Insbesondere die Begründung der EFRAG offenbart die besondere Herausforderung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie sind zwar nicht unmittelbarer Normadressat und fallen oftmals nicht unter die Regelung, werden – wie sich zeigen wird – jedoch im zweiten Schritt durch die Weitergabe der Berichtspflichten großer Unternehmen mittelbar einbezogen und entsprechend verpflichtet. Hier deutet sich bereits an, dass die Berichtspflichten im Wege der mittelbaren Betroffenheit für kleine und mittelständische Unternehmen eine zunehmende Bedeutung erlangen. Dies gilt über das Lieferkettenmanagement im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz insbesondere auch für die Unternehmensfinanzierung, die stärker an Nachhaltigkeitsvorgaben ausgerichtet wird.
Die mittelbare Wirkung der Berichtspflichten in der Wertschöpfungs- und Lieferkette
Wie umfassend und komplex die Nachhaltigkeitsanforderungen und Berichtspflichten in der Wertschöpfungs- und Lieferkette für die gesamte Wirtschaft wirken können, kann anhand des Beispiels des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz veranschaulicht werden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wurde intensiv über die Ausgestaltung der Schwellenwerte gerungen, um die unmittelbare Anwendbarkeit der Regelung für die Unternehmen festzulegen. Ziel war es, durch möglichst hohe Schwellenwerte und einer schrittweisen Einführung die kleinen und mittelständischen Unternehmen weitgehend aus dem Anwendungsbereich zu nehmen bzw. die Belastung für den Mittelstand möglichst abzufedern. Jedoch hat sich – wie von der Wirtschaft prognostiziert – im Rahmen der Umsetzung gezeigt, dass die erforderliche Rechtsbefolgung der komplexen Anforderungen zu einem Dominoeffekt geführt hat: Um die gesetzlich geforderte Risikobewertung zu erfüllen, haben die unmittelbar vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffenen Unternehmen ihre Tier-1-Lieferanten mit Codes of Conduct konfrontiert und auf den Nachweis der Achtung der Menschenrechte in der Lieferkette gedrungen. Realistischerweise konnte eine eigenständige individuelle Risikoprüfung auf Herz und Nieren von den unmittelbar gesetzlich betroffenen Unternehmen aufgrund der umfangreichen Vorgaben in Verbindung mit den hohen Lieferantenanzahlen ohnehin nicht erwartet werden. Bei den großen Unternehmen bestehen teilweise fünf- bis zu sechsstellige Lieferantenbeziehungen bereits auf der ersten Lieferantenstufe, von denen sich jährlich erfahrungsgemäß zwischen fünf und 15 Prozent austauschen. Und auch die Lieferanten und lediglich mittelbar betroffene Unternehmen haben sich ihrerseits desselben Instruments bedient und haben ihre Codes of Conduct an ihre Lieferanten weitergegeben bzw. an ihre unmittelbaren Lieferanten entsprechende Abfragen adressiert. Es ist darüber hinaus zu erwarten, dass sich dieser Dominoeffekt im Zuge der europäischen CSDDD-Umsetzung perpetuieren wird, da an die Unternehmen wesentlich umfangreichere Anforderungen gestellt werden. Insoweit muss die Frage aufgeworfen werden, wie die stetig steigenden gesetzlichen Anforderungen Compliance-gerecht erfüllt werden können, um den umfangreichen neuen Berichtspflichten zu entsprechen, ohne eine Bugwelle administrativer Belastungen auszulösen.
Berichtspflichten kein Selbstzweck
Die grundsätzliche Zweckmäßigkeit ausgewogener und praxisgerechter Berichtsformate wird selten in Zweifel gezogen. Mit dem Einstieg in die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsthemen kann mehr als der Zweck, reine Unternehmensinformationen zur Verfügung zu stellen, erreicht werden. Vielmehr gewinnt die Nachhaltigkeit mit der Berichterstattung zumeist auch unmittelbar Einfluss auf die Unternehmensstrategie. So wird Nachhaltigkeit im berichtenden Unternehmen nicht nur als singuläres oder als separates Thema aufgefasst, sondern erwächst in gewisser Weise zum Paradigma.
