Arne Fuchs & Nicolas Nohlen (Ashurst LLP)

Ein großer Wurf?

Die geplante Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts

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Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 01. Februar 2024 seinen Referentenentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts veröffentlicht. Diese Reform ist zu begrüßen, wenn nicht sogar lange überfällig. Die vom BMJ angestrebten Ziele dürften durch die vorgeschlagenen Neuerungen allerdings nicht vollumfänglich erreicht werden.

Die letzte umfassende Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts liegt mehr als 25 Jahre zurück. Seitdem ist national und international viel passiert:

(i) Bereits seit 2006 gibt es durch die Überarbeitung des Modellgesetzes der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UNCITRAL-Modellgesetz) einen neuen internationalen Standard für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, auf dessen Basis viele Staaten ihre Schiedsordnungen bereits modernisiert haben;

(ii) die Digitalisierung der Welt schreitet zunehmend voran; und

(iii) die sog. Achmea-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat gänzlich neue prozessuale Probleme im Zusammenhang mit Investitionsschiedsverfahren hervorgebracht.

Zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts hat das BMJ im April 2023 ein Eckpunktepapier erstellt[1] und kürzlich den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts veröffentlicht.[2] Zentrales Ziel dieses Gesetzesvorhabens ist die punktuelle Änderung des 10. Buchs der Zivilprozessordnung, um das deutsche Schiedsverfahrensrecht „an die Bedürfnisse der heutigen Zeit anzupassen, seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen und die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort zu stärken.“[3]

Einige der geplanten Neuerungen werden hier vorgestellt und aus Sicht der Praxis bewertet. Ferner werden Reformvorschläge aufgezeigt, die aktuell nicht vorgesehen sind, aber einen (weiteren) Beitrag zur Erfüllung der Ziele des Referentenentwurfs leisten könnten.

Formloser Abschluss von Schiedsvereinbarungen

Schiedsvereinbarungen müssen bisher „entweder in einem von den Parteien unterzeichneten Dokument oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Fernkopien, Telegrammen oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen, enthalten sein“ (§ 1031 Abs. 1 ZPO). Ist die Schiedsvereinbarung für die Parteien ein Handelsgeschäft, soll sie künftig auch formlos abgeschlossen werden können; der Inhalt muss nur auf Verlangen einer Partei in Textform bestätigt werden (§ 1031 Abs. 4 ZPO-E).

Der Vorschlag soll die im Jahr 2006 eingeführte Option II des Art. 7 des UNCITRAL-Modellgesetzes und somit eine internationale Rechtsentwicklung nachzeichnen.[4] Ein Bedürfnis für formfreie Schiedsvereinbarungen soll nach dem Referentenentwurf insbesondere bei globalen Lieferketten und komplexen Rahmenverträgen bestehen.[5] Praktische Probleme erwartet das BMJ nicht.[6] 

Zwar sehen auch andere Rechtsordnungen einen formlosen Abschluss von Schiedsvereinbarungen vor, die entsprechenden Staaten sind aber regelmäßig nicht dafür bekannt, besonders attraktive Schiedsstandorte zu sein.[7] Vielmehr steht zu befürchten, dass diese gut gemeinte Lockerung der Formanforderungen zusätzliches Streitpotenzial erzeugt. 

Der Nachweis einer formfrei abgeschlossenen Schiedsvereinbarung ist naturgemäß schwierig. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frage der Nachweisbarkeit erst relevant wird, wenn bereits ein Streit entstanden ist. Jedenfalls eine der Streitparteien hat in diesem Fall häufig ein Interesse daran, die Rechtsdurchsetzung zu erschweren und/oder zu verzögern. Da die Entscheidung eines deutschen Schiedsgerichts über die Existenz einer Schiedsvereinbarung voll reversibel ist (vgl. §§ 1059 Abs. 2 Nr. 1a, 1060 Abs. 2 ZPO), besteht zudem durchweg Rechtsunsicherheit.[8] Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Verweis auf das nationale Handelsrecht international zu Verständnisproblemen und so ebenfalls zu Rechtsunsicherheit führen kann.[9] Ob ein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 HGB vorliegt, wird nicht nur ausländische Parteien vor Herausforderungen stellen, sondern wirft auch im Hinblick auf die Qualifikation ausländischer Gesellschaften als „Kaufmann“ unter Umständen komplexe Fragen auf. 

