sog. nukleare Racheoption gegen diskriminierende Staaten, die eine Verdopplung fälliger Steuern androht. Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass diese Section 891 durch bestehende Doppelbesteuerungsabkommen weitgehend wirkungslos ist. Section 899 ist dagegen als „Treaty Override-Regelung“ konzipiert, die Doppelbesteuerungsabkommen aushebelt. Beide Regelungen können unter ähnlichen Voraussetzungen zur Anwendung gebracht werden, nämlich, wenn sich eine diskriminierende oder unfaire ausländische Besteuerung direkt oder indirekt gegen US-Wirtschaftsinteressen richtet („[…] any foreign tax that is enacted with a public or stated purpose indicating the tax will be economically borne, directly or indirectly, disproportionately by US persons”).
Bei den genannten Besteuerungsarten der OECD zur Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien durch global agierende Großkonzerne und zur Herstellung von Steuergerechtigkeit, seien die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verhängung von Vergeltungssteuern eindeutig gegeben, da vor allem US-Konzerne im Tech-Bereich würden dadurch abgestraft.
In die Debatten wird vereinzelt auch in die Idee geworfen, man könne die Vergeltungssteuer aus Section 891 gesetzgeberisch mit einem Vorrang vor Doppelbesteuerungsabkommen ausstatten.
Donald Trump hat am 25. August 2025 die Szenerie mit der Bemerkung verschärft, unfaire ausländische Steuern führten zu Vergeltungssteuern, unfaire ausländische Gesetzgebung führe zu weiteren Strafzöllen. Dabei führte er ausdrücklich den EU Digital Services Act an, der gezielt das Geschäftsmodell von US-Tech-Unternehmen durch unfaire Regulierung geziehlt angreift. Die EU kündigte umgehend an, dass weder die Digital- noch die KI-Regulierungen verändert würden. Daran würden weder Zoll- noch Steuererpressung etwas ändern.
Fortsetzung folgt – ein Ausblick
„Rachesteuern“ sind ausdrücklich nicht vom Tisch, sondern dienen während einer Aussetzungs- und Verhandlungsphase als Druckmittel, um die Verhandlungspartner maximal zu verunsichern. Wie bei der Zollpolitik wird bewusst offengelassen, ob und in welcher Form Section 899 eine Wiederauferstehung feiert.
Die Unsicherheit über die steuerliche Behandlung jedweder US-Investitionen sowie die berechtigte Skepsis, ob getroffene Vereinbarungen nicht umgehend wieder aufgeschnürt werden, belastet Handel und Finanzsysteme gleichermaßen.
Es ist zu vermuten, dass Steuergestaltung und Handelspolitik in der Ära Trump weiterhin geprägt sind von taktischen Kehrtwendungen, unkalkulierbaren Forderungen und geopolitischem Kalkül. Handelspartner und Investoren werden durch erratische Verhandlungstaktiken als Geiseln genommen, weil ihre Herkunftsstaaten den US-Erwartungen nicht entsprechen. Es bleibt nur der mühsame Weg, die aktuellen Entwicklungen zu verfolgen und ihre Auswirkungen einzupreisen.
Erwarte das Unerwartete, hoffe auf das Beste und rechne mit dem Schlimmsten. – Diese alte Lebensweisheit beschreibt die Essenz des politischen Handelns in den USA perfekt – wenn auch mittelfristig unbefriedigend.

Achim Albrecht
ist Professor (em.) für internationales Wirtschaftsrecht und Mitglied der Westfälischen Hochschule in Münster
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