
Dr. Patricia Nacimiento und Dr. Lara Panosch
(Herbert Smith Freehills Kramer)
Klimahaftung – zivilrechtliche Antworten auf globale Fragen
Die Entscheidung des OLG Hamm vom 28. Mai 2025, 5 U 15/17 – Neue Richtung in der Klimajustiz?
Das Jahr 2025 könnte einen Wendepunkt für die rechtliche Bewertung von Klimaklagen in Deutschland markieren. Mit seinem neuen Urteil setzt das Oberlandesgericht Hamm einen richtungsweisenden Maßstab für die Klimahaftung im deutschen Zivilrecht: Zwar erkennt das Gericht die Möglichkeit transnationaler Haftung ausdrücklich an und eröffnet damit neue juristische Perspektiven für internationale Umweltklagen. Zugleich verschärft es jedoch die Anforderungen an die Kausalitätsdarstellung erheblich – pauschale Modelle und globale Zusammenhänge genügen nicht, vielmehr ist eine präzise und nachvollziehbare Darstellung der Kausalität erforderlich, um eine zivilrechtliche Haftung zu begründen.
Mit dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 28. Mai 2025 (5 U 15/17) rückt die Frage in den Fokus, ob das deutsche Zivilrecht Unternehmen für globale Klimawirkungen haftbar machen kann: Die Entscheidung wirft grundlegende Fragen zur Reichweite zivilrechtlicher Haftung und zur Rolle der Gerichte im Bereich des Klimaschutzes auf. Im konkreten Fall klagt ein peruanischer Grundstückseigentümer gegen ein deutsches Energieunternehmen, das er für die Gefährdung seines Eigentums verantwortlich macht. Ursache sei der Betrieb von Kraftwerken, durch welchen Treibhausgase freigesetzt und das globale Klima messbar erwärmt würden.
Sachverhalt und rechtlicher Hintergrund
Der Kläger, der peruanische Bergführer und Landwirt Saúl Luciano Lliuya, lebt in Huaraz (Peru) und ist Miteigentümer eines Hauses nahe des Gletschersees Laguna Palcacocha. Der Kläger warf in dem Gerichtsverfahren dem beklagten Energiekonzern RWE vor, durch den Betrieb von Kohlekraftwerken (und den verursachten CO2-Emissionen) zur globalen Erwärmung beigetragen zu haben. Dies sei mitursächlich für die Gletscherschmelze in der Anden-Region gewesen und begründe eine konkrete Gefährdung seines Eigentums. Im Einzelnen stützte der Kläger sich auf eine Unterlassungsklage gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, und machte einen Unterlassungsanspruch wegen Eigentumsbeeinträchtigung geltend.
Ziel der Klage war eine anteilige Kostenbeteiligung der Beklagten an Schutzmaßnahmen sowie die Sicherung des Eigentums des Klägers. Die Tochterunternehmen der Beklagten – des Energiekonzerns RWE – sind überwiegend im Bereich der Energieversorgung tätig und verursachen dabei erhebliche Mengen an Treibhausgasen, insbesondere CO₂. Diese Emissionen unterliegen seit 2011 dem Treibhausgasemissionshandelsgesetz (TEHG), dessen Vorgaben die Beklagte nach eigenen Angaben einhält. Der Kläger argumentierte jedoch, dass diese Emissionen zur globalen Erwärmung beigetragen hätten, was wiederum mitursächlich für die Gletscherschmelze sei, und eine konkrete Gefährdung seines Eigentums begründe. Die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Standards schließt zivilrechtliche Ansprüche allerdings nicht automatisch aus. Die zentrale Besonderheit des Falles liegt in seiner transnationalen Dimension: Die geltend gemachte Beeinträchtigung des Eigentums erfolgt nicht durch unmittelbare Einwirkung, sondern über die vielschichtigen Wirkmechanismen des globalen Klimawandels. Damit stellt sich die Kernfrage zivilrechtlicher Zurechnung: Wann wird eine weltweit gestreute Ursache dem konkreten lokalen Risiko zurechenbar?
Argumentation und Entscheidung des Gerichts
Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Das OLG Hamm konnte keine zurechenbare Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB feststellen.
