► Interview 

Digitalisierung, Effizienz und Transparenz in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit

Dimitra A. Tsakiri 
(ICC-Schiedsgerichtshof)

Dimitra A. Tsakiri leitet seit September 2024 als Counsel beim Internationalen Schiedsgerichtshof der ICC („ICC Court“) das ICA 3 Case Management Team. In dieser Funktion ist sie für rund 200 Schiedsverfahren verantwortlich, hauptsächlich mit Bezug zu Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Benelux-Staaten und Skandinavien. Zuvor war sie seit Januar 2020 als Deputy Counsel im selben Team tätig. Dimitra Tsakiri ist in Griechenland zugelassene Rechtsanwältin und auf internationale Handels- und Investitionsschiedsverfahren spezialisiert. Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wie Verfahren fair, transparent und effizient gestaltet werden können, welche neuen Entwicklungen sich in den letzten Jahren abgezeichnet haben und was es für regionale Unterschiede bei Schiedsverfahren geben kann.

ICC GERMANY: Wie hat sich die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in den letzten Jahren verändert, und wie hat die ICC auf diese Veränderungen reagiert? 

TSAKIRI: In einer zunehmend turbulenten globalen Handelswelt ist die Notwendigkeit, Streitigkeiten so schnell und effizient wie möglich beizulegen, wichtiger denn je. In den letzten Jahren beobachteten wir in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit einen steigenden Bedarf an Digitalisierung, Effizienz und Transparenz. Zudem nimmt die Zahl drittfinanzierter Schiedsverfahren zu. Die ICC arbeitet kontinuierlich daran, diesen Entwicklungen gerecht zu werden. 

Was die Verwaltung von Schiedsverfahren betrifft, findet beispielsweise eine Verlagerung weg von E-Mails hin zu Plattformen statt, die eine sichere, einheitliche Fallhandhabung bieten. Die ICC ist hier ein Vorreiter bei der Digitalisierung und Administration von Schiedsverfahren. Ziel ist es, eine umfassende digitale Lösung – quasi einen „Single-Stop Shop“ – anzubieten, die die Arbeit an den nach der ICC-Schiedsgerichtsordnung verwalteten Fällen optimal unterstützt und für alle Beteiligten erleichtert. Um die Benutzerfreundlichkeit zu verbessern und Prozesse weiter zu automatisieren, wird die derzeitige Case Connect-Plattform vollständig durch Case Connect Powered by Opus 2 („CaseConnect“) ersetzt. 

ICC-Schiedsgerichtsordnung

Die aktuelle Fassung der ICC-Schiedsgerichtsordnung ist seit Januar 2021 gültig und in mehreren Sprachen abrufbar. 

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Zur Förderung der Verfahrenseffizienz sieht die ICC-Schiedsgerichtsordnung eine Reihe von Instrumenten vor, die darauf zugeschnitten sind, Schiedsverfahren zeit- und kostengünstiger zu gestalten. Dazu gehören etwa die Bestimmungen zum beschleunigten Verfahren („Expedited Procedure Provisions“), die ein vereinfachtes Verfahren mit reduzierten Gebühren vorsehen, bei dem Einzelschiedsrichterinnen und -schiedsrichter innerhalb von sechs Monaten nach der Verfahrensmanagementkonferenz einen Schiedsspruch erlassen. Ein weiteres wichtiges Instrument ist das Eilschiedsrichterverfahren (Emergency Arbitration), bei dem Parteien vor Konstituierung des Schiedsgerichts vorläufigen Rechtsschutz beantragen können. Darüber hinaus wird die ICC-Schiedsgerichtsordnung regelmäßig überarbeitet – die aktuelle Fassung von 2021 befindet sich derzeit in einem solchen Prozess –, um sie an neue rechtliche und technologische Entwicklungen anzupassen.

