Dr. Anke Meier, LL.M. (Noerr PartGmbB)

Kurzer Prozess vor russischen Arbitrazh Gerichten

Wie Anti-Suit Injunctions westlichen Unternehmen helfen können


Nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine in 2022 und dem Einsetzen der Sanktionen haben sich westliche Unternehmen bis auf sehr wenige Ausnahmen schnell und vollständig aus dem Russlandgeschäft zurückgezogen. Nach dem Exit droht nun aber neues Ungemach: Streitigkeiten mit (ehemaligen) russischen Geschäftspartnern, die unter Verletzung von vereinbarten Schiedsvereinbarungen vor den russischen staatlichen Gerichten landen. Die russischen Arbitrazh Gerichte machen im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess und es scheint ein aussichtsloser Kampf gegen einen übermächtigen Gegner zu sein. Um nicht von vornherein klein beizugeben, sind eine durchdachte internationale Prozessstrategie und ein langer Atem notwendig. Unterstützung versprechen dabei Anti-Suit Injunctions aus Common Law-Jurisdiktionen.   


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Das Jahr 2022 war für westliche Unternehmen mit Russlandgeschäft ein einschneidendes Jahr. Wenngleich die Geschäfte bis dato je nach Branche ohnehin schon besser oder schlechter liefen, stand nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine schnell fest: Es ist zügiger Exit erforderlich. Je nachdem, ob man den russischen Markt „nur“ belieferte oder eine eigene Gesellschaft vor Ort hatte, war der Rückzug aus dem Russlandgeschäft teilweise sehr aufwändig und ging oft mit großen finanziellen Verlusten einher. Nicht zuletzt aufgrund der westlichen Sanktionen und den russischen Gegenmaßnahmen wurde schon früh mit einer Welle von Streitigkeiten gerechnet. Viele Verträge wurden nicht (mehr) erfüllt, Großprojekte lagen von einem auf den anderen Tag brach. Überraschenderweise blieb die Klageflut in 2022 zunächst aus, setzte im letzten Jahr aber dann mit umso größerer Wucht ein. Die Crux dabei ist: Die russischen Parteien ignorieren in der Regel den vereinbarten Streitbeilegungsmechanismus und klagen vor den russischen staatlichen Gerichten.   

Verletzung vereinbarter Schiedsvereinbarungen

Unternehmen mit Erfahrungen im Russlandgeschäft wissen seit jeher, dass Streitigkeiten vor den russischen staatlichen Gerichten in aller Regel schwierig sind. Zweifel an einem fairen Verfahren unter Einhaltung elementarer Verfahrensgrundrechte wie dem Recht auf rechtliches Gehör bestanden schon unabhängig von der aktuellen politischen Lage. Daher entsprach es schon lange der best practice, zu versuchen in Verträgen mit russischen Geschäftspartnern einen Streitbeilegungsmechanismus auszuhandeln, der weg von den russischen staatlichen Gerichten und hin zu internationalen Schiedsgerichten führt. Russische Geschäftspartnern akzeptierten Schiedsvereinbarungen in vielen Fällen. Sie waren besonders offen für eine Streitbeilegung vor der Stockholm Chamber of Commerce (SCC), aber durchaus auch der ICC. Phasenweise waren sogar Streitbeilegungsklauseln hin zu dem Londoner High Court oder dem London Court of International Arbitration (LCIA) regelrecht en vogue. Auch in den Exit Deals sind Schiedsvereinbarungen weit verbreitet, wenngleich eher zu den aus russischer Sicht neutralen oder freundlichen Foren wie Hongkong oder Singapur. Mit Einsetzten der jüngsten Klagewelle ist allerdings zu beobachten, dass Schiedsvereinbarungen regelmäßig ignoriert werden und unmittelbar der Weg zu den russischen staatlichen Gerichten, häufig den Arbitrazh Gerichten, eingeschlagen wird. Die Gerichte akzeptieren ihre Zuständigkeit ohne die Schiedsvereinbarungen ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Schnell wird klar, dass es keine Option sein kann, sich auf die Zuständigkeit der russischen staatliche Gerichte einzulassen und sich ausschließlich in diesem Forum zu verteidigen. Selbst in den komplexesten Fällen entscheiden die Gerichte nämlich in Windeseile ohne erkennbare Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Argumenten oder gar gänzlich ohne Beweisaufnahme. In der nächsthöheren Instanz sieht es nicht anders aus.    