Diese positive Erkenntnis konnte im Rahmen eines Projekts der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie,³ bei dem der Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung für KMUs gefördert wurde, gewonnen werden. Jedoch hat sich auch gezeigt, dass die Berichterstattung kein alleiniger Selbstzweck sein darf. Insbesondere dann, wenn hieran auch rechtliche Folgen geknüpft sind. Für die Akzeptanz der Berichtspflichten ist zwingend erforderlich, dass eine praxisgerechte Informationsgewinnung möglich ist und die Nachhaltigkeitsberichte auch ausgewogene und praxisnahe Informationen für Dritte bereitstellen. Es geht im Wesentlichen um den Mehrwert, der durch die gewonnenen Informationen entstehen kann. Dies umso mehr, wenn auch kleine und mittelständische Unternehmen in die Pflicht genommen werden.
Noch ein gutes Stück vom Ziel entfernt
Zahlreiche Beispiele für eine verfehlte Architektur der Berichterstattung ließen sich finden. Jedoch wird eine praxisgerechte und ausgewogene Fortentwicklung allein mit einem ständig mäkelnden Blick in den Rückspiegel die bestehenden Fehlwirkungen nicht beseitigen. Von Seiten der Politik wird nahezu einhellig betont, dass die Entwicklung der Nachhaltigkeitsberichtspflichten nicht mehr zurückgedreht werden kann. Im Gegenteil: Sowohl auf der europäischen als auch auf der nationalen Ebene wurde der Umfang der Berichtspflichten in den letzten Jahren massiv erhöht. Umso mehr gilt es, pragmatische und administrierbare Lösungen zu finden. Dies erfordert insbesondere, eine Verzahnung der Berichtspflichten vorzunehmen und Schnittmengen zu nutzen, um parallele Datenerhebungen zu vermeiden.
Ziel muss sein, der inflationären Entwicklung neuer Berichtspflichten und -formate Einhalt zu gebieten. Hierzu bedarf es der besseren Abstimmung sowohl auf der Ebene der Politik als auch auf der administrativen Ebene.
Als Ausgangspunkt bietet sich die CSRD mit ihrem breiten Anwendungsbereich an. Ziel muss sein, der inflationären Entwicklung neuer Berichtspflichten und -formate Einhalt zu gebieten. Hierzu bedarf es der besseren Abstimmung sowohl auf der Ebene der Politik als auch auf der administrativen Ebene. Nicht jede neue Nachhaltigkeitsregulierung bedarf ihrer eigenen Berichtsformate. In diesem Zusammenhang wäre es angebracht, zahlreiche Informationen vor die Klammer zu ziehen, um für unterschiedliche Anforderungen genutzt werden zu können.
Darüber hinaus bedarf es klarer Regelungen, die der digitalisierten Administration zugänglich sind. Unbestimmte Anforderungen mit Wertungsentscheidungen müssen unterbleiben, um den Weg für die Künstliche Intelligenz zu eröffnen.
Ziel muss eine ausgewogene und praxisgerechte Nachhaltigkeitsberichterstattung mit Augenmaß sein, die alle wesentlichen Wirtschaftsaktivitäten mit Nachhaltigkeitsbezug und entsprechenden Beiträgen für die Transformation angemessen erfasst. Davon sind wir jedoch noch ein gutes Stück entfernt.
Berthold Welling
ist Geschäftsführer des VCI – Verband der Chemischen Industrie e.V. mit 1.900 Unternehmensmitgliedern der Unternehmensbereiche Chemie und Pharma. Er ist für Recht und Steuern verantwortlich.
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[1] Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen.
[2] Verordnung (EU) 2023/1115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt.
[3] Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959).
[4] Verordnung (EU) 2023/956 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems.
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