Befürworter des digitalen Handels werden die Aufmerksamkeit begrüßen, die endlich denjenigen Rechtsreformen gewidmet wird, die die Verwendung elektronischer Aufzeichnungen anstelle von Papier im Handel ermöglichen. Denn: Die Angleichung lokaler Rechtsvorschriften an das Modellgesetz über elektronisch übertragbare Aufzeichnungen (Model Law on Electronic Transferable Records – MLETR) ist für den umfassenden Schutz von Unternehmen, die sich der Digitalisierung verschrieben haben, unerlässlich. Die Bewegung in diese Richtung nimmt nun an Fahrt auf:
- Der Beratende Ausschuss für Unternehmen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) hebt MLETR als Teil der Handelsagenda für 2024 hervor; MLETR wird voraussichtlich auch im Rahmenabkommen der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) über die digitale Wirtschaft behandelt werden.
- Das französische Parlament prüft derzeit die MLETR-Gesetzgebung.
- Das britische Commonwealth entwickelt eine eigene Agenda, um die MLETR-Anpassung in seinen mehr als 50 Mitgliedsstaaten voranzutreiben.
- Die EBRD (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung), die Islamic Development Bank Group und andere verstärken ihre Bemühungen um MLETR in ihren Zielländern und beginnen mit Folgenabschätzungen und Roadmaps.
- Und schließlich hat sogar der jüngste WTO-Beitrittskandidat, Timor-Leste, seine MLETR-Anpassung bereits abgeschlossen.
Erster Baustein: MLETR – Die Frage ist nicht mehr „ob“, sondern „wie“
Sieben Jahre nach der Veröffentlichung des MLETR[2] durch die UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law) hat sich die Diskussion also von der Frage des „Ob“ zur Frage des „Wie“ verlagert. Der Auslöser dafür war kein „black swan“, sondern die Zeit war einfach reif. Gerade für diejenigen, die sich schon so lange für die Verabschiedung des MLETR als wichtige rechtliche Grundlage für das digitale Handelsumfeld eingesetzt haben, dürfen wir diese Chance nicht verpassen. Jetzt ist es an der Zeit, das kollektive Wissen und die Ressourcen für die Vorbereitung und Umsetzung des MLETR zu bündeln und an die Volkswirtschaften weiterzugeben, die bereit sind, sich mit dem „Wie“ zu befassen.
Über die Digital Standards Initiative (DSI)
Die Digital Standards Initiative (DSI) der Internationalen Handelskammer ist eine öffentlich-private Partnerschaft, die von der WTO, der Weltzollorganisation, der Regierung von Singapur und der Asiatischen Entwicklungsbank unterstützt wird und gegründet wurde, um die Schaffung eines interoperablen, harmonisierten digitalen Handelsumfelds zu beschleunigen.
Zwei Voraussetzungen liegen auf der Hand: Die erste ist der massive Aufbau von Kapazitäten in den staatlichen Institutionen, die am meisten mit der Verwendung elektronischer Aufzeichnungen in Handel und Finanzierung zu tun haben werden. Die Aktivitäten der DSI, der Digital Standards Initiative der Internationalen Handelskammer, die sich der Entwicklung und Etablierung eines global harmonisierten, digitalisierten Handelsumfelds verschrieben hat, zielen daher auch zunächst auf die betroffenen Organisationen des öffentlichen Sektors ab. Im „capacity building“ werden zunächst die wichtigsten Fragen des digitalen Handels geklärt. Anschließend muss gezielte technische Unterstützung geleistet werden, um die einzelnen Phasen der Umsetzung des MLETR in die Praxis anzugehen. Die Inhalte unterscheiden sich zum einen, je nachdem ob es sich um allgemeines Recht, Zivilrecht oder einen anderen spezialisierten Rechtsrahmen handelt, zum anderen, ob die jeweilige Volkswirtschaft bereits über ein Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr verfügt oder die Verwendung des elektronischen Frachtbriefs (eBL) bereits zugelassen ist, wie dies in Deutschland der Fall ist.
Multilaterale Entwicklungsbanken, Organisationen wie UNESCAP (United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific), das International Trade Centre und Public Private Partnerships wie die DSI sind alle bemüht, die Staaten dabei zu unterstützen, das MLETR zu adaptieren und umzusetzen.. Es wäre wünschenswert, dass sich die verschiedenen Organisationen noch besser koordinieren und gemeinsame Konzepte entwickeln, die an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden können.
Der Privatsektor kann dabei ein wichtiger Partner sein, der den politischen Entscheidungsträger:innen wertvolle Erfahrungen aus der Praxis liefert, damit sie klare und leicht umsetzbare Vorschriften erlassen können. Bei einem kürzlich von der DSI für das ASEAN-Sekretariat und die Mitgliedstaaten veranstalteten Capacity Building-Workshop zur Unterstützung der Partnerschaft für digitale Innovation zwischen Großbritannien und ASEAN waren eine Reihe von Industrieverbänden wie GS1 und die Digital Container Shipping Association sowie multilaterale Organisationen wie GLEIF (Global Legal Entity Identifier Foundation) und die WCO (Weltzollorganisation) bereit, ihre praktischen Erfahrungen einzubringen. Auch in diesem Fall ist die persönliche Schulung nur ein Vorgeschmack und wird mit einem vertiefenden Online-Zertifizierungskurs für digitale Handelsstrategien fortgesetzt.