Ferner bleibt abzuwarten, ob formlose Schiedsvereinbarungen insbesondere bei der Anerkennung von Schiedssprüchen zu Problemen führen werden, wenn Rechtsordnungen (wie in Art. II des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen) für die gegenseitige Anerkennung von Schiedssprüchen eine „schriftliche Schiedsvereinbarung“ verlangen.[10]

In der Beratungspraxis wird weiterhin zu empfehlen sein, dass für alle relevanten wirtschaftlichen Vorgänge Schiedsvereinbarungen auch künftig verschriftlicht werden.[11] Eine für die Praxis besonders relevante Gesetzesänderung dürfte daher in der Formfreiheit für Schiedsvereinbarungen nicht liegen. Fallstricke treffen insbesondere unerfahrene und ausländische Nutzer:innen, was letztendlich die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort beeinträchtigen kann. Da die gegenwärtige Regelung bereits ein hohes Maß an Flexibilität eröffnet, ist diese Änderung im Ergebnis nicht zu begrüßen.

Gerichtliche Überprüfung negativer Zuständigkeitsentscheidungen

Bislang sieht das deutsche Schiedsverfahrensrecht keine Möglichkeit vor, negative Zuständigkeitsentscheidungen eines Schiedsgerichts gerichtlich überprüfen zu lassen. Der neue § 1040 Abs. 4 ZPO-E soll dies künftig durch die Normierung eines neuen Aufhebungsgrundes ermöglichen. Laut BMJ wird hierdurch eine „Lücke im bisherigen gerichtlichen Rechtsschutzsystem“ geschlossen.[12]

Einerseits sichert der neue Aufhebungsgrund ab, dass die Verfahren, in denen sich die Parteien auf eine (inhaltliche) Entscheidung durch ein Schiedsgericht geeinigt hatten, auch tatsächlich von einem Schiedsgericht entschieden werden. Insofern wirkt die geplante Regelung zunächst schiedsfreundlich, indem sie den Zugang zu den Schiedsgerichten verbessert. Die Zahl fälschlicherweise erlassener Zuständigkeitsentscheidungen dürfte andererseits in der Praxis gering sein.

Zudem kann hinterfragt werden, warum die Parteien nicht (ohne Möglichkeit einer Überprüfung durch staatliche Gerichte) an eine ablehnende Entscheidung des Schiedsgerichts zur Zuständigkeit gebunden sein sollten. Schließlich sind die Parteien auch an eine unrichtige Entscheidung des Schiedsgerichts in der Sache gebunden. Dass die Bewertung eines staatlichen Gerichts grundsätzlich „richtiger“ ist als die eines Schiedsgerichts, ist nicht ersichtlich. Anders als eine falsch-positive Zuständigkeitsentscheidung berührt eine falsch-negative Entscheidung des Schiedsgerichts auch nicht den Justizgewährungsanspruch der Parteien.[13] Die Parteien können grundsätzlich, nach Erhalt einer negativen Zuständigkeitsentscheidung durch ein Schiedsgericht, vor den staatlichen Gerichten Rechtsschutz ersuchen.[14]

Die Einführung des § 1040 Abs. 4 ZPO-E würde außerdem dazu führen, dass Schiedsgerichte, die sich selbst für unzuständig halten, von staatlichen Gerichten gezwungen werden könnten, eine Entscheidung zu treffen.

Videoverhandlungen und elektronische Schiedssprüche

Schiedsgerichte sollen mündliche Verhandlungen nach „Anhörung der Parteien auch per Bild- und Tonübertragung (Videoverhandlung) durchführen“ dürfen, solange die Parteien nichts anderes vereinbart haben (§ 1047 Abs. 2 ZPO-E).

