INTERVIEW

Wie ist es um die Inklusion in der Schiedsgerichtsbarkeit bestellt? 

mit Nikola Nikolic

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Nikola Nikolic 

kommt aus Serbien und ist Jurist. Derzeit promoviert er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kanzlei Seven Summits Arbitration. Eines der Themen, die ihn besonders beschäftigen, ist die Integration von Menschen mit Behinderungen in die Schiedsgerichtsbarkeit. Er selbst ist blind. Wo er Hürden, aber auch Fortschritte feststellt, wenn es um mehr Inklusion in der juristischen Arbeitswelt geht, und welchen Beitrag die Digitalisierung leistet, berichtet er im Interview mit dem ICC Germany-Magazin.

ICC GERMANY: Derzeit promovieren Sie an der LMU in München, nachdem Sie bereits Jura in Serbien studiert und einen LLM in Europäischem Recht und Wirtschaftsrecht in Saarbrücken abgeschlossen haben. Nebenbei arbeiten Sie auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Was waren die größten Herausforderungen mit Blick auf Ihre Sehbehinderung, die Sie auf diesem Weg begleitet haben? Und wie meistern Sie diese?

NIKOLIC: Genau, ich habe in Serbien und Deutschland studiert. Meine Berufserfahrung im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit habe ich bei einigen der renommiertesten sowohl internationalen als auch nationalen deutschen und niederländischen Kanzelein gesammelt. Diese akademischen und beruflichen Errungenschaften von jemanden, der völlig blind ist und teilweise Hörprobleme hat, mag für viele beeindruckend wirken. Jedoch war mein beruflicher Weg voller Herausforderungen und ich möchte mich daher herzlich für die Gelegenheit bedanken, über dieses Thema sprechen zu können. Ich hoffe aufrichtig, dass meine Geschichte das Bewusstsein für Inklusion stärkt und dieses Interview möglicherweise neue Chancen für Studierende und Fachkräfte mit Behinderungen eröffnet.

Meine größten Herausforderungen auf diesem internationalen Karriereweg waren Mobilität und Barrierefreiheit. Von Beginn an wollte ich nie zulassen, dass meine Behinderungen meine akademischen und beruflichen Chancen einschränken. Daher habe ich bereits in verschiedenen Städten studiert und gearbeitet. Aufgrund dessen war es auch immer wieder notwendig, das Leben an einem neuen Ort zu organisieren.

Leider hatte ich niemanden aus meiner Familie vor Ort, der mir bei der Eingewöhnung in einer neuen Stadt helfen konnte. Auch die verschiedenen Universitäten und Kanzleien haben mir in dieser Hinsicht nur selten Hilfe angeboten. Auf der anderen Seite hatte ich immer das Gefühl, dass mein Arbeitgeber oder die Fakultät es als lästig empfinden könnten, wenn ich sie um Unterstützung bitte, da es nicht ihre Aufgabe ist, sich um mein Leben außerhalb des Büros beziehungsweise der Universität zu kümmern. Stressmanagement war daher immer ein wichtiges Instrument in meinem Leben.

Sich in einer völlig unbekannten Umgebung zu bewegen ist für blinde Menschen sicherlich ein Risiko. Ich hatte jedoch das Glück, auf der Straße zufällig unglaublich netten Menschen zu begegnen, die mir großzügig ihre Hilfen anboten, um zurechtzukommen. Und was noch viel schöner ist, ist, dass heute einige von ihnen meine besten Freunde sind.

Eine weitere Herausforderung, mit der ich konfrontiert wurde, ist die allgemeine Barrierefreiheit meines Studien- und Arbeitsplatzes. Jede juristische Recherche erfordert eine Menge Lektüre. Leider sind Literatur und Rechtsprechung für blinde Menschen noch immer nicht uneingeschränkt zugänglich. Der Freistaat Bayern hat mir finanzielle Mittel für meine Assistenten zur Verfügung gestellt hat, wofür ich dankbar bin, und die mir helfen, diese und ähnliche Herausforderungen der mangelnden Barrierefreiheit zu überwinden.

ICC GERMANY: Was sollten aus Ihrer Sicht Universitäten und Gerichte, aber auch Kanzleien tun, um für mehr Inklusion zu sorgen? 

NIKOLIC: Universitäten, Gerichte und Kanzleien sollten eine barrierefreie Umgebung schaffen, um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Das beginnt bei der technischen Infrastruktur, barrierefreie Räumlichkeiten und der Unterstützung durch adäquate Assistentinnen oder Assistenten. Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Praxis sicherzustellen, könnten Hochschulen und Kanzleien mehr Schulungen für Mitarbeitende anbieten, um das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu schärfen. Berufseinsteiger mit Behinderungen haben oft weniger Selbstvertrauen als ihre Kolleginnen und Kollegen.

