Anne Reinacher (DIHK)

Zollbremse für chinesische E-Autos

Deutsche Unternehmen zwischen Handelsschutz und offenen Märkten

Am 29. Oktober 2024 führte die EU Zusatzzölle auf E-Autos aus China ein, die am 30. Oktober 2024 in Kraft traten. Damit möchte sie europäische Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen schützen. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sind die Ausgleichszölle eine Gratwanderung: Einerseits muss die EU Wettbewerbsverzerrungen konsequent angehen, andererseits könnten die Sonderzölle eine Zollspirale auslösen und deutschen Unternehmen den Zugang zum wichtigen chinesischen Markt erschweren.    

Was ist Handelsschutz?

Handelsschutzmaßnahmen sind Instrumente, die Regierungen ergreifen, um ihre Unternehmen vor unfairem Wettbewerb durch ausländische Konkurrenz zu schützen. Zu den häufigsten Maßnahmen zählen Antidumping- und Antisubventionszölle. Diese Instrumente kommen zum Einsatz, wenn ausländische Unternehmen ihre Produkte zu Dumpingpreisen (Ausfuhrpreis unter normalem Produktpreis) exportieren oder staatliche Subventionen erhalten, die ihnen auf dem internationalen Markt einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschaffen. 

Welche Rolle spielt die Welthandelsorganisation (WTO) dabei? Die WTO wacht über den freien und fairen Handel. Sie überprüft die Einhaltung internationaler Handelsregeln und vermittelt bei Handelskonflikten. Sie erlaubt Mitgliedsländern, Handelsschutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn nachweislich ein unfairer Wettbewerb besteht. Über die Hälfte der außereuropäischen Exporte deutscher Unternehmen beruhen einzig auf WTO-Regeln. Als WTO-Mitglied macht sich die EU für ein offenes, regelbasiertes Handelssystem stark. Verstoßen Drittstaaten mit unfairen Handelspraktiken wie Subventionen oder Dumping gegen WTO-Regeln, schützt die EU ihre betroffenen Wirtschaftszweige vor Wettbewerbsverzerrungen mit handelspolitischen Schutzinstrumenten.   

Im Fall der E-Autos aus China stehen Antisubventionsmaßnahmen im Mittelpunkt der Debatte. Die EU kann solche Maßnahmen verhängen, wenn chinesische Hersteller nachweislich staatliche Zuwendungen erhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre Fahrzeuge zu deutlich niedrigeren Preisen anzubieten, als es europäische Hersteller ohne solche Subventionen können. Diese subventionierten Produkte verzerren den Wettbewerb. Langfristig könnten sie europäische Unternehmen vom Markt verdrängen, Arbeitsplätze in der EU gefährden sowie die europäische Innovationskraft schwächen. Antisubventionsmaßnahmen sollen genau das verhindern: Zusatzzölle werden auf die subventionierten Produkte erhoben, um Preisunterschiede auszugleichen und faire Wettbewerbsbedingungen wieder herzustellen. 

Der Einsatz von Handelsschutzinstrumenten hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen: Ende 2023 hatte die EU im Vergleich zu 2018 53 zusätzliche Handelsschutzinstrumente eingeführt – ein Anstieg von 40%. Diese Maßnahmen bezogen sich größtenteils auf Antidumpingmaßnahmen gegen chinesische Importe. Gleichzeitig schützen Drittländer ihre Märkte gegen EU-Exporte. Insbesondere die USA nutzen Handelsschutzinstrumente (38) gegen EU-Exporte, gefolgt von China und der Türkei (jeweils 18). 

Wo drückt der Schuh bei deutschen Unternehmen?

Zölle, wie Handelshemmnisse jeglicher Art, schränken den Warenaustausch zwischen Handelspartnern ein und wirken sich negativ auf den internationalen Handel aus. Laut WTO haben Einfuhrbeschränkungen seit 2009 weltweit zugenommen. Vor zehn Jahren waren 2,5% der weltweiten Einfuhren von Einfuhrbeschränkungen betroffen. 2023 hatte sich dieser Wert mit 9,9% fast vervierfacht. 

