Dr. Stefanie Espitalier

Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI e.V.) 

Die neuen EU-Regeln zu Sorgfaltspflichten

Was kommt auf die Wirtschaft zu?

Nach einem besonders langwierigen Gesetzgebungsverfahren hat das Plenum des Europäischen Parlaments am 24. April 2024 die EU-Lieferkettenrichtlinie – trotz  starken Widerstandes aus der Wirtschaft – gerade noch rechtzeitig kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode angenommen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick darüber, wie sich diese neuen europäischen Regelungen im Vergleich zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verhalten, und auf was sich Unternehmen hier einstellen müssen. 

Ziel der bereits im Februar 2022 vorgelegten „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit – 2019/1937“ (Proposal for a Directive on Corporate Sustainability Due Diligence  –  CSDDD) ist die Förderung nachhaltigen und verantwortungsbewussten unternehmerischen Handelns. Mit der Richtlinie sollen sowohl die Menschenrechte als auch die Umweltbelange in allen Wertschöpfungsketten stärker berücksichtigt werden – sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Die vorgenannten Ziele einen und teilen die Akteure der Politik und der Wirtschaft jedoch gleichermaßen.

Bereits seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens ist insbesondere das „Wie“ der Erreichung dieser Ziele heftig umstritten. In allerletzter Sekunde, durch politische Zugeständnisse bei anderen Dossiers (insbesondere der EU-Verpackungsverordnung) und unter gravierenden inhaltlichen Textveränderungen, konnte am 15. März 2024 schließlich eine Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der Abstimmung zur Annahme der Richtlinie erreicht werden. Das Plenum des Europäischen Parlamentes hat die Richtlinie im April 2024 angenommen, der Rat im Mai 2024. Am 25. Juli 2024 ist die Richtlinie in Kraft getreten. Innerhalb von zwei Jahren muss die Richtlinie nun von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland wird dies zwangsläufig zu einer Anpassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) führen.

Der finale Richtlinientext unterscheidet sich von früheren Versionen teils gravierend. Im Folgenden eine Darstellung der für die deutsche Wirtschaft besonders relevanten Elemente des Textes unter Bezugnahme auch auf die entsprechenden Regelungen des LkSG.

Für welche Unternehmen greifen ab wann die Vorgaben der CSDDD? 

Die CSDDD gilt nach Art. 2 für Unternehmen (nur AG, KGaA und GmbH sowie KG und OHG) ab 1000 Mitarbeiter:innen und 450 Mio. EUR Jahresumsatz. Die Richtlinie enthält in ihrer finalen Fassung keine gesonderten Bestimmungen für Risikosektoren, wie dies vorherige Textversionen noch vorsahen. Darüber hinaus sind auch Nicht-EU-Unternehmen von der Richtlinie erfasst, sofern sie einen Umsatz von 450. Mio. EUR in der europäischen Union erwirtschaften. Im Vergleich zum LkSG sieht die CSDDD somit Einschränkungen beim Nettoumsatz sowie der Rechtsform vor. Für die Anwendung der Vorschriften gilt eine gestaffelte Übergangsphase (Art. 37), gerechnet ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (25. Juli 2024):

  • Drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie (2027) haben Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeiter:innen und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 1,5 Mrd. EUR die Vorschriften anzuwenden.
  • Vier Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie (2028) haben Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter:innen und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 900 Mio. EUR die Vorschriften anzuwenden.
  • Fünf Jahre nach Inkrafttreten (2029) müssen alle anderen Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von mehr als 450 Mio. EUR sich an die Vorschriften halten.

Definition der Lieferkette: Aktivitätsketten

Die CSDDD verwendet – anders als das deutsche LkSG – den Begriff der „Aktivitätskette“. Nach der Definition in Art. 3 Abs. 1 lit. g umfasst die Aktivitätskette einerseits Tätigkeiten der vorgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Herstellung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch das Unternehmen, einschließlich des Entwurfs, der Gewinnung, der Beschaffung, der Herstellung, des Transports, der Lagerung und der Lieferung von Rohstoffen, Produkten oder Teilen der Produkte sowie der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung. Andererseits schließt die Aktivitätskette auch die Tätigkeiten der nachgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens im Zusammenhang mit dem Vertrieb, der Beförderung und der Lagerung des Produkts mit ein, sofern die Geschäftspartner diese Tätigkeiten unmittelbar oder mittelbar für das Unternehmen oder im Namen des Unternehmens durchführen.

