Dr. Anke Sessler und Max Stein
​Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom

Effiziente Schiedsverfahren und alternative Streitbeilegung

Bereits im Vorfeld und in allen Phasen eines Rechtsstreits gibt es Stellschrauben, mit deren Hilfe das Verfahren angemessen, effizient und vorhersehbar gestaltet werden kann. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick.

Etwa zwei Jahre beschäftigte sich die ICC Task Force „ADR and Arbitration“ mit Methoden der alternativen Streitbeilegung. Das Ziel der Arbeitsgruppe war es, alternative Instrumente zur Streitbeilegung und ihre Einsatzbereiche darzustellen. Im Sommer 2023 veröffentlichte die ICC die Ergebnisse der Task Force in zwei Arbeitsprodukten: einer Anleitung zur effizienten Streitbeilegung und einem Bericht über Vergleiche in Schiedsverfahren. Etwa ein Jahr später, im Juni 2024, diskutierten Unternehmensjuristen, Rechtsanwälte und Schiedsrichter in Kronberg bei Frankfurt mit der Präsidentin des ICC-Schiedsgerichtshofs, Claudia Salomon, das Thema effiziente Streitbeilegung mit besonderem Fokus auf die Unternehmenssicht. Dabei ging es insbesondere um drei Themenkomplexe, nämlich (1) proaktives Konfliktmanagement, (2) Entscheidungsbäume und (3) Vergleichsverhandlungen im Schiedsverfahren.

Proaktives Konfliktmanagement

Bei proaktivem Konfliktmanagement geht es um Vorkehrungen, die Unternehmen treffen können, um im Falle eines Streits optimal vorbereitet zu sein. Denn die Weichen für eine erfolgreiche und effiziente Streitbeilegung können schon vor Ausbruch eines konkreten Streits gestellt werden. Im Vordergrund stehen dabei Richtlinien und Leitfäden für den internen Umgang mit Rechtsstreitigkeiten und effektive Konfliktlösungsklauseln.

Interne Richtlinien und Leitfäden sollen dafür sorgen, dass die relevanten Entscheider und die zuständigen Mitarbeiter (in der Regel aus der Rechtsabteilung) frühzeitig von (drohenden) Auseinandersetzungen erfahren. Maßgeblich sind klare Anweisungen dazu, wer wann zu benachrichtigen und zu involvieren ist. Das ermöglicht nicht nur, dass kundige Mitarbeiter Eskalationen von Streitigkeiten im besten Fall verhindern. Es dient auch der Beweissicherung und der Wahrung von „Legal Privilege“ für den Fall, dass eine solche Eskalation nicht vermeidbar ist. 

Wie die Diskussion in Kronberg einmal mehr bestätigt hat, spielt gerade im Frühstadium eines Streits die Kommunikation mit dem Management und anderen Beteiligten eine große Rolle, wenn es darum geht, eine Strategie festzulegen und etwaige Streitbeilegungslösungen zu bewerten. Konsens bestand auch darin, dass eine frühzeitige, umfassende Aufklärung des Sachverhalts für eine realistische Risikobetrachtung und somit auch eine effiziente Streitbeilegung wichtig ist.

Um Nachteile in späteren Rechtsstreitigkeiten und zeit- und kostenintensive Nebenkriegsschauplätze zu vermeiden, sind Musterklauseln mit stringenten Handlungsanweisungen an die internen Nutzer unverzichtbar.

Welche Form der Konfliktlösung ein Unternehmen präferiert und welche Musterklauseln es vorhält, sollte von den konkreten Umständen abhängen. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, wie international das Geschäft ist, wo Kunden und Lieferanten sitzen und welche Folgen sich daraus für die Vollstreckbarkeit von Urteilen im Vergleich zu Schiedssprüchen ergeben.

Um Nachteile in späteren Rechtsstreitigkeiten und zeit- und kostenintensive Nebenkriegsschauplätze zu vermeiden, sind Musterklauseln mit stringenten Handlungsanweisungen an die internen Nutzer unverzichtbar. Die Handlungsanweisungen sollten vorsehen, dass Abweichungen von der Musterklausel von einem Mitglied der Rechtsabteilung oder einem externen Anwalt zu prüfen und zu genehmigen sind.