Zudem hat die ICC einen großen Schritt in Richtung Transparenz gemacht, indem sie unter bestimmten Voraussetzungen die Veröffentlichung von ICC-Schiedssprüchen ermöglicht. Um dies benutzerfreundlich umzusetzen, kooperiert die ICC seit 2021 mit Jus Mundi.

Schließlich geht der Trend bei Schiedsregeln dahin, Transparenz bei der Drittfinanzierung (Third-Party Funding) zu gewährleisten. Die ICC-Schiedsgerichtsordnung sieht seit 2021 vor, dass Parteien entsprechende Vereinbarungen offenlegen müssen, um potenzielle Interessenkonflikte zu vermeiden.

ICC GERMANY: Wie unterscheidet sich die Schiedsberichtsbarkeit der ICC im Vergleich zu anderen internationalen Schiedsinstitutionen?

TSAKIRI: Die ICC ist die führende globale Schiedsinstitution mit einer über 100-jährigen Geschichte. Sie ist nicht an eine bestimmte geografische Region gebunden oder von wechselnden politischen Einflüssen abhängig. Seit über 100 Jahren verfolgt der ICC Court sein oberstes Ziel, Menschen weltweit Zugang zum Recht zu verschaffen.

Die globale Reichweite zeigt sich auch in den Fallzahlen von 2023:

  • Parteien aus 141 Ländern (deutsche Parteien sind historisch stark vertreten, 2023 nach den USA am zweitmeisten)
  • Anwendbares Recht aus 112 verschiedenen Rechtsordnungen (deutsches Recht in 62 Fällen)
  • Schiedsrichterinnen und -richter aus 89 Ländern (Deutschland unter den Top 5)
  • Schiedsorte in über 116 Städten (deutsche Städte unter den Top 10)

Ein besonderes Merkmal des ICC-Verfahrens ist die Überprüfung von Schiedssprüchen durch den ICC Court im sog. Scrutiny-Verfahren. Der Schiedsgerichtshof prüft den Entwurf des Schiedsspruchs mit Unterstützung seines Sekretariats sorgfältig, um dessen Qualität und Vollstreckbarkeit sicherzustellen. 

ICC GERMANY: Wie kann sichergestellt werden, dass ein Schiedsverfahren effizient und fair verläuft, insbesondere in komplexen internationalen Fällen?

TSAKIRI: Viele von der ICC verwaltete Verfahren sind komplexe Streitigkeiten mit mehreren Parteien, Verträgen und Schiedsklauseln. Die ICC-Schiedsgerichtsordnung erleichtert die Einbeziehung weiterer Parteien (Joinder) oder die Verbindung mehrerer Verfahren (Consolidation). Zudem enthält Anhang IV der Schiedsgerichtsordnung Beispiele für Verfahrensmanagementtechniken, die Schiedsgerichte und Parteien zur Zeit- und Kostenkontrolle nutzen können. Hierzu zählen etwa: der Erlass eines oder mehrerer Teilschiedssprüche zu Fragen von zentraler Bedeutung, was häufig zu einer deutlichen Effizienzsteigerung führen kann; die Feststellung, welche Fragen ohne mündliche Beweisführung oder rechtliche Erörterung bei der mündlichen Verhandlung allein aufgrund der Aktenlage entschieden werden können; die Begrenzung von Länge und Inhalt von Schriftsätzen, um Wiederholungen zu vermeiden und eine Konzentration auf die zentralen Fragen zu ermöglichen. 

Insgesamt ist die ICC-Schiedsgerichtsordnung dabei derart konzipiert, dass sie sich für jede Art von Fall eignet, da sie eine hohe Flexibilität aufweist und Bestimmungen enthält, die auf komplexe Schiedsverfahren zugeschnitten sind (u.a. Artikel 6-10 ICC-Schiedsgerichtsordnung).

Darüber hinaus investiert die ICC kontinuierlich in Schulungen, um das Verständnis für die verfügbaren Instrumente im Umgang mit Streitigkeiten zu fördern. Hierzu dienen etwa die Advanced Arbitration Academies (z.B. 2024/2025 in Osteuropa, Afrika, Nahost), maßgeschneiderte Trainings für Unternehmen und Kanzleien sowie zahlreiche Konferenzen weltweit.