Nach dem LkSG müssen Unternehmen grundsätzlich nur ihre eigenen Aktivitäten sowie die ihrer Tochtergesellschaften und unmittelbaren Lieferanten überprüfen. Lediglich bei konkreten Hinweisen sind auch mittelbare Lieferanten erfasst. Die CSDDD verlangt dagegen grundsätzlich eine Überprüfung aller vorgelagerten Lieferanten im Zusammenhang mit der Produktion von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen. Dies gilt auch für nachgelagerte Geschäftspartner im Zusammenhang mit Vertrieb, Transport und Lagerung des Produkts, sofern sie diese Tätigkeiten für das Unternehmen oder in dessen Namen ausführen. 

Umfang der Sorgfaltspflichten

Im Fokus der Richtlinie stehen die in den Art. 5, 7-16 geregelten Sorgfaltspflichten der Unternehmen. Danach müssen Unternehmen allgemein eine risikobasierte menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsprüfung vornehmen. Im Einzelnen müssen sie einen entsprechenden Unternehmensplan haben, der die Sorgfaltspflichten in die gesamte Unternehmenspolitik und das Risikomanagementsystem des Unternehmens einbezieht (Art. 7). Die Unternehmen müssen die tatsächlichen oder potenziellen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte ermitteln und bewerten (Art. 8) und nach Schweregrad und Wahrscheinlichkeit priorisieren (Art. 9). Potenzielle negative Auswirkungen sind zu verhindern oder zu mindern. Tatsächliche negative Auswirkungen sind abzustellen, ihr Ausmaß abzuschwächen (Art. 10 und 11) und es sind Abhilfemaßnahmen für sie vorzusehen (Art. 12). Bei der Durchführung der Sorgfaltspflichten haben die Unternehmen darüber hinaus Interessenträger sinnvoll einzubeziehen (Art. 13). Innerhalb eines Unternehmens müssen Meldemechanismen und Beschwerdeverfahren eingerichtet werden (Art. 14). Ferner müssen die unter die Richtlinie fallenden Unternehmen die Wirksamkeit der eigenen Tätigkeiten und Maßnahmen regelmäßig überwachen (Art. 15) sowie zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten auf ihrer Unternehmenswebseite berichten (Art. 16). Die Sorgfaltspflichten nach CSDDD und LkSG ähneln sich teilweise, die CSDDD geht aber über das LkSG hinaus. Letzteres verfolgt einen lieferantenbezogenen Ansatz, wonach alle unmittelbaren Lieferanten im ersten Schritt berücksichtigt werden. Die CSDDD sieht hingegen einen Scoping-Ansatz vor. Je nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Verletzung müssen nur einzelne Geschäftspartner bewertet werden.

Klimaschutzpläne zur Minderung der Folgen des Klimawandels

Eine speziell geregelte Sorgfaltspflicht ist die Pflicht zu sog. Klimaschutzplänen nach Art. 22. Unter die CSDDD fallende Unternehmen müssen im Rahmen eines Plans zur Minderung der Folgen des Klimawandels darlegen, wie sie gewährleisten, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Unternehmensstrategie im Einklang mit den Zielen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5° C sowie mit dem EU-Ziel zur Klimaneutralität bis 2050 steht. Die Vorschrift sieht nunmehr lediglich eine sog. Bemühenspflicht („through best efforts“) der Unternehmen vor. Die in vorherigen Varianten des Richtlinientextes enthaltene Verknüpfung der Vergütung der Unternehmensleitung mit den Klimaschutzplänen wurde im finalen Text ersatzlos gestrichen. Das LkSG enthält bisher keine entsprechende Regelung.

Internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt

Die Richtlinie listet in ihrem Annex zahlreiche internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt auf, die nach der CSDDD einzuhalten sind. Teilweise entsprechen die einzuhaltenden Abkommen denen des LkSG. Insbesondere im Bereich des Umweltschutzes listet die CSDDD aber zahlreiche weitere internationalen Abkommen auf, die das LkSG bisher nicht aufführt. So sind u.a. alle messbaren Umweltbeeinträchtigungen wie etwa Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzungen, schädliche Emissionen, übermäßiger Wasserverbrauch sowie andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen nach der CSDDD zu berücksichtigen.