Wie sowohl die Diskussionen innerhalb der Task Force als auch in Kronberg zeigten, können Mechanismen der alternativen Streitbeilegung (ADR) dabei helfen, Streitigkeiten schnell und kostengünstig zu lösen. Weniger klar ist, ob die Anwendung eines ADR-Verfahrens bereits in der Konfliktlösungsklausel oder erst nach Ausbruch eines konkreten Streits vereinbart werden sollte. Nach unserer Erfahrung führen im Voraus vereinbarte ADR-Verfahren eher selten zum Ziel. Dagegen ist es möglich, auch später noch eine passende ADR-Methode zu vereinbaren, wenn beide Parteien sich davon einen Nutzen versprechen.

In jedem Fall sind bei der Auswahl auch Faktoren zu berücksichtigen, die über die rein rechtliche Bewertung hinausgehen, etwa:

  • in welchem Maße eine bestehende oder zukünftige Geschäftsbeziehung durch ein streitiges Verfahren beeinträchtigt würde,
  • ob Reputationsschäden drohen, und
  • in welchem Maße die angedachte Streitbeilegungsmethode Unternehmensressourcen und Mitarbeiter bindet.

Entscheidungsbäume

Wie bereits erläutert, ist es wichtig, den aufkommenden Rechtsstreit in einem frühen Stadium zu analysieren und sich einen Überblick über die rechtlichen Risiken zu verschaffen, also eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen.

Hierbei kann ein Entscheidungsbaum hilfreich sein. Mit einem Entscheidungsbaum können mögliche Ergebnisse eines Rechtsstreits visualisiert werden, indem die Wahrscheinlichkeiten sowie die finanziellen Auswirkungen der jeweiligen Ergebnisse „errechnet“ werden. Insbesondere in der internen Kommunikation über Risiken und Erwartungen können Entscheidungsbäume sehr hilfreich sein.

Bei einem Entscheidungsbaum wird der Rechtsstreit in verschiedene Fragen („Äste“) aufgeteilt. Das folgende Beispiel[1] soll zur Veranschaulichung dienen:

Ein entscheidender Aspekt bei der Nutzung von Entscheidungsbäumen ist, welche Fragen und möglichen Antworten in das Modell aufzunehmen sind. Dabei ist es wichtig, dass die modellierten Ergebnisse eine dem Fall entsprechende Palette abdecken und sowohl die besten als auch die schlechtesten Szenarien abbilden.

Zu bedenken ist, dass ein Entscheidungsbaum zwar mathematische Genauigkeit suggeriert, aber auf unter Umständen schwer zu beziffernden Einschätzungen basiert. Dazu zählen:

  • welche Entscheidungsäste (Hauptfragen) in den Baum aufgenommen werden sollen,
  • welche Wahrscheinlichkeiten den Antworten zugewiesen werden und
  • welchen finanziellen Wert bestimmte Ansprüche haben.

Ein Entscheidungsbaum ist immer nur so gut wie seine Datengrundlage.

Vergleichsverhandlungen in Schiedsverfahren

Um Kosten zu reduzieren und die Verfahrenseffizienz zu steigern, sollte in jeder Phase des Schiedsverfahrens überlegt werden, ob das Verfahren (noch) die beste Konfliktlösungsmöglichkeit ist, oder ob sich – ggf. in Bezug auf einzelne Streitfragen – der Wechsel in ein anderes Streitbeilegungsverfahren mit oder ohne Unterstützung des Schiedsgerichts anbietet.

Ein Paradebeispiel hierfür ist die von der ICC-Schiedsgerichtsordnung 2021 vorgesehene „Ermutigung der Parteien, die Beilegung der Streitigkeit ganz oder teilweise im Vergleichswege zu versuchen“.[2] Unserer Erfahrung nach ist die proaktive Rolle von Schiedsgerichten bei der Förderung von Vergleichen grundsätzlich sehr zu begrüßen. Dabei sind aber eine Reihe von Punkten zu beachten.

Um ein gemeinsames Grundverständnis zu finden, inwieweit die Förderung von Vergleichsbemühungen durch das Schiedsgericht gewünscht ist, sollte dieses Thema bereits in der ersten Verfahrensmanagementkonferenz adressiert werden. Den Wunsch nach Vergleichsbemühungen durch das Schiedsgericht sollten die Beteiligten schriftlich dokumentieren.

