Dr. Benjamin Lotz (Dentons)

Grüne Ambition, graue Aussichten?

Neue Anti-Greenwashing-Regeln und ihre Auswirkungen auf die Privatwirtschaft


Zwei geplante EU-Richtlinien sollen irreführenden Umweltaussagen von Unternehmen (Greenwashing) entgegenwirken. Verbraucher sollen besser informiert werden, Werbeaussagen wie „CO2-neutral“ oder „biologisch abbaubar“ unionsweit einheitlichen Vorgaben unterliegen. Das eigentliche Ziel, der Umweltschutz, gerät dabei teils aus den Augen.

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Erster klimaneutraler Kontinent, die Pflanzung von drei Milliarden Bäumen und andere hehre Ziele der EU, zusammengefasst als „European Green Deal“, bilden den Hintergrund geplanter strenger Bestimmungen für das Marketing mit sog. Öko-Claims. Schon heute will etwa der Produkthinweis „klimafreundlich“ angesichts des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots gut überlegt sein: Ist die Verwendung des Begriffs per se unlauter? Falls nicht: Lässt sie sich hinreichend mit Tatsachen unterfüttern? Müssen ergänzende Kundeninformationen bereitgestellt werden und, wenn ja, auf welche Weise? Nach Umsetzung der in Aussicht stehenden EU-Richtlinien wird man die Liste potenziell relevanter Fragen und Aufgaben noch weitaus länger fassen können.

Eines der beiden Normenwerke, die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel 2024/825/EU (Empowering Consumers for the Green Transition Directive – „EmpCo-RL“), ist seit März dieses Jahres in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben sie bis spätestens zum 27. März 2026 in nationales Recht zu überführen und ab Ende September 2026 auch durchzusetzen. Etwas jünger ist die Richtlinie über Umweltaussagen (Green Claims Directive – „Green Claims-RL“). Sie befindet sich noch im Entwurfsstadium; mit einer Verabschiedung wird nicht vor Konstituierung des neuen EU-Parlaments im Juli gerechnet.

Bis zur Geltung des neuen Pflichtenregimes wird demnach noch einige Zeit ins Land gehen. Eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Thema lohnt gleichwohl: Die sich in puncto Umwelt-Werbung richterrechtlich entwickelnden Grundsätze dürften nach der sich abzeichnenden Rechtslage weitgehend überholt sein. Zum anderen interessieren die Richtlinien aus rechtspolitischer Perspektive: Welche Zwecke würden nach dem momentanen Stand erreicht, welche konterkariert? 

EmpCo-Richtlinie: Erweiterung der UGP-Richtlinie um Greenwashing-Aspekte

Rechtstechnisch erfolgt die Greenwashing-Regulierung gemäß Art. 1 EmpCo-RL durch Änderungen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 2005/29/EG („UGP-RL“). Im Vordergrund steht dabei die Erweiterung des Anhangs I der UGP-RL, welcher per se unlautere Geschäftspraktiken auflistet. 

Zu diesen gehört nunmehr das Anbringen von Nachhaltigkeitssiegeln, die weder von einer staatlichen Stelle festgesetzt wurden noch auf einem Zertifizierungssystem beruhen (Anhang I Ziff. 4a UGP-RL). Der Begriff „Zertifizierungssystem“ wird in Art. 2 Abs. 1 lit. r UGP-RL verankert: Es muss sich um das System eines vom betreffenden Unternehmen unabhängigen Systembetreibers handeln. Dieses hat seinerseits zahlreiche Anforderungen zu erfüllen. So müssen die Bedingungen der Siegelvergabe öffentlich einsehbar sein.  Zudem sind weitere Parteien zu beteiligen: Das System muss mit „einschlägigen Sachverständigen und Interessenträgern“ ausgearbeitet worden sein. Für die eigentliche Prüfung im Rahmen des Systems ist wiederum ein weder mit dem Unternehmen noch dem Systembetreiber in Verbindung stehender Dritter einzuschalten. 

Verboten sind überdies allgemeine Umweltaussagen, wenn die mit ihnen in Bezug genommene „anerkannte hervorragende Umweltleistung“, d.h. bestimmte rechtlich definierte Umweltleistungen oder anerkannte Kennzeichen (z.B. das EU-Ecolabel), vom jeweiligen Gewerbetreibenden nicht nachgewiesen werden kann (Anhang I Ziff. 2a UGP-RL).

Eine Umweltaussage ist – vereinfacht ausgedrückt – jegliche freiwillige kommerzielle Kommunikation, die umweltschonende Eigenschaften eines Produkts oder Unternehmens verspricht. Sie ist in jeglicher Form denkbar, beispielsweise als Etikett oder Markenname; sie kann zudem auch stillschweigend erfolgen (Art. 1 Ziff. 1 lit. b EmpCo-RL). Allgemein (und damit gegebenenfalls verboten) ist eine solche Umweltaussage, wenn sie „nicht auf demselben Medium klar und in hervorgehobener Weise“ spezifiziert wird. 