Zwangsgelder und Anspruch auf Entschädigung im Falle von Verstößen 

Art. 27 der CSDDD sieht im Falle von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten der Richtlinie folgende Sanktionen vor:

  • Zwangsgelder i.H.v. mindestens 5% des weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens. 
  • Im Falle nicht (fristgerechter) Zahlung des Zwangsgeldes: Öffentliche Bekanntmachung, in der das verantwortliche Unternehmen und die Art des Verstoßes genannt werden.

Demgegenüber sieht das LkSG Zwangsgelder bis zu 50.000 EUR sowie Bußgelder bis zu 800.000 EUR oder 2% des Jahresumsatzes vor, sowie die Möglichkeit eines bis zu dreijährigen Ausschlusses von der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Im Gegensatz zum LkSG enthält die CSDDD einen speziellen zivilrechtlichen Haftungstatbestand in Art. 29 für Schäden, die einer natürlichen oder juristischen Person aus einem Sorgfaltspflichtenverstoß entstanden sind. Danach hat eine Person Anspruch auf Schadensersatz nach den nationalen Rechtsvorschriften, wenn: 

  • das Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Sorgfaltspflichten der Art. 10 und 11 verstößt (Pflicht zur Verhinderung und Minderung potenzieller negativer Auswirkungen sowie zur Abstellung tatsächlicher negativer Auswirkungen und zur Minimierung ihres Ausmaßes), sofern die internationalen Abkommen im Annex dem Schutz dieser Person dienen und
  • durch die Pflichtverletzung ein Schaden für das nach nationalem Recht geschützte Rechtsgut der Person entstanden ist. 

Zur gerichtlichen Durchsetzung der Schadensersatzansprüche können Geschädigte auch NGOs ermächtigen. Es gilt zu berücksichtigen, dass der Schadensersatzanspruch ausnahmsweise ausgeschlossen ist, sofern der Schaden „nur“ von einem der Geschäftspartner in der Aktivitätskette verursacht wurde. Was dies im Einzelnen bedeutet, wird sich im Rahmen der nationalen Umsetzung zeigen.

Es gilt zu vermeiden, dass die Umsetzung der Richtlinie zu mehr Bürokratie, Rechtsunsicherheit und letztendlich zum Rückzug europäischer Unternehmen aus Wertschöpfungsketten führt. 

Die CSDDD sieht für die Erhebung von Schadensersatzklagen eine Verjährungsfrist von mindestens fünf Jahren ab Kenntnisnahme des Geschädigten vor. Diese weicht jedenfalls erheblich von der regelmäßigen Verjährungsfrist von nur drei Jahren gem. § 195 BGB ab. Der spezielle zivilrechtliche Haftungstatbestand dürfte die Unternehmen vor besondere rechtliche Herausforderungen stellen.

Bedenken der Wirtschaft

Für europäische Unternehmen ergeben sich aus den neuen Vorschriften weitreichende Pflichten. Die Bundesregierung ist nun aufgerufen, im Zuge der Umsetzung die Entbürokratisierung der nationalen Vorschriften sicherzustellen und die administrativen Lasten für Unternehmen im Vergleich zum LkSG spürbar zu reduzieren. Für die Wirtschaft sind handhabbare Rahmenbedingungen unerlässlich. Es gilt zu vermeiden, dass die Umsetzung der Richtlinie zu mehr Bürokratie, Rechtsunsicherheit und letztendlich zum Rückzug europäischer Unternehmen aus Wertschöpfungsketten führt. Denn sonst droht die zur Versorgungssicherheit notwendige Diversifizierung der Lieferketten erschwert zu werden. 

Es ist deshalb essenziell, dass zeitgleich mit der Umsetzung der CSDDD ins nationale Recht die Chance genutzt wird, das nationale Lieferkettenrecht zu entbürokratisieren und den Unternehmen die notwendigen Unterstützungsmaßnahmen bei der Implementierung der neuen Sorgfaltspflichten zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht der deutschen Industrie ist es wichtig, dass die Bundesregierung nun gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sicherstellt.

Dr. Stefanie Espitalier, LL.M., ist Senior Manager für die Bereiche Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik im Brüsseler Büro des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI e.V.).

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