Das Gericht stellt in seinem Urteil zunächst klar, dass eine Haftung für CO₂-Emissionen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei. Maßgeblich sei nicht die Rechtswidrigkeit der Handlung, sondern allein die Frage, ob eine im konkreten Fall bewirkte oder zumindest unmittelbar drohende Beeinträchtigung des Eigentums mit der Rechtsordnung unvereinbar sei. Das Gericht betont, dass die räumliche Distanz zwischen Emissionsquelle und betroffenem Eigentum für die rechtliche Bewertung unerheblich sei. Zudem sei eine pauschale Zurückweisung solcher Klagen mit dem Verweis auf politische Lösungsansätze unzulässig. Für einen präventiven Unterlassungsanspruch genüge eine abstrakte Gefahr nicht; erforderlich sei eine konkrete, ortsbezogene Gefährdungslage. Entscheidend sei, ob sich objektiv eine konkrete Gefahrenquelle herausgebildet habe, die ein Einschreiten erforderlich mache. Pauschale Klimamodelle oder globale „Klimafaktoren“ genügen hierfür nicht. Vielmehr sei eine genaue Bewertung anhand der örtlichen Gegebenheiten und von konkreten Risikoverhältnissen vorzunehmen: Es bedürfe der Besorgnis einer künftigen, unmittelbar bevorstehenden Rechtsverletzung oder zumindest der Tatsache, dass diese Rechtsverletzung faktisch so deutlich erkennbar sei, dass sie rechtlich zuverlässig beurteilt werden könne.
Besonders hervorzuheben ist die Auseinandersetzung des OLG mit dem Kausalitätsproblem. Das Gericht erkennt grundsätzlich an, dass CO₂-Emissionen zur Gletscherschmelze beitragen können. Für eine zivilrechtliche Haftung reiche jedoch nicht allein die Beteiligung am globalen Emissionsgeschehen aus. Erforderlich sei vielmehr ein nachvollziehbarer und belastbarer Zusammenhang zwischen den konkreten Emissionen des beklagten Unternehmens und der behaupteten Gefährdung des Eigentums des Klägers. Eine bloß statistische Wahrscheinlichkeit genüge hierfür nicht – es müsse eine individuelle Zurechnung erfolgen, die über allgemeine Klimamodelle hinausgehe und eine konkrete Mitverursachung im Einzelfall plausibel mache. Insofern lehnte das Gericht die Anwendung eines sog. Klimafaktors ab, mit dem sich die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Flutkatastrophe rechnerisch erhöht. Eine derart pauschale Zuschreibung sei ungeeignet, um eine konkrete Gefährdung des Eigentums zu begründen. Stattdessen fordert das Gericht eine differenzierte Bewertung der lokalen Risikolage, die auf objektiven Daten und einer fachlich fundierten Begutachtung beruht. Das Gericht stellte zudem fest, dass sich aus dem „gesetzlichen Versorgungsauftrag" des Energiekonzerns und dem allgemeinen Interesse an der Energieerzeugung schon keine Pflicht des Klägers zur Duldung einer drohenden Eigentumsbeeinträchtigung ableiten lasse.
Im konkreten Fall kam das Gericht nach umfangreicher Beweisaufnahme – einschließlich einer Ortsbesichtigung in Peru und der Anhörung von Sachverständigen – zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Flutwelle das Grundstück des Klägers innerhalb der nächsten 30 Jahre erreichen werde, lediglich bei rund einem Prozenz liege. Selbst im Falle einer Flut wäre lediglich mit einer Überschwemmung des klägerischen Grundstücks um wenige Zentimeter zu rechnen, wodurch keine substanziellen Schäden zu erwarten wären. Eine solch geringe Eintrittswahrscheinlichkeit erfülle die Anforderungen an eine künftige, erstmals drohende Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht. Selbst wenn man auf die ermittelte Eintrittswahrscheinlichkeit von einem Prozent einen „Klimafaktor 2-4" anwenden würde, läge die Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt immer noch unter fünf Prozent. Nach Auffassung des Senats reicht dies daher nicht aus, um von einer drohenden Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB auszugehen.
Auf rechtlicher Ebene differenziert das Gericht darüber hinaus zwischen unmittelbaren und mittelbaren Störern. Eine Haftung könne bei mittelbarer Verursachung nur dann angenommen werden, wenn zusätzliche Zurechnungskriterien erfüllt seien – etwa, dass die Beklagte sinnlich wahrnehmbare Stoffe auf das Grundstück des Klägers leite. Andernfalls drohe eine uferlose Ausweitung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit. Eine Haftung als Zustandsstörerin komme nicht in Betracht, da die Beklagte weder die Störungsquelle – die Laguna Palcacocha – noch das übergeordnete Klimageschehen kontrolliere oder beherrsche. Auf dieser Grundlage wies das OLG Hamm die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Essen zurück. Das Gericht sah keine zurechenbare Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB und verneinte damit das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs. Das Urteil des OLG ist rechtskräftig, da die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen wurde.