Der Referentenentwurf spiegelt damit eine bereits gelebte und etablierte Praxis wider. Darüber hinaus beseitigt der Entwurf die Unsicherheit, ob das Schiedsgericht mündliche Verhandlungen auch gegen den Willen einer Partei per Videokonferenz durchführen kann, und stellt diese Frage ins Ermessen des Schiedsgerichts.[15] Die knappe Regelung eröffnet Spielräume, die durch das Schiedsgericht durch Verfahrensverfügungen im Rahmen des laufenden Schiedsverfahrens geschlossen werden sollten.

Neben der klarstellenden Regelung zur Videoverhandlung trägt der Referentenentwurf der fortschreitenden Digitalisierung durch die geplante Regelung zur Ausfertigung des Schiedsspruchs in einem elektronischen Dokument Rechnung. Abweichend vom Leitbild eines Schiedsspruchs nach § 1054 Abs. 1 ZPO soll § 1054 Abs. 2 ZPO-E ermöglichen, dass der Schiedsspruch „auch in einem elektronischen Dokument enthalten sein“ kann, „das am Ende des Schiedsspruchs die Namen aller Mitglieder des Schiedsgerichts enthält und das jedes Mitglied mit seiner qualifizierten Signatur versehen hat“. Die geplante Regelung ist dispositiv, d.h. die Parteien können der Ausfertigung des Schiedsspruchs in einem elektronischen Dokument widersprechen. Nach dem Referentenentwurf soll die Rechtslage für Schiedssprüche an diejenige für gerichtliche Urteile und Beschlüsse angeglichen werden.[16]

Die Regelung zur Ausfertigung des Schiedsspruchs in einem elektronischen Dokument ist zu begrüßen. Die Möglichkeit würde den Prozess um den Erlass von Schiedssprüchen erheblich beschleunigen. Allerdings könnte die internationale Anerkennung bzw. Vollstreckung eines elektronischen Schiedsspruchs Probleme verursachen. Um dies zu vermeiden, sollte vorgesehen werden, dass das Schiedsgericht einen elektronischen Schiedsspruch nachträglich noch einmal in Papierform ausfertigen kann.[17]

Sondervoten

Künftig soll ein:e Schiedsrichter:in seine bzw. ihre in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu dem Schiedsspruch oder zu dessen Begründung in einem Sondervotum (Dissenting Opinion) niederlegen können (§ 1054a Abs. 1 ZPO-E). Das Sondervotum soll kein Bestandteil des Schiedsspruchs sein (§ 1054a Abs. 3 Satz 1 ZPO-E).

Mit der geplanten Regelung reagiert das BMJ auf ein obiter dictum [lat. nebenbei Gesagtes ohne Entscheidungsrelevanz, Anm. der Red.] des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main, [18] das international für nachhaltige Irritationen gesorgt hat. In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 hatte das OLG ausgeführt, dass vieles dafürspreche, dass die Offenlegung eines Sondervotums in inländischen Schiedsverfahren unzulässig sei und gegen das Beratungsgeheimnis verstoße. Es liege nahe, das Beratungsgeheimnis als Bestandteil des ordre public anzusehen,[19] so dass der Ausdruck einer Dissenting Opinion zur Aufhebung des Schiedsspruchs oder Problemen bei der Vollstreckung führen könnte. Da Sondervoten international etabliert sind, hat das obiter dictum des OLG Frankfurt am Main erhebliche Verunsicherung in Bezug auf den Schiedsstandort Deutschland geschaffen. Auch wenn die Sinnhaftigkeit von Sondervoten durchaus kritisch gesehen werden kann, trägt die geplante Regelung vor diesem Hintergrund zur Rechtssicherheit und Attraktivität des Schiedsstandorts Deutschland bei und ist zu begrüßen.

Veröffentlichung von Schiedssprüchen

§ 1054b ZPO-E regelt, dass das Schiedsgericht den Schiedsspruch und ein etwaiges Sondervotum mit Zustimmung der Parteien ganz oder in Teilen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form veröffentlichen oder eine solche Veröffentlichung veranlassen darf. Dies ist bereits nach geltender Rechtslage möglich. Eine Neuerung besteht darin, dass die Zustimmung einer Partei fingiert wird, „wenn diese der Veröffentlichung nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihr die Aufforderung zur Zustimmung durch das Schiedsgericht zugegangen ist, widersprochen hat und sie zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist“ (§ 1054b Abs. 1 Satz 2 ZPO-E).