ICC GERMANY: Wie gehen Sie mit den kulturellen Unterschieden um, die bei Schiedsverfahren zwischen internationalen Parteien entstehen können?

TSAKIRI: Internationale Schiedsverfahren bringen Beteiligte aus unterschiedlichen Rechtskulturen zusammen. Der erfolgreiche Umgang damit erfordert Sorgfalt bei der Auswahl der Schiedsrichterinnen und -richter und der Verfahrensführung. Bei der Ernennung achtet der ICC Court auf Vielfalt – geographisch, kulturell, generationell und geschlechtsspezifisch – und ermutigt auch die Parteien dazu. Die Rechtssysteme und -traditionen der Parteien beeinflussen das Verfahren und werden vom Schiedsgerichtshof bei Ernennungen berücksichtigt.

Die ICC hat maßgeblich die Schaffung einer globalen Schiedsverfahrenskultur unterstützt, indem sie standardisierte Regeln und administrative Unterstützung bereitstellt sowie zur Etablierung von „Best Practices“ beigetragen hat, die international weithin anerkannt sind. Dies fördert Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit, unabhängig von der Herkunft der Beteiligten.

ICC GERMANY: Gibt es Besonderheiten mit Blick auf Verfahren in Deutschland und Nordeuropa?

TSAKIRI: Ja, zum Beispiel im Hinblick auf Vergleichsbemühungen. Insbesondere in Verfahren mit Bezug zum deutschsprachigen Raum beobachten wir hier eine Tendenz. Oft vereinbaren die Parteien frühzeitig eine Verfahrensmanagementkonferenz, in der das Schiedsgericht eine vorläufige, unverbindliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage mitteilt. Diese Praxis zielt darauf ab, eine frühzeitige Einigung zu fördern, was Zeit und Kosten spart. Sie führt nicht selten zur teilweisen oder vollständigen einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits. Gleichzeitig werden derartige Vergleichsbemühungen natürlich nur angestrengt, wenn die Parteien dem zustimmen und sie sowie die Parteivertreter und das Schiedsgericht mit dieser rechtskulturellen Besonderheit vertraut sind. Zusätzliche Bemühungen des Schiedsgerichts um eine Einigung werden vom ICC Court bei der Honorarfestsetzung berücksichtigt, falls die Schiedsklage zurückgenommen wird.

Ein weiterer Punkt ist die „Document Production“: Deutsche Schiedsrichterinnen und -richter agieren bei Anträgen auf Vorlage von Dokumenten durch die Gegenseite („document production requests“) tendenziell zurückhaltender als ihre Common Law-Kolleginnen und -Kollegen, insbesondere wenn deutsche Parteien beteiligt sind. 

Und zuletzt: Iura Novit Arbiter. Bei Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland wenden Schiedsrichterinnen und -richter häufig diesen Grundsatz an. Sie verweisen oft darauf, dass iura novit arbiter in Deutschland anerkannt ist und sie daher befugt sind, Rechtsnormen auch dann anzuwenden, wenn sie von den Parteien nicht explizit genannt wurden. Dabei stellen sie aber immer sicher, dass sich dies auf Aspekte bezieht, die von den Parteien bereits vorgetragen wurden, um Überraschungsentscheidungen zu vermeiden.

Dimitra A. Tsakiri 

leitet seit September 2024 als Counsel beim Internationalen Schiedsgerichtshof der ICC das ICA 3 Case Management Team. In dieser Funktion ist sie für rund 200 Schiedsverfahren verantwortlich, hauptsächlich mit Bezug zu Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Benelux-Staaten und Skandinavien. Dimitra Tsakiri ist in Griechenland zugelassene Rechtsanwältin und auf internationale Handels- und Investitionsschiedsverfahren spezialisiert. 

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