
Jan Henning Buschfeld
(Mayer Brown)
Klimaklagen in Europa
Wohin steuert die Klimajustiz?
Das kommende Jahr dürfte für Klimaklagen in Europa maßgeblich werden. In mehreren Mitgliedstaaten beschäftigen sich die höchsten Gerichte mit der Grundsatzfrage, ob das jeweilige Zivilrecht Ansprüche gegen Unternehmen auf Treibhausgasreduktionen zulässt und ob solche der richtige Hebel für den Klimaschutz sind. Mit Blick auf die Gewaltenteilung könnten die anstehenden Entscheidungen grundlegende Weichen für oder gegen eine justizielle Klimapolitik stellen.
Deutschland: Automobilhersteller im Fokus
Im Herbst 2021 wurden vier Klagen bei deutschen Gerichten gegen die Mercedes-Benz AG, BMW AG und die Volkswagen AG eingereicht. Die Kläger werden von der Deutschen Umwelthilfe bzw. Greenpeace unterstützt. Die Klagen zielen über einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch darauf ab, den Herstellern das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2030 zu verbieten. Zur Einhaltung der Pariser Klimaziele stehe den Herstellern nur noch ein begrenztes CO₂-Budget zu. Zu dessen Einhaltung dürften ab 2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr in den Verkehr gebracht werden.
Allerdings wurden sämtliche dieser Klagen in erster Instanz abgewiesen; auch die Berufungen blieben bisher erfolglos. Das Oberlandesgericht (OLG) München wies im Verfahren gegen BMW die Berufung mit Urteil vom 12. Oktober 2023 zurück. Die Oberlandesgerichte Stuttgart und Braunschweig erachteten die Berufungen gegen die erstinstanzlichen Klageabweisungen in den Verfahren gegen Mercedes-Benz und Volkswagen sogar als offensichtlich unbegründet, weshalb sie diese ohne mündliche Verhandlung im November 2023 und Juni 2024 durch Beschluss zurückwiesen. Die Berufungsgerichte verneinten auf Grundlage des deutschen Deliktsrechts schon eine allgemeine Verkehrspflicht zur Reduktion von Treibhausgasen. Alle drei Gerichte stellten darauf ab, dass sich die Unternehmen an den gesetzlichen und verfassungskonformen Rahmen hielten. Eine weitergehende Pflicht zur Unterlassung von Emissionen bestehe nicht. Der Gesetzgeber habe verfassungsrechtlich einen Gestaltungsspielraum, um widerstreitende Grundrechte – etwa den Schutz der Umwelt und die unternehmerische Freiheit – in Ausgleich zu bringen. Diesen Spielraum dürfe ein Zivilgericht nicht unterlaufen, indem es für Unternehmen über das Gesetz hinausgehende Pflichten schaffe. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf Unterlassung ist damit ausgeschlossen.
Alle drei Gerichte ließen eine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zu. Die Kläger in den Verfahren vor dem OLG München und dem OLG Stuttgart haben daraufhin jeweils Beschwerde gegen die Nichtzulassung eingelegt. Gegen Volkswagen ist die Klageabweisung mangels Nichtzulassungsbeschwerde demgegenüber rechtskräftig geworden. Sollte der BGH die Revisionen nicht zulassen, wäre künftigen Klimaklagen nach dem gleichen Argumentationsmuster der Boden entzogen. Ließe der BGH die Revision jedoch zu und gäbe den Klägern Recht, dürften Unternehmen in Deutschland mit weiteren, vergleichbaren Klagen konfrontiert werden.
Niederlande: Milieudefensie gegen Shell
In den Niederlanden sorgte das Verfahren Milieudefensie gegen Shell international für Aufsehen. Im April 2019 reichte Milieudefensie gemeinsam mit anderen niederländischen Umweltverbänden sowie mehreren tausend Einzelpersonen eine Sammelklage gegen Shell ein. Shell solle verpflichtet werden, seine CO₂-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. Die Klage stützt sich auf einen ungeschriebenen sozialen Sorgfaltsstandard im niederländischen Deliktsrecht, der im Lichte von Art. 2 und 8 EMRK, den Klimazielen des Pariser Abkommens, wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel sowie Soft-Law-Instrumenten wie den UN-Leitprinzipien und den OECD-Leitsätzen ausgelegt und konkretisiert werden soll.
In erster Instanz gab die Rechtbank Den Haag den Klägern recht – ein Novum und der bislang größte Erfolg einer Klimaklage gegen ein Unternehmen in Europa. Dementsprechend wurde das erstinstanzliche Urteil vielfach als „Meilenstein“, „bahnbrechend“ oder „historisch“ betitelt. Das Gericht folgte der Argumentation der Kläger und verurteilte Shell zur Reduktion der Gesamtemissionen der Shell-Gruppe (Scope 1, 2 und 3) um 45 Prozent. Ausgenommen waren lediglich Emissionen, die dem europäischen Emissionshandel unterliegen.