Bedeutung für die deutsche Gerichtspraxis und Unternehmen
Das Urteil setzt einen wichtigen Maßstab für die Behandlung von Klimaklagen im deutschen Zivilrecht. Es erkennt die grundsätzliche Möglichkeit einer Haftung großer CO₂-Emittenten an und bestätigt, dass das Zivilrecht grundsätzlich geeignet ist, auch globale Umwelteinwirkungen zu erfassen – selbst wenn sich die geltend gemachten Auswirkungen in einem anderen Staat zeigen. Dabei schließt das Gericht die Möglichkeit einer transnationalen Haftung nicht aus, sofern eine konkrete Gefährdung eines geschützten Rechtsguts vorliegt.
Gleichzeitig formuliert das Gericht hohe Anforderungen an die Darlegung einer konkreten Gefährdung eines Rechtsguts – insbesondere im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zwischen Emission und Schaden. Die bloße Beteiligung eines Unternehmens am globalen CO₂-Ausstoß reicht nach Auffassung des Gerichts nicht aus. Vielmehr ist eine nachvollziehbare, ortsbezogene und wissenschaftlich fundierte Verbindung zwischen der konkreten Handlung des Beklagten und der behaupteten Beeinträchtigung erforderlich. Pauschale Klimamodelle oder statistische Wahrscheinlichkeiten genügen nicht, um eine haftungsrechtlich relevante Gefahrenlage zu begründen.
Eine zivilrechtliche Klimahaftung ist zwar grundsätzlich möglich, aber nur unter engen und nicht pauschalen Voraussetzungen.
Diese strengen Anforderungen an die Kausalität stellen Kläger künftig vor erhebliche Herausforderungen. Sie müssen nicht nur die globale Wirkung von Emissionen darlegen, sondern auch deren konkrete Auswirkung auf ein spezifisches Rechtsgut nachweisen. Damit wird deutlich: Eine zivilrechtliche Klimahaftung ist zwar grundsätzlich möglich, aber nur unter engen und nicht pauschalen Voraussetzungen.
Für die deutsche Gerichtspraxis ergibt sich daraus ein differenziertes Bild: Das Urteil zeigt, dass Gerichte bereit sind, sich mit den komplexen Folgen des Klimawandels auseinanderzusetzen, dabei aber die dogmatischen Grenzen des Zivilrechts wahren. Die Entscheidung kann somit als Referenz für zukünftige Verfahren dienen – sowohl im Hinblick auf die richterliche Bewertung als auch für die strategische Ausgestaltung von Klimaklagen im Zivilprozess.
Fazit: Neue Zukunft von Klimaklagen?
Das neue richtungsweisende Urteil des OLG Hamm markiert einen differenzierten Zugang zur Klimahaftung im deutschen Zivilrecht. Für zukünftige Klimaklagen bedeutet dies: Die Anforderungen an die Kausalitätsdarstellung steigen, pauschale Modelle oder globale Zusammenhänge reichen nicht aus. Gleichzeitig wird die Möglichkeit transnationaler Haftung anerkannt, was internationalen Umweltklagen neue rechtliche Perspektiven eröffnet. Nicht zuletzt könnte eine zivilrechtliche „Klimahaftung" gravierende Auswirkungen für den Industriestandort Deutschland haben – insbesondere für Unternehmen mit hohen Emissionen und globaler Wirkung.

Dr. Patricia Nacimiento
ist Partnerin im Frankfurter Büro von Herbert Smith Freehills Kramer und leitet die deutsche Dispute Resolution Praxisgruppe. Sie ist auf Rechtsstreitigkeiten spezialisiert und hat einen besonderen Schwerpunkt in der Schiedsgerichtsbarkeit und der alternativen Streitbeilegung, einschließlich Mediation.

Dr. Lara Panosch
ist Associate im Bereich Dispute Resolution im Frankfurter Büro von Herbert Smith Freehills Kramer. Sie fokussiert sich auf die Beilegung von internationalen Streitigkeiten, insbesondere im Bereich der Handels- und Investitionsschiedsverfahren sowie des Völkerrechts (Menschenrechte).

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