Die geplante Regelung soll das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Interesse an Rechtsfortbildung mit dem Geheimhaltungsinteresse der Parteien und den Persönlichkeitsrechten anderer Verfahrensbeteiligter in Einklang bringen.[20]

Der Vorschlag ist zu begrüßen. Die Vorschrift, insbesondere der Ansatz einer Zustimmungsfiktion der Parteien, stärkt die Entscheidungstransparenz in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit und fördert die Fortentwicklung des Rechts. Trotzdem ist wohl leider nicht mit einem erheblichen Anstieg der Veröffentlichungen von Schiedssprüchen zu rechnen.[21] Die Vertraulichkeit bleibt ein überragendes Interesse vieler Parteien, weswegen – leider – regelmäßig mit einer negativen Rückmeldung zu rechnen sein wird. Es gilt zudem zu vermeiden, dass Parteien von der nach Abschluss des Verfahrens bei Untätigkeit eintretenden Fiktion überrascht werden. Hier ist eine aktive, aufklärende Rolle des Schiedsgerichts bereits im laufenden Verfahren wünschenswert.

Restitutionsantrag

Gemäß § 1059a ZPO-E sollen Schiedssprüche künftig auch dann aufgehoben werden können, wenn die Frist für die Einreichung eines Aufhebungsantrags bereits abgelaufen ist, der oder die Antragssteller:in aber begründet geltend macht, dass die Voraussetzungen einer Restitutionsklage nach § 580 ZPO vorliegen. Mit Rücksicht auf das besondere Gewicht der Restitutionsgründe des § 580 ZPO soll mit der Neuregelung eine Möglichkeit geschaffen werden, die Rechtskraftwirkung von Schiedssprüchen bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auch nach Ablauf der Frist für die Einreichung eines Aufhebungsantrags (§1059 Abs. 2 ZPO) zu durchbrechen.[22]

Mit dem Verweis auf § 580 ZPO wird allerdings auf eine Regelung Bezug genommen, die selbst einer Reform bedarf. So bestehen insbesondere gegen § 580 Nr. 7b ZPO erhebliche rechtspolitische Bedenken.[23] Ferner ist zu befürchten, dass die Einführung eines weiteren Rechtsbehelfs zur Aufhebung von Schiedssprüchen einer schnellen und endgültigen Befriedung des Rechtsstreits, die oft treibende Kraft hinter einer Schiedsvereinbarung ist, schadet.[24] Auch ein missbräuchlicher Einsatz durch die unterlegene Partei ist denkbar.

Im Ergebnis ist die vorgeschlagene Regelung zum Restitutionsantrag daher nicht zu begrüßen.

Stärkung der englischen Sprache

Die durch den Entwurf des Justizstandort-Stärkungsgesetzes vorgesehene Errichtung von Commercial Courts an den Oberlandesgerichten (§ 119b GVG-E) soll auch für Schiedsverfahren nutzbar gemacht werden. Gemäß § 1062 Abs. 5 Satz 2 ZPO-E können die in § 1062 Abs. 1 ZPO-E genannten Verfahren, z.B. Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO-E), durch Landesrechtsverordnungen auf die Commercial Courts übertragen werden. Dort sollen die Verfahren vollständig in englischer Sprache geführt werden können, was allerdings einer weiteren Parteivereinbarung, jedenfalls aber der rügelosen Einlassung des anwaltlich vertretenen Antragsgegners bedarf (§ 1063a Abs. 1 ZPO-E). In Verfahren, die in deutscher Sprache geführt werden, sollen englischsprachige Dokumente vorgelegt werden können (§ 1063b Abs. 1 ZPO-E). Die Regelung für das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ist deutlich enger gefasst. Zwar sollen auch hier Verfahren grundsätzlich auf Englisch geführt werden können, allerdings nur wenn der BGH einem entsprechenden Antrag stattgibt (§ 1065 Abs. 3 ZPO-E). Kriterien dafür, wann dies erfolgen soll, sind nicht festgelegt.