Erwägungsgrund 10 der EmpCo-RL stellt darüber hinaus klar, dass Begriffe, die etwa auch zur Kennzeichnung sozialer Eigenschaften dienen können („verantwortungsbewusst“, „nachhaltig“ o.ä.) nicht genutzt werden dürfen, wenn sie ausschließlich auf Umweltleistungen beruhen.

Die erweiterte UGP-RL enthält ferner das Verbot von Claims bezüglich:

  • eines Produkts oder Gewerbetreibenden als Ganzes, wenn sie tatsächlich nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts oder eine bestimmte Aktivität der Geschäftstätigkeit zutreffen (Ziff. 4b Anhang I UGP-RL);
  • beworbener Umweltauswirkungen, wenn diese lediglich auf CO2-Kompensation (Offsetting) beruhen (Ziff. 4c Anhang I UGP-RL); 
  • der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften (z.B. der Verzicht auf eine unzulässige Chemikalie), wenn diese Einhaltung als Besonderheit des jeweiligen Anbieters dargestellt wird (Ziff. 10a Anhang I UGP-RL).

Überdies gelten spezielle Informationsanforderungen hinsichtlich Umweltaussagen über künftige Umweltleistungen (Art. 6 Abs. 2 lit. d der UGP-RL).

Green Claims-Richtlinie: Detailregelungen und Ex-ante-Prüfverfahren

Die Green Claims-RL soll die infolge der EmpCo-RL überarbeitete UGP-RL als lex specialis ergänzen. Sie knüpft am Begriff der „Umweltaussage“ nach der EmpCo-RL an, beschränkt sich in ihrem Anwendungsbereich jedoch auf „ausdrückliche Umweltaussagen“, also solche, die in Textform erfolgen oder auf einem Umweltzeichen enthalten sind (Art. 2 Ziff. 2  Green Claims-RL), sowie auf Gütesiegel und vergleichbare Zeichen. Hierfür gelten umfangreiche Begründungs- (Art. 3 und 4 Green Claims-RL) und Kommunikationspflichten (Art. 5 und 6 Green Claims-RL). So ist etwa deutlich zu machen, ob sich die Aussage auf das gesamte Produkt oder nur einen Teil davon erstreckt, ob im Vergleich zu anderen Produkten eine bessere Umweltleistung erzielt wird und einer Verbesserung nicht an anderer Stelle negative Umweltauswirkungen entgegenlaufen. 

Die Befolgung der genannten Pflichten ist jeweils vor Einsatz der Umweltaussage zu überprüfen und zertifizieren zu lassen. Dafür ist ein hochformalisierter Prozess vor einer amtlich akkreditierten Stelle zu durchlaufen, an dessen Ende – bei Erfolg – die Ausstellung einer Konformitätsbescheinigung steht (Art. 10 und 11 Green Claims-RL). Es sei darauf hingewiesen, dass das soeben beschriebene Verfahren (Begründung – Kommunikation – Prüfung – Zertifizierung) ggf. erneut durchzuführen ist (Art. 9  Green Claims-RL), und zwar, sobald die Richtigkeit einer Umweltaussage durch neue Umstände in Frage steht. Unabhängig hiervon steht eine Wiederholung spätestens fünf Jahre nach der erstmaligen Bereitstellung der Informationen an.

Verstöße gegen die genannten Regelungen, etwa die Nutzung ausdrücklicher Umweltaussagen ohne vorherige Erlangung einer Konformitätsbescheinigung, sind durch Behörden der Mitgliedstaaten zu sanktionieren. Möglich sein sollen Geldbußen, die Einziehung von Einnahmen, die mit den unrechtmäßig beworbenen Produkten generiert wurden, sowie der vorübergehende Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren (Art. 17 Green Claims-RL). 

Bewertung: Von Greenwashing zu Greenhushing?

Die für das vorgestellte Richtlinien-Paket genannten Ziele leuchten ein: Verbraucher in der EU sollen durch klare, relevante und zuverlässige Angaben informierte Kaufentscheidungen treffen können. Für ein „nachhaltiges Konsumverhalten“ müssen sie wissen, welche Produkte welche Umweltvorteile bieten. Außerdem soll eine EU-weite Harmonisierung bei ökologisch nachhaltigen Produkten für gleiche Ausgangsbedingungen und mehr Wettbewerb sorgen.

Ob die Richtlinien diesem zweiten Aspekt, der Angleichung rechtlicher Anforderungen, ausreichend Rechnung tragen, bleibt zweifelhaft. Schon die alte Fassung der UGP-RL hat zu keiner durchgreifenden Vereinheitlichung der Bewertung einiger durch sie erfasster wettbewerbsrechtlicher Aspekte geführt. Dem kann entgegengehalten werden, dass der höhere Umfang und Detailgrad der neuen Bestimmungen zu – in der Gesamtschau – tatsächlich ähnlicheren Rechtsregimen führen wird. Auch werden die Mitgliedstaaten so von eigenen gesetzgeberischen Initiativen abgehalten, die sie in Abwesenheit einer europarechtlichen Kodifikation womöglich ergriffen hätten. Dennoch: Hinsichtlich umweltbezogener Werbung wird Raum für nationale Unterschiede fortbestehen. Dieser ergibt sich aus den legislativen Ausgestaltungsspielräumen, dem erheblichen Auslegungsbedarf der Vorschriften sowie nicht zuletzt aus der jeweils nationalen Kompetenz zur Normendurchsetzung.

