Prof. em. Achim Albrecht (Westfälische Hochschule)

US-Steuerpolitik als geopolitisches Machtinstrument

Nach „Vergeltungszöllen“ drohen „Rachesteuern“ den Handel mit den USA zu belasten

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​Mit dem „One Big Beautiful Bill Act“ (OBBBA) hat die US-Regierung unter Donald Trump die internationale Steuerpolitik erneut in Aufruhr versetzt. Besonders Section 899 – die sog. Rachesteuer – zielte darauf ab, vermeintlich „unfaire ausländische Steuern“ mit empfindlichen Gegenmaßnahmen zu belegen. Auch wenn diese Regelung in letzter Minute aus dem Gesetz gestrichen wurde, bleibt sie als politisches Druckmittel bestehen. Hinter der Episode steht mehr als Steuerpolitik: Es geht um die Neuverteilung globaler Macht zwischen den USA, der OECD und Europa. Die Episode zeigt, wie schnell Steuerrecht zum geopolitischen Hebel werden kann – und wie fragil die Handelsbeziehungen zwischen den westlichen Wirtschaftsmächten inzwischen sind.

Worum es geht

Das äußerst umfangreiche und komplexe US-Steuer- und Ausgabengesetz „One Big Beautiful Bill Act“ (OBBBA)[1] sorgt weltweit für Aufregung. Ein Herzstück des Gesetzes war Section 899, die erhebliche Auswirkungen auf ausländische Investoren zu entfalten drohte. Die Bestimmung zielte darauf ab, „unfaire ausländische Steuern“, die vorgeblich amerikanische Wirtschaftsinteressen existenziell bedrohten, mit steuerlichen Gegenmaßnahmen, den sog. Rachesteuern (retaliatory taxes), zu belegen. Die US-Steuersätze für betroffene ausländische Personen und Unternehmen sollten schrittweise erhöht werden, bis eine Höchstbelastung von zusätzlich 20 Prozentpunkten erreicht ist. 

Als unfaire Besteuerungsmaßnahmen werden alle Maßnahmen bezeichnet, die auf eine OECD-Reforminitiative zur internationalen Mindestbesteuerung und Beendigung aggressiver Steuervermeidungsstrategien zurückgehen. Die Rede ist von einer Digitalbesteuerung  (Digital Services Tax – DST), einer Steuerabschöpfung für in Niedrigsteuergebiete weitergeleitete Profite (Diverted Profits Tax – DPT) sowie der Ausnutzung von Niedrigsteuergebieten (Under Taxed Profits Rule – UTPR).

Was die OECD – mit ausdrücklicher Zustimmung der USA und fast aller Industriestaaten – beschloss, war ein Schritt hin zu relativer Steuergerechtigkeit und entwickelte sich zu einem geopolitischen Konflikt. Global agierende Unternehmen – zuvorderst die US-Tech-Industrie – sollte nicht nur grenzenlos agieren und Profite generieren, sondern auch dort Steuern zahlen, wo sie diese erzielten. Die Republikaner sahen die OECD-Initiative jedoch als unzulässigen Eingriff in die nationale Steuerhoheit sowie als unfaire Abschöpfung amerikanischen Unternehmertums. Insbesondere die 15-prozentige Mindestdigitalsteuer, die von der EU, Kanada und anderen Staaten aufgegriffen wurde, sei eine quasi enteignende Maßnahme, die das Steueraufkommen der USA angreife und US-Konzerne unfair belaste. 

Der Konflikt geht auf die Anfänge der OECD-Bemühungen zurück, ein globales Steuermodell zu entwerfen. Zwar gab es seit 2013 unter den US-Administrationen Obama und Biden politische Zustimmung zu den Plänen, doch die Durchsetzung scheiterte am US-Gesetzgeber. Mit Section 899 behalten sich die USA vor, einseitig „unfaire“ Besteuerungen anderer Länder mit gezielten Zusatzsteuern für ausländische Investoren zu beantworten. 