Durch diese geplanten Reformen soll die englische Sprache als „lingua franca“ der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hervorgehoben und ihrer hohen praktischen Bedeutung entsprochen werden.[25] Dass die Stärkung der englischen Sprache zentrales Anliegen des Referentenentwurfs ist, wird auch dadurch verdeutlicht, dass das BMJ – erfreulicherweise – neben dem Referentenentwurf eine englische Übersetzung desselben veröffentlicht hat.[26]

Die geplanten Reformen zur Stärkung der englischen Sprache sind überaus begrüßenswert und werden sicherlich auch im internationalen Diskurs Beachtung finden. Die englischsprachige Verfahrensführung sollte allerdings nicht den Commercial Courts vorbehalten, sondern auch vor anderen Senaten möglich sein.[27] Das gilt insbesondere mit Blick auf Bundesländer, in denen (noch) keine Commercial Courts errichtet sind. Durch das dem BGH in § 1065 Abs. 3 ZPO-E eingeräumte Ermessen ist zudem unklar, ob die Parteien tatsächlich das gesamte Verfahren auf Englisch führen können werden oder ob vor dem BGH ein Sprachenbruch droht. Das Ziel des BMJ, Deutschland als attraktiven Justizstandort zu stärken, könnte durch einen etwaigen Wechsel der Verfahrenssprache verwässert (wenn nicht gar konterkariert) werden und dürfte insbesondere internationale Parteien von der Wahl des Gerichtsstandorts Deutschland abschrecken.[28]

Die geplanten Änderungen gehen (trotz der teils guten Ansätze) nicht weit genug.

Verpasste Chancen?

Die geplanten Änderungen gehen (trotz der teils guten Ansätze) nicht weit genug.  Insbesondere wäre Folgendes wünschenswert:

  • Für Aufhebungs- und Vollstreckungsverfahren sollte es eine Zuständigkeitskonzentration beim BGH geben. Dies würde gegenüber dem zweigliedrigen Instanzenzug eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis bewirken, die den Schiedsstandort Deutschland deutlich attraktiver machen und Wettbewerbsnachteile gegenüber den Nachbarn Schweiz und Österreich – wo eine solche Zuständigkeitskonzentration bereits besteht – beseitigen. Will man dieses Ziel wirklich erreichen, wäre dies wohl der wichtigste Schritt.
  • Deutschlands Attraktivität als Schiedsstandort hängt maßgeblich von einem attraktiven Vertragsrecht ab. In der Praxis vereinbaren die Parteien häufig einen Gleichlauf von Schiedsverfahrensrecht und materiellem Recht. Wettbewerbsnachteile bestehen hier insbesondere aufgrund des strengen deutschen AGB-Rechts selbst bei Business-to-Business-Verträgen. Teilweise wählen aus diesem Grund selbst zwei deutsche Unternehmen ausländisches materielles Recht und einen ausländischen Schiedsort. Um eine „Flucht ins ausländische Schiedsrecht“ zu vermeiden, sollte eine materiell-rechtliche Anpassung im Business-to-Business-Bereich erfolgen.[29]
  • Derzeit kann bei deutschen Gerichten bis zur Bildung des Schiedsgerichts ein Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden, auch wenn der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens im Ausland liegt oder noch nicht bestimmt ist (§§ 1025 Abs. 2, 1032 ZPO). Deutsche Gerichte haben diese Vorschrift jüngst unter Verweis auf die sog. Achmea-Rechtsprechung des EuGH und den Vorrang des Unionsrechts über ihren Wortlaut hinaus auch auf völkerrechtliche Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen angewandt, die losgelöst von jeder staatlichen Rechtsordnung existieren. Eine solche Anwendung war vom Gesetzgeber nie gewollt und verstößt gegen die ausdrücklichen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Der Gesetzentwurf ändert nichts daran. Vielmehr bestätigt der Gesetzesentwurf, dass die Vorschrift „inhaltsneutral auf alle Schiedsverfahren Anwendung“ finden soll.[30] Damit wird das völkerrechtswidrige Handeln der Bundesrepublik manifestiert. Gerade in Zeiten, in denen uns täglich vor Augen geführt wird, welche grundlegend wichtige Bedeutung das Völkerrecht hat, ist dies sehr bedauerlich. Daher sollten ICSID-Schiedsverfahren künftig – entsprechend der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland – vom Anwendungsbereich der §§ 1025 Abs. 2, 1032 ZPO ausgenommen werden.