Auch deutsche Unternehmen sehen sich laut DIHK-Umfrage „Going International 2024“ in ihrem internationalen Geschäft mit immer mehr Handelshemmnissen konfrontiert. 61% der Unternehmen – so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebung 2012 – haben im vergangenen Jahr eine Zunahme von Handelshemmnissen bei ihren internationalen Geschäften registriert. Knapp die Hälfte dieser Unternehmen (48%) nennt lokale Zertifizierungsanforderungen als Hemmnis; ähnlich verhält es sich mit Sanktionen (48%), gefolgt von verstärkten Sicherheitsanforderungen (40%). Rund jedes fünfte befragte Unternehmen (19%) beklagt höhere Zölle bei der Aus- und Einfuhr seiner Waren. Höhere Zölle nennen Unternehmen insbesondere beim Warenhandel mit dem UK, Nordamerika und China.  

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Unternehmen noch im China-Geschäft? Laut einer im Juni 2024 veröffentlichten Blitzumfrage der AHK Greater China planen nur rund die Hälfte der befragten Unternehmen (53%), in den nächsten zwei Jahren ihre Investitionen in China zu erhöhen – weniger als letztes Jahr (61%). Ein wichtiger Grund dafür ist der Preisdruck auf dem chinesischen Markt. Für gut 61% der Unternehmen stellt er die größte Herausforderung dar, gefolgt von einer schwachen Nachfrage (51%) und geopolitischen Spannungen (37%). 75% der Unternehmen stellen in ihrer Branche Überkapazitäten fest. Fast alle Unternehmen (96%) spüren deren Auswirkungen auf ihr Geschäft. Knapp die Hälfte der Unternehmen (49%) beobachten Überkapazitäten seit dem letzten Jahr und fast jedes zweite Unternehmen (47%) findet, dass sich die deutsche Regierung mehr für die Gleichbehandlung ausländischer und einheimischer Firmen in China einsetzen sollte.  

Die EU im Zoll-Dilemma – und deutsche Unternehmen?

Die EU-Kommission vermutete chinesische Wettbewerbsverzerrung im E-Autosektor und leitete im Oktober 2023 eine Untersuchung ein. Monatelang prüfte sie Hersteller in China und stellte wettbewerbsverzerrende Subventionen fest: Chinesische Hersteller können ihre E-Autos günstiger verkaufen als Hersteller, die der chinesische Staat nicht fördert. Deswegen sind die nun eingeführten EU-Ausgleichszölle herstellerspezifisch, d.h. je nach Höhe der festgestellten Subvention gelten unterschiedliche Zusatzzölle für Unternehmen. Im Juli 2024 gab die EU vorläufige Sonderzölle bekannt und passte diese in den darauffolgenden Wochen leicht an. Die Ende Oktober in Kraft getretenen Antisubventionsszölle liegen zwischen 7,8% (für Tesla) und 35,3% (z.B. für SAIC). Sie kommen zu den bestehenden 10% Zoll für in die EU eingeführte Autos hinzu.  

In der Frage, ob die EU Sonderzölle auf chinesische E-Autos erheben sollte oder nicht, waren die EU-Mitgliedstaaten allerdings gespalten. Am 04. Oktober 2024 stimmten zehn Staaten dafür (u.a. Frankreich, Italien), fünf dagegen (u.a. Deutschland) und zwölf enthielten sich. Die EU-Kommission konnte danach Zusatzzölle von bis zu 35,3% erheben – musste aber nicht. Für diese Entscheidung hatte sie bis zum 30. Oktober 2024 Zeit.  

Wie steht die deutsche Wirtschaft zu den Ausgleichszöllen? Grundsätzlich sind viele Unternehmen der Überzeugung, dass Wettbewerbsverzerrungen, die durch staatliche Subventionen entstehen, von der EU konsequent und angemessen adressiert werden sollten. Zusatzzölle auf chinesische E-Autos würden für die exportorientierte deutsche Wirtschaft allerdings nicht folgenlos bleiben. Deutsche Unternehmen blicken – im Kontext wachsender Handelsbarrieren weltweit – besorgt auf eine mögliche Zollspirale mit China. Auf zusätzliche Auto-Zölle könnten Gegenzölle und ein größerer Handelskonflikt folgen. Als Reaktion hat China bereits in diesem Jahr Zölle auf die Einfuhr von europäischem Brandy verhängt. Außerdem hat Peking Antisubventionsuntersuchungen zu Milch- und Schweinefleischprodukten aus der EU eingeleitet. Darüber hinaus hat China mehrfach damit gedroht, europäische Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mit Zöllen zu belegen. Während europäische Exporte wie Branntwein, Schweinefleisch und Molkereiprodukte nur einen kleinen Teil des gesamten Handelsvolumens zwischen der EU und China ausmachen, könnten weitere chinesische Gegenzölle mit Fokus auf die Automobilindustrie deutlich mehr europäische – und vor allem deutsche – Unternehmen treffen.  