Schwerer wiegen Fragen, die sich im Hinblick auf das vorrangige Ziel der Richtlinien ergeben, dem Impuls für ein nachhaltigeres Wirtschaften:

Bei einem Großteil der durch die EmpCo-RL vorgesehenen Regeln mögen sich der Zweck und der durch sie in der Unternehmenspraxis verursachte Aufwand noch die Waage halten. Auch insoweit kommt es zwar zu einem Konflikt mit dem Ziel des Bürokratieabbaus; die Mehrbelastung geht aber nicht unbedingt so weit, dass Unternehmen auf die Nutzung der regulierten Aussagen von vorherein verzichten (Greenhushing). Als Beispiel sei die Untersagung von auf Offsetting fußenden Aussagen zur CO2-Neutralität genannt. Das Verbot kann durch hinreichend spezifizierte Aussagen (z.B. zur Anzahl gepflanzter Bäume) ohne allzu großen Aufwand umgangen werden, wenngleich in voraussichtlich weniger Marketing-tauglicher Form. Ob damit dem eingangs erwähnten EU-Ziel drei Milliarden zusätzlicher Bäume gedient ist, steht auf einem anderen Blatt. 

Das komplexe Zertifizierungsverfahren jedoch dürfte das ohnehin erhebliche Maß an Bürokratie übermäßig aufblähen. Zu denken gibt außerdem der äußerst weite Anwendungsbereich der EmpCo-RL. Da eine Umweltaussage in jeder Form und sogar stillschweigend erfolgen kann, wird grundsätzlich jeder ökologische Anstrich eines Produkts oder einer Geschäftstätigkeit Verdacht auslösen und eine interne Prüfung nach sich ziehen können. 

„Die vorgesehene Vorabprüfung von Umwelt-Claims in jedem Einzelfall ist mit der im Marketing typischen Dynamik nicht zu vereinbaren. Neben diesem zeitlichen Gesichtspunkt fallen der organisatorische und finanzielle Aufwand ins Gewicht.“ 

                                                           – Dr. Benjamin Lotz

Der aktuelle Entwurf der Green Claims-RL schießt über das verfolgte Ziel hinaus. Die vorgesehene Vorabprüfung von Umwelt-Claims in jedem Einzelfall ist mit der im Marketing typischen Dynamik nicht zu vereinbaren. Neben diesem zeitlichen Gesichtspunkt fallen der organisatorische und finanzielle Aufwand ins Gewicht. Die EU-Kommission hat diesen Aspekt selbst kritisch reflektiert. Sie rechnet – je nach Art der Aussage und Anzahl der Produkte – mit Kosten zwischen 500 EUR und 54.000 EUR. Zur Beruhigung trägt diese Schätzung nicht bei, schon deshalb, weil ein Claim überhaupt nur im Erfolgsfall, also bei Ausstellung einer Konformitätsbescheinigung, genutzt werden und entstandene Kosten rechtfertigen kann. Darüber hinaus sorgt Art. 9 Green Claims-RL, wie aufgezeigt, dafür, dass es mit der einmaligen Absolvierung des Prüfverfahrens nicht getan sein muss. 

Die EU-Kommission hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es ja den Unternehmen überlassen sei, „ob sie Umweltaussagen in ihre freiwillige kommerzielle Kommunikation aufnehmen (oder nicht)“ und die Unternehmen dadurch „ihre Kosten regulieren“ könnten – Greenhushing als offiziell erwogene Handlungsalternative. Man gewinnt den Eindruck, die EU, den „European Green Deal“ stolz auf der Brust tragend, läuft Gefahr mit der Green Claims-RL über sich selbst zu stolpern. Auch Maßnahmen im Rahmen eines „grünen“ Wirtschaftens entziehen sich keiner Kosten-Nutzen-Analyse. Höherer organisatorischer, finanzieller und zeitlicher Aufwand würde der Praxis von Unternehmen, sich durch umweltschonendes Agieren im Markt zu differenzieren, einen herben Dämpfer verpassen; ein wesentlicher Anreiz für die Entwicklung nachhaltiger Produkte ginge verloren.

Über den Autor

Dr. Benjamin Lotz, LL.M. (Hong Kong University) ist Counsel am Berliner Standort von Dentons sowie Mitglied der Praxisgruppe Intellectual Property and Technology. Er berät nationale wie internationale Unternehmen bei Rechtsangelegenheiten in den Bereichen Technologie, Medien und IP, insbesondere hinsichtlich der für digitale und content-bezogene Geschäftsmodelle geltenden regulatorischen Anforderungen.  

Hinweis: Begriffe wie „Verbraucher“ beziehen sich hier auf die Legaldefinitionen und werden daher im generischen Maskulinum verwendet.

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