Allerdings hob das Berufungsgericht in Den Haag das erstinstanzliche Urteil im November 2024 wieder auf. Zwar bestätigte das Gericht, dass Unternehmen nach niederländischem Zivilrecht grundsätzlich zur Senkung ihrer Emissionen verpflichtet sind. Zum Umfang einer Reduktion wollte sich das Berufungsgericht jedoch nicht festlegen. Auch wenn global im Durchschnitt eine Treibhausgasreduktion um einen bestimmten Prozentsatz erforderlich sei, lasse sich für einzelne Länder, Sektoren oder Unternehmen keine konkrete Reduktionsquote festlegen. Es fehle an einem wissenschaftlichen Konsens, um für ein einzelnes Unternehmen eine Reduktionsverpflichtung in konkreter prozentualer Höhe anzunehmen.
Gegen das Berufungsurteil hat Milieudefensie im Februar 2025 Revision beim Hoge Raad eingelegt – jenem Gericht, das 2019 bereits die Niederlande zu strengeren Treibhausgaszielen verpflichtet hatte. Nun wird der Hoge Raad klären müssen, ob das niederländische Deliktsrecht einen bezifferbaren Anspruch auf Treibhausgasreduktionen gegen Unternehmen zulässt.
Italien: Präzedenzfall gegen Eni
Auch in Italien steht ein Präzedenzfall zur Entscheidung an. Im Verfahren Greenpeace gegen das Energie- und Mineralölunternehmen Eni, der ersten Klimaklage gegen ein Unternehmen in Italien, geht es zunächst um die Frage, ob italienische Zivilgerichte für solche Klagen überhaupt zuständig sind.
Im Mai 2023 reichten Greenpeace, eine weitere NGO und zwölf Privatpersonen Klage beim Tribunale di Roma ein. Die Klage richtet sich gegen Eni S.p.A. und deren Hauptanteilseigner – das italienische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen sowie die Förderbank Cassa Depositi e Prestiti. Begehrt wird die Feststellung, dass die Beklagten die Klimaziele des Pariser Abkommens überschritten hätten und deshalb zum Ersatz sämtlicher eingetretener und zukünftiger Schäden der Kläger verpflichtet seien. Außerdem soll Eni verpflichtet werden, die jährlichen Gesamtemissionen (Scope 1, 2 und 3) bis 2030 um mindestens 45 Prozent gegenüber 2020 zu senken. Die Parallelen zum Shell-Verfahren in den Niederlanden sind nicht zufällig; die Kläger beziehen sich in ihrer Klageschrift ausdrücklich auf die – inzwischen aufgehobene – Entscheidung der Rechtbank Den Haag aus 2021.
Die Beklagten bestreiten u.a. die Zuständigkeit der italienischen Gerichte. Sie argumentieren, dass das italienische Recht Unternehmen nicht zur Einhaltung des Pariser Abkommens verpflichte und Gerichte nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten dürften. Die Klage greife unzulässig in die dem Gesetzgeber vorbehaltene Sphäre ein. Im Kern beruht der Zuständigkeitseinwand der Beklagten somit auf dem Prinzip der Gewaltenteilung, auf das sich auch die deutschen Gerichte beriefen.
Die kommenden Urteile werden zeigen, ob der Zivilrechtsweg aus Klägersicht ein wirksames Instrument sein kann oder ob die Verantwortung primär bei den Gesetzgebern und Regierungen liegt.
Vor das höchste Gericht gelangte die Zuständigkeitsfrage im Juni 2024 auf Antrag der Kläger. Am 18. Februar 2025 fand eine nicht-öffentliche Anhörung vor der Corte Suprema di Cassazione statt, ohne dass bislang ein Urteil veröffentlicht wurde. Die Entscheidung wird maßgeblich dafür sein, ob Klimaklagen künftig vor italienische Zivilgerichte gebracht werden können. Der beantragte Erlass einer Zuständigkeitsentscheidung ist für die Kläger daher zweischneidig und mit dem Risiko verbunden, dass das höchste italienische Gericht die Tür für Klimaklagen zuschlagen könnte.
Fazit: Durchbruch oder Sackgasse?
Die Entscheidungen der höchsten Gerichte in Deutschland, den Niederlanden und Italien werden die zukünftigen Erfolgsaussichten von Klimaklagen maßgeblich beeinflussen. Sollten die Gerichte zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen auf Treibhausgasreduktionen anerkennen, könnte dies zu einem Wendepunkt bei Klimaklagen gegen Unternehmen führen. Während derzeit noch eine eher überschaubare Anzahl an (Pilot-)Verfahren anhängig sind, denen bislang kein durchschlagender Erfolg beschieden war, könnten positive Entscheidungen der höchsten Gerichte eine Welle ähnlicher Klagen nach sich ziehen. Die kommenden Urteile werden zeigen, ob der Zivilrechtsweg aus Klägersicht ein wirksames Instrument sein kann oder ob die Verantwortung primär bei den Gesetzgebern und Regierungen liegt.

Jan Henning Buschfeld
ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich Litigation & Arbitration im Düsseldorfer Büro von Mayer Brown.
Hinweis: Begriffe wie „Kläger“, „Hersteller“ etc. beziehen sich hier auf die Legaldefinitionen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit und Einheitlichkeit wird in diesem Artikel grundsätzlich das generische Maskulinum verwendet. Dies erfolgt ausschließlich aus redaktionellen Gründen.

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