Es geht nicht nur darum, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen einzustellen, sondern auch darum, eine Arbeitskultur zu schaffen, in der sich alle Mitarbeitenden wertgeschätzt und einbezogen fühlen. 

Wenn Mentoren und Vorgesetzte junge Menschen mit Behinderungen und ihre Bedürfnisse nicht verstehen und sie nicht ermutigen, indem sie ihnen gleiche Chancen bieten, zu lernen und sich beruflich weiterzuentwickeln, können sich diese Menschen schnell(er) entmutigen lassen. Es geht nicht nur darum, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen einzustellen, sondern auch darum, eine Arbeitskultur zu schaffen, in der sich alle Mitarbeitenden wertgeschätzt und einbezogen fühlen. Dafür sollten Gerichte und Kanzleien Arbeitsumgebungen schaffen, in denen Diversität nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert wird. Obwohl man es auch anders definieren kann, würde ich sagen, dass Vielfalt eine Statistik und Integration eine Denkweise ist. Ich glaube, dass Studierende und Fachkräfte mit Behinderungen es sehr zu schätzen wüssten, wenn sie nicht nur schöne Statistiken auf dem Papier sehen würden, sondern auch mehr Offenheit und Ehrlichkeit in Bezug auf die Einstellung zur Inklusion.

Bildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sind leider nach wie vor eine weit verbreitete Herausforderung. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich auf meinem Karriereweg unterstützt haben, und insbesondere bei meinem großartigen Team von Seven Summits Arbitration. Großen Dank schulde ich ebenfalls meinem Doktorvater, Prof. Dr. Klaus Sachs, für seine wertvolle akademische Betreuung.

ICC GERMANY: Mit der zunehmenden Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit für die Beilegung internationaler Streitigkeiten stellt sich auch die Frage, wie Schiedsverfahren inklusiver gestaltet werden können. Die ICC hat daher im Dezember 2021 die „Disability and Inclusion Task Force“ ins Leben gerufen, die sich explizit mit der Integration von Menschen mit Behinderungen in die Schiedsgerichtsbarkeit befasst. Sie waren als Delegierter Teil dieser Arbeitsgruppe und haben an der Erstellung eines Leitfadens, dem ICC Disability Guide, mitgewirkt. Wie verlief diese Arbeit? Was war für Sie besonders wichtig?

ICC Disability Guide

Die ICC hat in 2023 einen Leitfaden für die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und alternative Streitbeilegung veröffentlicht.

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NIKOLIC: Im Dezember 2021 initiierte Claudia Salomon, die Präsidentin des Internationalen Schiedsgerichtshof, die Gründung einer neuen Task Force zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und in der alternativen Streitbeilegung, kurz ADR. Der Task Force gehören über 50 Mitglieder aus 26 verschiedenen Nationen an.

Als ich die Einladung erhielt, dieser Gruppe von internationalen Anwältinnen und Anwälten beizutreten, gab mir das echte Hoffnung, dass das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen endlich auf der ADR-Agenda stehen würde. In den zwei Jahren, in denen ich an diesem wichtigen Projekt mitgearbeitet habe, war es für mich von entscheidender Bedeutung, meine Erfahrung mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Taskforce auszutauschen und sicherzustellen, dass der Leitfaden Beispiele aus der Praxis enthält. Jedes Mitglied hat seine Sichtweise eingebracht und auch diejenigen ohne Behinderungen haben einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zu unserer Arbeit geleistet.

Der Leitfaden bietet einen Fahrplan für die Praxis zur effektiven Lösung von Problemen, die auftreten können, wenn eine Person mit Behinderungen am Verfahren beteiligt ist. Außerdem enthält der Leitfaden ein Toolkit zur Einbeziehung von Menschen mit Behinderung. Er enthält Musterformulierungen für die Offenlegung von Behinderung in Verfahrensanordnungen, dem Schiedsauftrag und/oder in den Case Management-Konferenzen. Außerdem finden sich dort Leitlinien für Schiedsgerichte, die über angemessene Vorkehrungen entscheiden müssen, sowie eine „Achtsamkeitsübung“ zur Vermeidung potenzieller Missverständnisse, die durch eine diskriminierende Sprache oder mangelndes Verständnis für die Situation einer Person entstehen können.

ICC GERMANY: Können Sie ganz konkrete Beispiele nennen, wo mehr Inklusion im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der alternativen Streitbeilegung geschaffen werden könnte – vielleicht auch im Vergleich zu anderen juristischen Bereichen? 