Zu welchem Zeitpunkt sich Vergleichsversuche anbieten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dies kann sich bereits nach der ersten Schriftsatzrunde anbieten oder auch erst vor oder nach der mündlichen Verhandlung. Entscheidend ist, wann dies organisatorisch passt und wann die Parteien und ggf. das Schiedsgericht ein umfassendes Verständnis des Falls gewonnen haben.

Ob für einen Vergleichsversuch das Schiedsverfahren ruhen sollte, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab. Ebenso kann die Frage, ob es sinnvoll ist, den Zeitpunkt für ein Verhandlungs- oder Mediationsfenster im Vorfeld festzulegen, nicht pauschal bejaht werden. Zeitpläne sind notwendig. Sklavisch an ihnen festzuhalten, kann jedoch dazu führen, dass Vergleichschancen, die sich durch bestimmte Verfahrensentwicklungen ergeben haben, nicht mit der nötigen Intensität verfolgt werden und so scheitern.

In jedem Fall sind Bemühungen um einen Vergleich nur dann sinnvoll, wenn sie von den Parteien ernsthaft gewollt und mit entsprechendem Einsatz verfolgt werden. In dafür geeigneten Verfahrenskonstellationen steigen die Chancen auf einen erfolgreichen Vergleich dann, wenn man mit ihm einen „Mehrwert“ schaffen kann. Während ein Urteil nur entscheidet, welche Ansprüche einer Partei in welcher Höhe zustehen, ermöglicht ein Vergleich, kreative Lösungen zu finden, beispielsweise die vertragliche Neuregelung der Geschäftsbeziehung. Im Rahmen von Vergleichsgesprächen, insbesondere im Rahmen einer Mediation, lassen sich auch Konfliktursachen besser adressieren und lösen als in einem Gerichts- oder Schiedsverfahren, das einem vergleichsweise starren Verfahrenskorsett unterliegt.

Soweit ein Schiedsgericht die Vergleichsbemühungen moderiert, ist es wichtig, dass die Schiedsrichter mit den Parteien nicht getrennt verhandeln und keine Informationen erhalten, die nicht auch allen anderen Verfahrensbeteiligten mitgeteilt werden. Um in diesem Rahmen die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen sicherzustellen, sollten die Verhandlungen dem „Vergleichsprivileg“ unterworfen werden.

Fazit

Unternehmen müssen sich ihrer Möglichkeiten, Rechtsstreitigkeiten bereits vor Entstehung intensiv beeinflussen zu können, bewusst sein, um das volle Potenzial der zur Verfügung stehenden Streitbeilegungsinstrumente zu nutzen.

Im Vorfeld und in allen Phasen eines Rechtsstreits gibt es Stellschrauben, um das Verfahren passend, effizient und vorhersehbar zu gestalten. Die gute Vorbereitung eines Verfahrens steigert die Chancen einer guten Lösung erheblich. Die Auswahl eines geeigneten Streitbeilegungsverfahrens spart Zeit und Kosten. Geeignete Verfahren bieten zudem die Möglichkeit, die Geschäftsbeziehung zu schützen und Konfliktursachen zu lösen.

Dr. Anke Sessler

ist Partnerin der Sozietät Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom in Frankfurt am Main. Sie vertritt Industrieunternehmen und Finanzdienstleister, insbesondere im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen, die M&A- und Lieferverträge, Joint Ventures und andere Handelsverträge betreffen, sowie bei Aktionärs- und Organhaftungsklagen. 

Max Stein

ist Counsel der Sozietät Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom in Frankfurt am Main. Er berät sowohl Unternehmen als auch Regierungen in komplexen nationalen und internationalen Schieds- und Gerichtsverfahren, einschließlich Investitionsschiedsverfahren. Herr Stein ist insbesondere in Post-M&A-Streitigkeiten, Lieferstreitigkeiten, Organhaftungsklagen und Kartellschadensersatzverfahren tätig.

Hinweis: Aufgrund der besseren Lesbarkeit, insbesondere der juristischen Bezeichnungen, und der Einheitlichkeit wird in diesem Artikel grundsätzlich das generische Maskulinum verwendet. Dies erfolgt ausschließlich aus redaktionellen Gründen.

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[1] Das Beispiel ist angelehnt an Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, 2017, S. 24 ff.

[2] Siehe Buchstabe h) (i) des Anhangs IV der ICC-Schiedsgerichtsordnung 2021 (Verfahrensmanagementtechniken).

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