Anti-Suit Injunctions als Entschleuniger

In vielen Fällen wird es sich anbieten, dass die in Russland verklagten westlichen Unternehmen das vertraglich vereinbarte Schiedsverfahren einleiten und auf diesem Weg negative Feststellungsklagen und Schadensersatz verfolgen. In zahlreichen Konstellationen wird dies bereits deshalb zwingend erforderlich sein, um weitere im Zusammenhang stehende Regressansprüche abzusichern. Allerdings dauern diese Verfahren selbst bei besonders zügiger Verfahrensführung so lange, dass in Russland in der Regel bereits vollendete Tatsachen geschaffen sind. Selbst wenn bei den vereinbarten Schiedsverfahren (wie bei der ICC) die Möglichkeit eines Emergency Arbitrators (EA) besteht, können derartige Beschlüsse oftmals nicht in Russland vollstreckt werden, erst recht nicht im aktuellen Klima.  Auch wenn dies die Verteidigung noch komplexer und aufwändiger gestaltet, lohnt sich die Prüfung, ob vor staatlichen Gerichten außerhalb Russlands einstweilige Verfügungen beantragt werden könnten, die das Potenzial haben, die Verfahren in Russland zumindest aufzuhalten. Diese sog. Anti-Suit Injunctions sind vor allem aus dem Common Law-Rechtskreis bekannt. Um die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit von vertraglichen Vereinbarungen, einschließlich Schiedsvereinbarungen, zu gewährleisten, untersagen Common Law-Gerichte der hiergegen verstoßenden Partei das weitere Betreiben eines Gerichtsverfahrens vor einem unzuständigen Gericht, auch wenn dies in einem anderen Staat liegt. Bekannt sind beispielsweise der Londoner und Hongkonger High Court für Anti-Suit Injunctions – mithin Gerichte an den Foren, die in der Vergangenheit durchaus häufig von russischen Parteien akzeptiert wurden. Sofern ein hinreichender Bezug besteht, sei es durch Schiedsort, Schiedsinstitution und/oder das anwendbare Recht, kann die Zuständigkeit dieser Gerichte eröffnet sein. Die Anti-Suit Injunctions sind in der Regel strafbewährt und haben darüber hinaus zweifelsfrei Signalwirkung für andere Jurisdiktionen.

Russische Reaktionen auf Anti-Suit Injunctions

Eine Anti-Suit Injunction zu erreichen ist angesichts vorhandener Präzedenzfälle durchaus realistisch. Die Gerichte haben allerdings einen Ermessensspielraum, wie weit sie die Verfügung im Einzelfall im Hinblick auf die Reichweite fassen. Abhängig davon, wie weitreichend der Verfügungsausspruch ist und welche Berührungspunkte die russischen Kläger zu dem die Verfügung aussprechenden Forum haben, sind die Reaktionen auf den Erlass der Verfügungen unterschiedlich. Es besteht nahezu immer die Chance, mit dem Verfügungsverfahren das russische Gerichtsverfahren aufzuhalten und zu verzögern. Dies kann sehr wertvolle Zeit sein, um noch einmal die Verteidigungsstrategie zu ordnen und bereits mit Blick auf etwaige Vollstreckungsmaßnahmen zu sondieren, wo noch Vermögenswerte in Sicherheit gebracht werden können – in Russland selbst und pro-russischen Jurisdiktionen. Typischerweise beteiligen sich russische Parteien an dem einstweiligen Verfügungsverfahren und betreiben das Gerichtsverfahren in Russland bis zu einer finalen Entscheidung über die Anti-Suit Injunction nicht weiter. Zuletzt haben allerdings russische Gerichte teilweise auch ihrerseits mit Gegenverfügungen, sog. Anti-Anti-Suit Injunctions, reagiert. Interessanterweise auch im Hinblick auf Jurisdiktionen, die aus russischer Sicht als neutral oder russlandfreundlich gelten. Westliche Unternehmen benötigen mithin einen langen Atem und Entschlossenheit, sich nicht einschüchtern zu lassen.    

 „Bei einer Klage in Russland lohnt es sich, eine internationale Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Die Verteidigung ausschließlich auf das Verfahren vor den russischen staatlichen Gerichten zu begrenzen ist nahezu keine Option.“ 

Langer Atem lohnt sich

Bei einer Klage in Russland lohnt es sich, eine internationale Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Die Verteidigung ausschließlich auf das Verfahren vor den russischen staatlichen Gerichten zu begrenzen ist nahezu keine Option. Neben dem vertraglich vereinbarten Streitbeilegungsmechanismus, der oft zu einem internationalen Schiedsgericht führen wird, können je nach Schiedsort, Schiedsinstitution und anwendbarem Recht Common Law Anti-Suit Injunctions zur Verfügung stehen. Dies alles schafft vielleicht genau die Zeit, die man benötigt, um Vermögenswerte in Russland oder russlandfreundlichen Jurisdiktionen in Sicherheit zu bringen, bevor eine finale Entscheidung in Russland ergeht. Schiedssprüche, die gegen die russische Partei erzielt werden, sind ihrerseits vielerorts vollstreckbar und können mitunter noch viele Jahre nach ihrem Erlass für eine Vollstreckung benutzt werden. Es lohnt sich langfristig also, die Mühen einer umfassenden Prozessstrategie auf sich zu nehmen.  


Dr. Anke Meier, LL.M

ist Partnerin und Head of Arbitration der Kanzlei Noerr PartGmbB in Frankfurt a.M. und vertritt westliche Unternehmen in Streitigkeiten mit russischen Parteien vor internationalen Schiedsgerichten.

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