NIKOLIC: Menschen mit Behinderungen sind im Rechtsbereich nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, insbesondere im Bereich der internationalen Streitbeilegung. Zwar ist es mittlerweile gängige Praxis, dass Angehörige verschiedener unterrepräsentierter Gruppen als Schiedsrichter, Rechtsberater oder Mitarbeiter von Institutionen tätig sind, doch die Vertretung von Menschen mit Behinderungen hinkt hinterher. Große Schiedsgerichtsinstitutionen erheben und veröffentlichen regelmäßig Studien über geschlechtliche und nationale/geografische Vielfalt der von ihnen ernannten Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Doch auffallend ist, dass vergleichbare Daten für Menschen mit Behinderungen fehlen.

Ohne genaue Statistiken über die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen an alternativen Streitbeilegungsverfahren ist es schwierig, die Fortschritte im Bereich der Vielfalt nachzuverfolgen oder Maßnahmen zur Verbesserung der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Die Vertraulichkeit der Schiedsverfahren wird oft als Grund für das Fehlen solcher Daten angeführt. Ich persönliche glaube jedoch, dass das eigentliche Problem darin besteht, dass viele Menschen aufgrund von implizierter und gelegentlich auch explizierter Diskriminierung zögern, ihre Behinderungen offenzulegen. Um diese Probleme anzugehen empfehle ich die folgenden Maßnahmen:

Erstens: Förderung und Diskussion. Die Sensibilisierung für dieses Thema ist von entscheidender Bedeutung. Ich habe erlebt, dass dieses Themas heruntergespielt wurde, indem auf die geringe Zahl von Menschen mit Behinderungen in der Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen wurde. Plattformen, wie die Diskussionsforen der WTO, können ein gutes Modell für die ADR sein, um Unternehmen, Kanzleien und Institutionen zu ermutigen, echte Inklusionsbemühungen in ihrer Einstellungspolitik aufzunehmen. Solche Diskussionen können auch Entscheidungsträgern, denen es gelegentlich an Sensibilität für dieses Thema mangelt, helfen zu verstehen, wie angemessene Arbeitsanpassungen ohne großen Aufwand wirksam umgesetzt werden können.

Zweitens: Förderung des ICC-Leitfadens zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Seitdem die ICC ihren Leitfaden zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen herausgegeben hat, haben einige nationale Vertretungen der ICC Veranstaltungen abgehalten, um für den Leitfaden zu werben und zu erklären, wie er in ADR-Verfahren praktisch angewandt werden kann, um Chancengleichheit für alle zu gewährleisten. Diese Bemühungen halte ich für wichtig, um die konkreten Vorteile des Leitfadens hervorzuheben. Außerdem könnte die Übersetzung des Leitfadens in mehrere Sprachen die Bedeutung dieses Verfahrensinstruments noch unterstreichen.

Drittens: Beobachtung von Behinderungsstatistiken. Wie bereits erwähnt veröffentlichen verschiedene Schiedsgerichtinstitutionen Statistiken zur Vielfalt, wie z.B. die „DIS Statistics: DIS-ERA Pledge Gender Champion Initiative 2023. Die Einführung ähnlicher Statistiken für Menschen mit Behinderungen würde es uns ermöglichen, Fortschritte zu messen und die Wirksamkeit unserer kollektiven Bemühungen zur Gewährleistung der Chancengleichheit für alle in der alternative Streitbeteiligung zu bewerten.

ICC GERMANY: Welchen Beitrag leistet die Digitalisierung für mehr Inklusion? Wenn von „Barrierefreiheit“ die Rede ist, denkt man oft zuerst an den physischen Zugang, zum Beispiel zu einem bestimmten Ort. Doch wie sieht es mit digitalen Barrieren aus?

NIKOLIC: Die digitale Zugänglichkeit ist für blinde Menschen in Wissenschaft und Praxis ein wichtiges Thema, insbesondere im Bereich der Rechtswissenschaften. Das Jurastudium und die juristische Arbeit sind mit umfangreichen Recherchen verbunden und Blinde sind zu diesem Zweck stark auf Online-Datenbanken angewiesen. Leider ist ein Großteil der deutschen Rechtsprechung und juristischen Literatur entweder nicht in digitaler Form verfügbar oder auf Premium-Nutzung beschränkt. Für blinde Menschen kann es eine finanzielle Belastung sein, sich mehrere Premium-Abonnements zu leisten. Die Ausweitung des Zugangs zu diesen Ressourcen und die Gewährleistung, dass Online-Datenbanken vollständig mit Bildschirmlesegeräten kompatibel sind, würde blinden Fachleuten bei ihrer Arbeit sehr unterstützen.

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