Gerade die deutsche Autoindustrie hängt stark von China ab. China ist mit fast einem Drittel der weltweit verkauften Fahrzeuge der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Automobilhersteller. Viele dieser Unternehmen sorgen sich, dass Peking Autos aus deutscher Produktion mit Vergeltungszöllen belegen könnte. Deutsche Unternehmen erzielen seit Jahren beachtliche Erlöse durch den Verkauf von Luxusfahrzeugen in China. Dieser Absatz kann dabei helfen, geringere Margen im Europageschäft auszugleichen. Die nun verhängten Sonderzölle betreffen außerdem auch deutsche Autohersteller, die E-Autos in China produzieren und in die EU importieren. VW mit Cupra, BMW mit dem Mini und Mercedes mit dem Smart – sie alle müssen 20,7% auf die aus China importierten Fahrzeuge abführen. Eine Sonderbehandlung für europäischen Hersteller ist rechtlich nicht möglich. 

Die EU muss dringend ihre Standortbedingungen verbessern und Handelspartnern in anderen Regionen die Hand reichen. 

Roter Faden für die europäische Handelspolitik muss sein, offene Märkte mit fairen Spielregeln zu schaffen. Zwar sollte die EU reagieren, wenn staatliche Subventionen von Drittstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen führen, Handelsschutzinstrumenten wie Ausgleichszöllen sollte aber grundsätzlich nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen. Hierbei ist es immer wichtig, die unterschiedlichen Interessen in der Wirtschaft abzuwägen.  

Zölle hin oder her – was brauchen deutsche Unternehmen?   

Die EU und China müssen weiterhin den Dialog suchen, um den europäisch-chinesischen Handelsbeziehungen nicht strukturell zu schaden. Was Unternehmen grundsätzlich von der Politik brauchen, sind Maßnahmen, die den Handel fördern – nicht einschränken. Wer im chinesischen Markt erfolgreich sein möchte, muss vor Ort sein. Langfristig könnten deutsche Unternehmen ihre Abhängigkeit von China reduzieren, indem sie ihre Lieferketten diversifizieren, kurzfristig ist jedoch eine Verlagerung nach Europa kaum realistisch, ohne erhebliche wirtschaftliche Risiken einzugehen. Viele deutsche Unternehmen setzen auf eine ausgewogene Strategie, die Diversifizierung und den Ausbau des europäischen Marktes fördert, ohne die chinesische Marktpräsenz aufzugeben.  

Die EU muss dringend ihre Standortbedingungen verbessern. Für die Unternehmen ist es wichtig, dass der Binnenmarkt gestärkt wird und Produktion in Europa wettbewerbsfähig stattfinden kann, u.a. durch niedrigere Energiekosten und weniger Bürokratie. Gleichzeitig muss mehr in Forschung und Entwicklung investiert werden, um Zukunftstechnologien zu fördern. Auch Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen schneller werden.  

Unabhängig davon sollte die EU Handelspartnern in anderen Regionen die Hand reichen. Die Durststrecke des EU-Mercosur-Abkommens muss ein Ende nehmen und das Abkommen endlich zum Abschluss gebracht werden. Dringend erforderlich sind zusätzliche Handelsabkommen, insbesondere mit Indien und Indonesien. Auf diese Weise können Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren und sind besser für den internationalen Wettbewerb gerüstet. 

Anne Reinacher

ist seit Juli 2024 für die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Brüssel tätig. Sie leitet das Referat Handelspolitik, Transatlantische Beziehungen und EU-Zollfragen.

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