Digitalisierung – ein Thema für die Strategieabteilung
Wer in Deutschland mal eine juristische Vorlesung besucht hat, wird diesen Satz mehr als einmal gehört haben: „Wer will was, von wem und woraus?“ Mit diesem einfachen Merkspruch bringt man Studierenden den Einstieg in die (zivil-)rechtliche Anspruchsprüfung bei und begleitet einen jeden Juristen und jede Juristin das ganze Leben lang.
Was hat das mit Digitalisierung zu tun? Eine Menge! Setzen wir doch einmal den Begriff „Daten“ in den Merksatz ein: „Wer will welche Daten, von wem und woraus?“ Und schon ist man an den Grundfesten der eigenen Unternehmensstrategie angelangt. Das wird noch deutlicher, wenn man die Perspektive einmal konkretisiert: „Wer will welche Daten von mir und woraus kann dieser Anspruch angeleitet werden?“ Oder noch pointierter: „Wem muss ich welche Daten zur Verfügung stellen? Und zu welchen Bedingungen?“
Auf all diese Fragen enthält der Data Act die Antworten. Grundsätzlich muss der Dateninhaber in Zukunft dem Nutzer eines Vernetzten Produktes die Daten des vernetzten Produktes einfach, sicher, unentgeltlich in einem umfassenden, strukturierten, gängigen und maschinenlesbaren Format direkt zugänglich machen („access by design“), bereitstellen oder sogar einem Dritten herausgeben (siehe Art. 3, 4 und 5 des Data Acts).
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, wie man mit diesen Ansprüchen des Data Acts in der Praxis umgehen kann: Entweder man verhält sich situativ, prüft den Anwendungsbereich des Data Acts immer dort, wo es gerade vermeintlich relevant ist, sei es, weil Sie diesen Artikel gelesen haben oder Ihre Kunden sich auf einmal massenhaft mit Datenherausgabeverlangen an Sie wenden. Oder man setzt sich strategisch mit der Frage auseinander, wie man in Zukunft mit eigenen und fremden Daten umgehen möchte.
Schon aufgrund des Anwendungsbereichs des Data Acts sollte der strategische Weg gewählt werden. Der Data Act befasst sich mit den nicht-personenbezogenen Daten. Die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) über personenbezogene Daten bleiben auch weiterhin bestehen. Doch gerade bei gemischten Datensätzen kann nur derjenige eine klare Entscheidung über die Datennutzung treffen, der eine grundlegende Analyse aller Datenregelwerke vorgenommen hat. Im Übrigen ist dies auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht der einzig richtige Weg. Wenn Daten wirklich das „neue Öl“ unserer Zeit sein sollen, dann muss der Wert dieser Daten strategisch eingebunden und buchhalterisch bewertet werden. Ohne umfassende Datenstrategie ist das nicht möglich!
ICC Digital Standards Initiative
Die Digital Standards Initiative (DSI) hat im Frühjahr 2024 einen globalen Leitfaden zur einheitlichen Digitalisierung von Handelsdokumenten veröffentlicht, den "Key Trade Documents and Data Elements Report".
Die Vorteile eines solchen volldigitalen Datenaustauschs liegen auf der Hand. Medienbrüche und unnötige Datenreproduktionen gehören damit der Vergangenheit an. Die ICC Digital Standards Initiative hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass man für eine Transaktion im internationalen Außenhandel nur ca. 120 Datenpunkte benötigt. Diese jedoch bislang auf über 30 verschiedenen Dokumenten in verschiedenen Zusammenstellungen reproduziert werden (ICC DSI Key Trade Document Report). Zeitgleich profitiert man von der gesteigerten gerichtlichen Beweiswirkung dieser Daten, wenn man sie in die Fracht- und Lagerdokumente einfließen lässt.
Aktuelle Trends – Elektronische Wechsel und Digitale Orderlagerscheine
Um eben genau von dieser gesteigerten Beweiswirkung und den Vorteilen der digitalen Abwicklung zu profitieren, befassen sich immer mehr Beteiligte des nationalen und internationalen Handels mit zwei besonderen elektronischen Wertpapieren: Wechsel und Orderlagerschein.