Fazit

Das Ziel des BMJ – die Stärkung des Schiedsstandorts Deutschland – ist begrüßenswert. Die geplanten Neuerungen sind im Wesentlichen vernünftig und tragen dazu bei, bestehende Regelungslücken zu schließen und Unklarheiten zu beseitigen. In der Gesamtschau sind sie jedoch kein „großer Wurf“. Reformen, die wirklich eine Steigerung der Attraktivität des Schiedsstandorts Deutschland mit sich brächten, wären Regelungen wie die Zuständigkeitskonzentration beim BGH zur Überprüfung von Schiedssprüchen im Rahmen von Aufhebungs- und Vollstreckungsverfahren und die Entschärfung des AGB-Rechts im Business-to-Business-Bereich. Hier sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch nachgebessert werden.

Arne Fuchs, LL.M. (GWU) 

ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Ashurst LLP. Er leitet die globale Praxisgruppe der Kanzlei für internationale Schiedsverfahren.

Dr. Nicolas Nohlen, LL.M. (Yale)

ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Ashurst LLP. Er leitet die deutsche Dispute Resolution-Gruppe der Kanzlei.

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[1] BMJ, Eckpunkte zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts vom 18. April 2023, siehe https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/Eckpunkte_Schiedverfahrensrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zuletzt abgerufen am 08. April 2024).

[2] BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, siehe https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Modernisierung_Schiedsverfahrensrecht_2024.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 08. April 2024).

[3] Ebd. S. 1.

[4] Ebd. S. 24.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Vgl. etwa Art. 1227 der luxemburgischen Zivilprozessordnung.

[9] BUJ, Stellungnahme vom 13. März 2024, S. 3; DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 3, siehe https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Stellungnahmen/2024/0314_Modernisierung_Schiedsverfahrensrecht_DIS.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 08. April 2024).

[10] Vgl. auch Wagner, ZIP 2023, 1393, 1394; dagegen: BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 24; DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 2.

[11] Vgl. DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 2. 

[12] BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 28.

[13] Vgl. DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 4; DIS, Stellungnahme zum Eckpunktepapier 2023, S. 2, siehe https://www.disarb.org/fileadmin//user_upload/Ueber_uns/DIS-Mitteilungen/Stellungnahme_der_DIS_zu_den_Eckpunkten_zur_Modernisierung_des_deutschen_Schiedsverfahrensrechts.pdf (zuletzt abgerufen am 08. April 2024); Wolff, ZIP 2023, 1623, 1627.

[14] So auch Wolff, ZIP 2023, 1624, 1627; BGH, SchiedsVZ 2003, 39, 40.

[15] Vgl. auch Art. 21.3 der DIS-Schiedsordnung; vgl. Wolff, ZIP 2023, 1624, 1627; dafür: Gielen/Wahnschaffe, SchiedsVZ 2020, 257, 262; dagegen: Voit in: Musielak/Voit, ZPO, § 1047 Rn. 2.

[16] Vgl. § 130b Satz 1 ZPO; BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 35.

[17] So auch DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 6; BUJ, Stellungnahme vom 13. März 2024, S. 4.

[18] OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2020, 4606 Rn. 206.

[19] Ebd.

[20] BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 40.

[21] So auch Wolff, ZIP 2023, 1624, 1628.

[22] BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 44.

[23] Vgl. Musielak in: Musielak/Voit, ZPO, § 580 Rn. 15.

[25] BMJ, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, S. 14.

[26] BMJ, Übersetzung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vom 01. Februar 2024, siehe https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Modernisierung_Schiedsverfahrensrecht_2024_EN.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 08. April 2024).

[27] Vgl. DIS, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 8.

[28] BRAK, Stellungnahme Nr. 67/2023, S. 5, siehe https://www.bundestag.de/resource/blob/982618/0256268261857e85f975da9d26df4889/Stellungnahme-Fuhrmann_BRAK.pdf (zuletzt abgerufen am 08. April 2024).

[30] BJM, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, S. 22.

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