Der Gesetzentwurf sieht vor, ab 2026 einen zusätzlichen Steueraufschlag auf Einkünfte aus den USA zu erheben – zunächst in Höhe von fünf Prozent, später bis zum Höchstsatz von 20 Prozent. Dieser Aufschlag würde zusätzlich zur ohnehin zu zahlende Quellensteuer erhoben. Die US-Quellensteuer auf Dividenden aus US-Aktien beträgt für deutsche Anleger beispielsweise  aufgrund des geltenden Doppelbesteuerungsabkommens 15 Prozent. Dieser Wert würde mit Beginn der Strafbesteuerung auf 20 Prozent steigen und könnte sich noch bis auf 35 Prozent erhöhen. Betroffen wären Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und eine Reihe weiterer Einkunftsarten (z.B. im Immobilienbereich), sofern es um ausländische Investment- und Handelspartner geht, die aus Ländern stammen, deren Steuerpraxis aus US-Sicht „diskriminierend und unfair“ ist.

Seien es Vergeltungszölle oder eine nennenswerte Erhöhung der Quellensteuer – jede Unsicherheit trübt die Marktstimmung deutlich ein.

Von Anfang an setzte Section 899 auf maximale Verunsicherung durch generalklauselartige Begriffe, die einen weiten Interpretationsspielraum eröffnen, ab wann welche ausländischen Besteuerungsmaßnahmen die Anwendungsschwelle der „Rachesteuer“ auslöst. So setzt Deutschland zwar die OECD-Mindestbesteuerung um, erhebt aber – anders als Frankreich und Spanien – keine eigene Digitalsteuer. Fraglich bleibt, ob Deutschland trotzdem als „steuerpolitischer Schurkenstaat“ eingestuft werden könnte. Betroffen wären dann staatliche Institutionen, Privatanleger, Stiftungen und Unternehmen, die in den USA investiert sind.

Chronologie einer Disruption

In den vergangenen Jahren sind die Direktinvestitionen aus dem Ausland in die USA deutlich angestiegen. US-Assets jeglicher Art befinden sich im Besitz internationaler Investorengruppen. Jede Störung der Finanzmärkte würde zu einem Rückgang von Kapitalströmen in die USA führen. Seien es Vergeltungszölle oder eine nennenswerte Erhöhung der Quellensteuer – jede Unsicherheit trübt die Marktstimmung deutlich ein. Aus diesem Grund ist Section 899 auch in den USA höchst umstritten.

Der Gesetzentwurf des „One Big Beautiful Bill Act“ wurde am 22. Mai 2025 vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet und enthielt den Ursprungsentwurf von Section 899 nahezu unverändert. Der Gesetzentwurf sah zudem eine zusätzliche Option für „jede andere vom Finanzminister festgelegte Steuer“ vor, wodurch sich die inhaltliche - und Rechtsanwendungsunsicherheit weiter erhöht.

Zwar enthält der US Tax Code seit Langem eine vergleichbare Vergeltungsvorschrift als sog. nukleare Racheoption gegen diskriminierende Staaten, die eine Verdopplung fälliger Steuern androht. Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass diese Section 891 durch bestehende Doppelbesteuerungsabkommen weitgehend wirkungslos ist. Section 899 ist dagegen als „Treaty Override-Regelung“ konzipiert, die Doppelbesteuerungsabkommen aushebelt. Beide Regelungen können unter ähnlichen Voraussetzungen zur Anwendung gebracht werden, nämlich, wenn sich eine diskriminierende oder unfaire ausländische Besteuerung direkt oder indirekt gegen US-Wirtschaftsinteressen richtet („[…] any foreign tax that is enacted with a public or stated purpose indicating the tax will be economically borne, directly or indirectly, disproportionately by US persons”).

Bei den genannten Besteuerungsarten der OECD zur Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien durch global agierende Großkonzerne und zur Herstellung von Steuergerechtigkeit, seien die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verhängung von Vergeltungssteuern eindeutig gegeben, da vor allem US-Konzerne im Tech-Bereich würden dadurch abgestraft.

Nach der Verabschiedung eines geänderten Entwurfs des „One Big Beautiful Bill Act“ durch den US-Senat am 01. Juli 2025, wurde das Gesetz am 04. Juli 2025 von US-Präsident Trump unterzeichnet und damit das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Allerdings war Section 899 nicht mehr im Gesetzestext enthalten, der vom Repräsentantenhaus zur Beratung und Abstimmung in den Senat gelangte und letztlich die Unterschrift des Präsidenten trug.

