Die Notwendigkeit der Transformation der Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen Ökonomie, die ressourcenschonend, artenschützend, treibhausgasneutral sowie sozial gerecht ist und die die Menschenrechte schützt, ist in weiten Teilen (im geografischen, politischen und sozialen Sinne) der Welt „common sense“, wenn auch leider nicht in allen. Wie dieser Umbau vollzogen werden soll, mit welchen Mitteln, in welcher Absolutheit bzw. mit welchen Kompromissen mit Blick auf andere wirtschaftliche und politische Zielsetzungen und vor allem auch, in welcher Zeitspanne die Ziele erreicht und Maßnahmen umgesetzt werden sollen – das ist deutlich umstrittener. Letztlich kommt es bei der Regulierung auf eine effektive Lenkungswirkung an, also darauf, ob mit den (durch)gesetzten Regeln ein nachhaltige(re)s Wirtschaften erreicht, die dazu erforderliche Motivation der Akteure gefördert und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aufrechterhalten werden. Genau dies ist die erklärte Zielsetzung der EU mit dem 2019 ins Leben gerufenen „Green Deal“, nämlich Klimaneutralität bis 2050 unter gleichzeitiger Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erreichen. Zur Erfüllung dieser Zielsetzung wurden u.a. auch weitreichende Sorgfalts- und Berichtspflichten für Unternehmen eingeführt.
Nun mehren sich jedoch die Stimmen, die das Schlimmste befürchten, nämlich die Verfehlung der Klimaziele bei gleichzeitig nachhaltiger Schädigung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Wirtschaft. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist aber keine Option. Die verantwortlichen Akteure müssen stattdessen in einem ideologiefreien, kritisch-konstruktiven Dialog die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsbürokratie vor dem Hintergrund ihrer Effektivität und Effizienz immer wieder auf den Prüfstand stellen und – wo nötig – anpassen.
Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit: Chancen und Risiken der ESG-Regulierung
Ein erstes Problem scheint mir bereits in dem für diese Debatte zentralen Begriff der Nachhaltigkeit zu liegen, gewissermaßen ein „moving target“, denn: Der Begriff ist zwar nicht vollständig unbestimmt, lässt systematisch jedoch Definitionsspielräume offen. Das zeigt sich exemplarisch etwa an der Einstufung von Atomkraft und Erdgas durch die EU als grundsätzlich umweltfreundlich sowie an der anhaltenden Kontroverse um die Nachhaltigkeitsbeurteilung der Rüstungsindustrie. Übergeordnete politische Erwägungen und situative historische Bedingungen sind meinungs- und begriffsbildend. Daher ist mitnichten von einer feststehenden Vorstellung einer nachhaltigen Ökonomie auszugehen. Darüber hinaus setzt die Nachhaltigkeitstransformation selbst Innovationen in Gang, die wiederrum Nachhaltigkeitsherausforderungen bereithalten, wie nicht nur der intendierte Umstieg auf die E-Mobilität zeigt. Selbstverständlich muss darum auch auf Unternehmensebene permanent neu darüber nachgedacht und entschieden werden, welche Ziele und Strategien für eine nachhaltige Unternehmensführung sinnvoll sind und wie diese erreicht und umgesetzt werden können. Die Formel „einmal nachhaltig, immer nachhaltig“ würde der Komplexität, Vieldeutigkeit und Dynamik des Themas jedenfalls nicht gerecht.
Fest steht meines Erachtens indes, dass derzeit zu viele neue Nachhaltigkeitsregeln (zusätzlich zu anderen Compliance-Regeln, wie z.B. im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder der Geldwäsche) auf einmal auf die Unternehmen zurollen. Deren Umsetzung scheint insbesondere für den Mittelstand kaum noch möglich. Zu den genannten Gesetzen kommen noch die Regelungen des „Carbon Border Adjustment Mechanism“ – CBAM (Verordnung (EU) 2023/956), mit dem das Risiko der Verlagerung von treibhausgasemittierenden Produktionsstätten in Länder außerhalb der EU vermieden werden soll bzw. entsprechende „schmutzige“ Importe bepreist werden. Unternehmen müssen dazu die in ihren Einfuhren enthaltene Treibhausgasemissionen melden. Außerdem sind Unternehmen, die mit Nachhaltigkeit werben wollen, künftig nach der Green Claims Directive verpflichtet, ihre diesbezüglichen Werbebotschaften wissenschaftlich zu belegen und einer akkreditierten Prüfstelle vorzulegen, die dann eine Konformitätsbescheinigung ausstellt. Selbstverständlich ist es gut, wenn „Greenwashing“ bekämpft wird und es entsprechende regulatorische Vorgaben und Anreize gibt, die die ehrlichen Unternehmen belohnt und Verbraucher:innen schützt. Aber dass ein solcher Bürokratie-Ansatz auch scheitern und ehrliche Unternehmen abschrecken kann, liegt auf der Hand. Regeln müssen also die richtigen Anreize setzen. Von den Betroffenen darf nur verlangt werden, was auch umgesetzt werden kann. Unternehmen brauchen Zeit und Ressourcen. Beides haben sie nicht in erforderlichem Maße, erst recht nicht in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation.
Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung brauchen unternehmerisches Engagement
ESG-Reporting ist die Glasur auf dem Kuchen und nicht der Kuchen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist kein Ersatz für Nachhaltigkeitsmanagement. Trotz aller ungeliebter Regulierung, sollten Unternehmen ihre Geschäftsmodelle darum sehr genau hinterfragen und auf Nachhaltigkeitspotenziale hin untersuchen. Dass dies viele schon tun, ist kein Argument dagegen, dass es nicht noch intensiviert und verbessert werden kann. Im Grunde müssen alle Unternehmen erfasst werden, wenn die Nachhaltigkeitstransformation gelingen soll. Bei allem berechtigten Lamento − die neuen Regeln sind Realität und Unternehmen sollten das Beste daraus machen.
Die erwähnten Datenpunkte können beispielweise dafür genutzt werden, die für das eigene Geschäft neuralgischen Stellen für das Chancen- und Risikomanagement zu identifizieren. Unternehmen sollten darüber hinaus offener und professioneller mit den in ihren Geschäftsmodellen lauernden ökologischen und sozialen Problemzonen umgehen, d.h., die eigenen Einflussmöglichkeiten zur Beseitigung möglicher ökologischer und sozialer Missstände zu identifizieren. Es gilt klar zu benennen, wofür man Verantwortung übernehmen kann (und wird) und wo diese in Ermangelung der Einflussmöglichkeiten abgelehnt werden muss. Unternehmen sollten daher auf ein Management der Unternehmensverantwortung umstellen, das umfassend zu denken und zu organisieren ist. Dieses Konzept beinhaltet ein Chancen- und ein Risikomanagement und integriert freiwillige Standards (Werte) und verpflichtende Maßstäbe (Gesetze) zu einem holistischen Anforderungsprofil für das unternehmerische Handeln. Es setzt auf die Entwicklung einer Integritätskultur in Unternehmen, die ethisch ambitioniert ist und sich einem dauerhaften und realistischen Nachhaltigkeits-Performance-Check unterwirft. Das wäre der Kuchen. Dann müsste mit der Zeit auch die Glasur gelingen.
Fazit
Regulatorische Anreize für die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft sind wichtig, die Bürokratiekosten der ESG-Berichterstattung und zur Erfüllung der Dokumentation der geforderten Sorgfaltspflichten scheinen derzeit aber zu hoch. Die Unternehmen sind überfordert. Als alternativer Ansatz zur Regulierung im Bereich der Lieferkettensorgfaltspflichten hätte man sich auch ein allgemeines Compliance- bzw. Unternehmensverantwortungs-Anreiz-Gesetz vorstellen können, das, ähnlich der US Sentencing Guidelines for Organizations eine Haftungsminderung für diejenigen Unternehmen vorsieht, die effektive Maßnahmen zur Prävention und Aufdeckung von Fehlverhalten vorweisen können.[3] Im Falle der Menschenrechts-Compliance lag und liegt mit den UN Guiding Principles on Business and Human Rights ein materieller internationaler Referenzstandard vor, so wie es im Bereich der Anti-Korruptions-Compliance etwa durch entsprechende Guidance Manuals ebenfalls der Fall ist (z.B. denen der Internationalen Handelskammer (ICC), dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) oder dem UK Bribery Act (UKBA)).[4] Solche Vorgaben böten einen erheblichen Anreiz zu einer zielgenauen und risikoorientierten Selbststeuerung der Unternehmen im Sinne des vorgeschlagenen Konzepts eines Managements der Unternehmensverantwortung.
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