„Letztendlich müssen die Regierungen selbst die harte Arbeit der Ausarbeitung von Vorschriften und deren Verabschiedung durch den Gesetzgeber leisten. Aber der Aufbau von Vertrauen und die Gewöhnung an die Begriffe und Praktiken können diesen Weg erleichtern.“
Frei verfügbare Leitfäden, wie der „Complete Guide to eBLs“ der Fit Alliance,[3] der sich an die Verantwortlichen in den wichtigsten Branchen richtet, können die persönliche Schulung ergänzen. Letztendlich ist es jedoch zunächst die Aufgabe der Regierungen, die harte Arbeit der Ausarbeitung von Vorschriften und deren Verabschiedung durch den Gesetzgeber zu leisten. Der Aufbau von Vertrauen und die Gewöhnung an die Begriffe und Praktiken können diesen Weg aber erleichtern.
Das MLETR ist zwar der entscheidende Eckpfeiler der rechtlichen und politischen Reform hin zu einem digitalisierten Handel, aber er ist nur ein Teil des Fahrplans. Wir sollten das durch die Verbreitung des MLETR geschaffene Bewusstsein nutzen, um unsere Aufmerksamkeit auf die anderen wichtigen Bausteine des digitalen Handels zu richten.
Zweiter und dritter Baustein: Standards und Interoperabilität - Digitalisierung der gesamten Lieferkette
ICC-Leitfaden zur Digitalisierung von Handelsdokumenten
Basierend auf einer Analyse der 36 wichtigsten Handelsdokumente hat die Digital Standards Initiative (DSI) der ICC einen globalen Leitfaden entwickelt, der eine standardisierte Digitalisierung von Handelsdokumenten ermöglichen soll.
Lange Zeit hieß es: „Wir brauchen Standards“ und „Interoperabilität ist der Schlüssel“. Es gab aber keine einheitliche Formel zu diesen Forderungen. Mit dem Abschluss der Analyse der 36 wichtigsten Handelsdokumente und den Empfehlungen für eine standardisierte Digitalisierung der gesamten Lieferkette der „Key Trade Documents and Data Elements“-Arbeitsgruppe (KTDDE) der DSI, weist die DSI nun den Weg zu Interoperabilität und sicherem Datenaustausch.
Das KTDDE-Projekt wurde von der DSI in Zusammenarbeit mit Organisationen, die Standards entwickeln, durchgeführt, wie UN/CEFACT (United Nations Centre for Trade Facilitation and Electronic Business), multilateralen Regulierungsbehörden, wie ICAO (International Civil Aviation Organization) und WCO (World Trade Organization), sowie privaten Einrichtungen und Industrieverbänden, wie Banken, Spediteuren, Rohstoffunternehmen und multinationalen Marken.
Unter der Leitung von GS1 hat die Arbeitsgruppe in 18 Monaten alle wichtigen Handelsdokumente analysiert und einen einzigen integrierten Leitfaden für die Digitalisierung der gesamten Lieferkette geschaffen, die jede:n Nutzer:in zur globalen Interoperabilität führen wird. Mit anderen Worten: Die Möglichkeit, die wichtigsten Datenelemente entlang der Lieferkette in ihrer ursprünglichen Form zu sichern, zurückzuverfolgen und gemeinsam zu nutzen, rückt jetzt in greifbare Nähe.
Die Aufgabe, alle Beteiligten in der Lieferkette mit dem Wissen auszustatten, damit sie die wichtigsten Prozesse in Richtung globaler Interoperabilität digitalisieren können, ist enorm. Diese Herausforderung wird noch dadurch verschärft, dass Millionen kleiner und mittlerer Unternehmen, die den Großteil vieler Lieferketten für Konsumgüter, Lebensmittel und Leichtindustrie ausmachen, einbezogen werden müssen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen in Schwellenländern.
Es wird Widerstand geben, da diejenigen, die eigene Standards und Verfahren verwenden, möglicherweise kommerzielle Anreize benötigen, um ihre Richtung zu ändern, und selbst dann könnten sie vielleicht nicht in der Lage sein, dies auch zu tun. Heute mögen proprietäre Plattformen dominant und unbeweglich erscheinen. Da jedoch nur ein kleiner Teil des Welthandels digitalisiert ist, stehen die Chancen gut, dass jede:r, der oder die sich heute für die Digitalisierung entscheidet, sich für globale Interoperabilität entscheidet.
Zu lange haben viele über „digitale Inseln“ und die durch die Fragmentierung verursachten Kosten beklagt. Wir bei der DSI hoffen, dass unsere Arbeit einen Weg nach vorne aufzeigt, der jedes Netzwerk, jede Plattform und jeden Partner in der Lieferkette, der nach Interoperabilität strebt, miteinander zu verbindet und so die Effizienz und Klarheit an jedem Punkt der Lieferkette fördert. Kurz gesagt, MLETR macht den Weg rechtlich frei. Nun ist es an der Zeit, unseren Einsatz für Standards und Interoperabilität zu verdoppeln, um das Handelsökosystem zukunftsfit zu machen.
Pamela Mar
ist Managing Director der Digital Standards Initiative (DSI) der Internationalen Handelskammer (ICC). Die ICC DSI wurde 2020 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Entwicklung und Etablierung eines global harmonisierten, digitalisierten Handelsumfelds voranzutreiben.
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[1] Siehe hierzu die Pressemitteilung von ICC Germany mit weiteren Hinweisen: https://www.iccgermany.de/news-post/wto-moratorium-fuer-e-commerce-icc-ruft-gemeinsam-mit-170-wirtschaftsverbaenden-zur-verlaengerung-auf/ (zuletzt abgerufen am 06. Mai 2024).
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