Was war passiert? Das US-Finanzministerium verkündete am 25. Juni 2025 einen zwischen den G7-Staaten hinter den Kulissen verhandelten Deal, der vorsieht, dass US-geführte Unternehmen von der globalen Mindestbesteuerung, auf die sich die OECD - Mitgliedstaaten geeinigt hatten, ausgenommen werden. Mit dieser Einigung sei, so US-Finanzminister Bessent, vorläufig der Hauptgrund für die Einfügung von Section 899 in die Finanz- und Steuer-Megabill entfallen. Im Wortlaut: “Based on this progress and understanding, I have asked the Senate and House to remove the Section 899 protective measure from consideration in the One, Big, Beautiful Bill.” US-amerikanische Wirtschaftsblätter titelten daraufhin mit Schlagzeilen, wie „The Revenge Tax that didn’t survive“.[2] 

Allerdings besteht kein Grund zur Entwarnung. Die Lesart des US-Finanzministeriums ist, dass Strafsteuern lediglich ausgesetzt bleiben, solange aussichtsreiche Verhandlungen geführt werden, die US-Unternehmen von unfairen und diskriminierenden ausländischen Steuern, konkret aus dem Inclusive Tax Framework der OECD, ausnehmen. Über Details und Durchführungsregeln wird weiterhin gerungen. Der Zeitplan ist eng, denn Section 899 sollte Anfang 2026 in Kraft treten. Die Republikaner im Kongress brachten die Situation auf folgenden Nenner: “Republicans stand ready to take immediate action if the other parties walk away from this deal or slow walk its implementation."[3]

In die Debatten wird vereinzelt auch in die Idee geworfen, man könne die Vergeltungssteuer aus Section 891 gesetzgeberisch mit einem Vorrang vor Doppelbesteuerungsabkommen ausstatten. 

Donald Trump hat am 25. August 2025 die Szenerie mit der Bemerkung verschärft, unfaire ausländische Steuern führten zu Vergeltungssteuern, unfaire ausländische Gesetzgebung führe zu weiteren Strafzöllen. Dabei führte er ausdrücklich den EU Digital Services Act an, der gezielt das Geschäftsmodell von US-Tech-Unternehmen durch unfaire Regulierung geziehlt angreift. Die EU kündigte umgehend an, dass weder die Digital- noch die KI-Regulierungen verändert würden. Daran würden weder Zoll- noch Steuererpressung etwas ändern.

Fortsetzung folgt – ein Ausblick

„Rachesteuern“ sind ausdrücklich nicht vom Tisch, sondern dienen während einer Aussetzungs- und Verhandlungsphase als Druckmittel, um die Verhandlungspartner maximal zu verunsichern. Wie bei der Zollpolitik wird bewusst offengelassen, ob und in welcher Form Section 899 eine Wiederauferstehung feiert. 

Die Unsicherheit über die steuerliche Behandlung jedweder US-Investitionen sowie die berechtigte Skepsis, ob getroffene Vereinbarungen nicht umgehend wieder aufgeschnürt werden, belastet Handel und Finanzsysteme gleichermaßen. 

Es ist zu vermuten, dass Steuergestaltung und Handelspolitik in der Ära Trump weiterhin geprägt sind von taktischen Kehrtwendungen, unkalkulierbaren Forderungen und geopolitischem Kalkül. Handelspartner und Investoren werden durch erratische Verhandlungstaktiken als Geiseln genommen, weil ihre Herkunftsstaaten den US-Erwartungen nicht entsprechen. Es bleibt nur der mühsame Weg, die aktuellen Entwicklungen zu verfolgen und ihre Auswirkungen einzupreisen. 

Erwarte das Unerwartete, hoffe auf das Beste und rechne mit dem Schlimmsten. – Diese alte Lebensweisheit beschreibt die Essenz des politischen Handelns in den USA perfekt – wenn auch mittelfristig unbefriedigend.

Achim Albrecht

ist Professor (em.) für internationales Wirtschaftsrecht und Mitglied der Westfälischen Hochschule in Münster

[1] Siehe H.R.1 - One Big Beautiful Bill Act: https://www.congress.gov/bill/119th-congress/house-bill/1/text (letzter Zugriff 28. Oktober 2025).

[2] Siehe Frobes-Artikel von Andrew Leahey vom 26. Juni 2025: https://www.forbes.com/sites/andrewleahey/2025/06/26/crisis-averted-but-what-was-the-section-899-revenge-tax-proposal/ (letzter Zugriff: 28. Oktober 2025).

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Der Foreign Corrupt Practices Act im Lichte der Trump-Administration
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