Gerade der Solawechsel bietet sich für moderne Supply Chain Finance-Transaktionen sehr gut an. Die Zahlungsverpflichtung des Käufers wird im Wechsel verbrieft und kann auf dem Zweitmarkt durch Indossament an Dritte veräußert und somit zu liquiden Mitteln gemacht werden, ohne dass man dafür komplexe Mehrpersonenverträge aufsetzen müsste. Gerade jüngst ist dazu eine Studie von PwC, REWE und dem Verband deutscher Treasurer erschienen.
Auch die ICC Germany hat in der Vergangenheit schon ein Webinar mit der DZ Bank und Traxpay zur Renaissance des Wechsels durchgeführt. Die Resonanz dafür war enorm! Grund genug, erneut auf das Bundesministerium der Justiz zuzugehen. Die ICC Germany setzt sich für die Einführung digitaler Wechsel unter deutschem Recht ein und arbeitet an einem MLETR-konformen Vorschlag zur Umsetzung. Wer sich daran beteiligen möchte, ist herzlich dazu eingeladen.
Alle Unternehmen sind jetzt gut beraten, entweder eine eigene Datenstrategie zu entwickeln oder ihre eigene Strategie im Hinblick auf den Data Act zu überprüfen.
An anderer Stelle erlebt der Orderlagerschein seine ganz eigene Wiedergeburt. So sucht der klassische Edelmetallhandel gerade händeringend nach digitalen Lösungen zur Beschleunigung herkömmlicher Prozesse. Der Orderlagerschein hat dabei einen wesentlichen Vorteil: Er verbrieft nicht nur den Herausgabeanspruch gegen den Lagerhalter, sondern seine Übergabe ersetzt aufgrund der Traditionsfunktion auch die physische Übergabe des Gutes und erleichtert damit Transaktionen enorm. Das deutsche Recht erlaubt bereits seit 2013 den Einsatz elektronischer Lagerscheine, § 475c Abs. 4 S. 1 HGB. Offen ist noch die wertpapieraufsichtsrechtliche Einordnung. Doch die Abschaffung der Orderlagerscheinverordnung durch die Transportrechtsreform in 1998 dient als starkes Indiz für die Zerstreuung aufsichtsrechtlicher Bedenken. Im Übrigen ließen sich auch digitale Orderlagerscheine problemlos in die Systematik der MiCA-Verordnung als Kryptowert vornehmen.
Gerade für den digitalen Lagerschein wird dann das Zusammenspiel aus Data Act und Paperless Trade wieder besonders deutlich. So könnten Lagerhalter automatisch die Daten der Lagersensoriksysteme in den digitalen Lagerschein einpflegen. Dies müsste in Mehrpersonenverhältnissen jedoch zuvor rechtlich abgesichert werden.
Was ist jetzt zu tun?
Alle Unternehmen sind jetzt gut beraten, entweder eine eigene Datenstrategie zu entwickeln oder ihre eigene Strategie im Hinblick auf den Data Act zu überprüfen. Im Kern muss nur eine Frage beantwortet werden: Wer will welche Daten, von wem und woraus?
Dr. David Saive, LL.M.
ist Rechtsanwalt und Special Advisor, u.a. bei ICC Germany, für International Trade, Finance & Digitalization. Er berät Staaten, internationale Organisationen und Unternehmen bei der Digitalisierung des Außenhandels. Als Legal Product Owner unterstützt er dabei unmittelbar beim Softwareentwicklungsprozess.
Hinweis: Begriffe wie „Dateninhaber“ oder „Nutzer“ etc. beziehen sich hier auf die Legaldefinitionen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit und Einheitlichkeit wird in diesem Artikel grundsätzlich das generische Maskulinum verwendet. Dies erfolgt ausschließlich aus redaktionellen Gründen.
Header © MF3d – IStock ID: 1160614390
Container for the dynamic page
(Will be hidden in the published article)