► INTERVIEW

Rechtsabteilungen im Umbruch

Digitalisierung als Chance und Herausforderung

Günter Krieglstein (Luther.Solutions)


Günter Krieglstein ist Direktor und seit 2019 Leiter des Consulting- und Innovations-Hubs „Luther.Solutions“ bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln. Er ist Experte für digitale Geschäftsmodelle, für Organisations- und Prozessgestaltung sowie die Auswahl und Integration von Legal Tech und KI-Lösungen. Er berät externe und interne Teams bei ihrer digitalen Transformation und ist im engen Austausch mit innovativen Start-ups und führenden Köpfen der Branche. Mit ihm haben wir darüber gesprochen, wie die digitale Transformation Rechtsabteilungen und Kanzleien verändert.

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ICC GERMANYInwiefern verändert die zunehmende Digitalisierung und der Einfluss von Künstlicher Intelligenz auch die juristische Branche, z.B. Rechtsabteilungen in großen Unternehmen oder Kanzleien? 

KRIEGLSTEIN: Wir erleben gerade eine tiefgreifende Veränderung der juristischen Branche durch Digitalisierung, vor allem durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Dies gilt gleichermaßen für Rechtsabteilungen und Kanzleien. Beide Seiten profitieren von Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von KI, die repetitive Aufgaben wie Vertragsprüfungen oder Texterstellung übernimmt oder Compliance-Vorgaben überwacht. Automatisierung von häufig genutzten Verträgen durch Legal Tech Tools (Dokumentenautomatisierung) oder Case-Management-Systeme mit automatisiertem Fristenmanagement bringen ebenfalls deutliche Einsparungen. Damit wird ein wichtiger Themenkomplex für Unternehmen unterstützt: Knowledge Management in der Organisation. 

Durch gewonnene Einsparungen bei Routinetätigkeiten können Juristinnen und Juristen sich somit stärker auf strategische Fragestellungen in der Projektarbeit konzentrieren. Zudem schaffen Legal-Tech-Lösungen und generative KI den Grundstein für neue Zusammenarbeits- und Abrechnungsmodelle zwischen Rechtsabteilung und Kanzleien. Es wird in Zukunft einfacher, Kanzleien besser in die Arbeitsprozesse von Rechtsabteilungen zu integrieren und neue Legal-Services anzubieten. Insgesamt führen Digitalisierung und KI zu mehr Effizienz, Transparenz und neuen Geschäftsmodellen – mit großen Chancen für beide Seiten.

ICC GERMANY: Welche Rollen spielen vor diesem Hintergrund digitale Tools für bestimmte rechtliche Fragestellungen? Machen Sie die „klassische“ Rechtsberatung ersetzbar?

KRIEGLSTEIN: Digitale Tools übernehmen zunehmend eine stärkere Rolle in der juristischen Praxis, indem sie Routineaufgaben automatisieren, Prozesse effizienter gestalten und den Zugang zu Rechtsdienstleistungen erleichtern. Insbesondere bei standardisierten Rechtsfragen, wie der Erstellung von Verträgen, der Analyse großer Datenmengen, z.B. bei Due Diligence-Projekten oder der Bearbeitung von Massenverfahren, können sie die klassische Rechtsberatung ergänzen und in Teilen ersetzen. Sehr bekannte Beispiele hierfür sind automatisierte Plattformen für Fluggastrechte oder Bußgeldbescheide, die in hohem Maße automatisiert ablaufen. 

Die Zukunft der Rechtsberatung liegt nicht in der vollständigen Automatisierung, sondern in der intelligenten Kombination aus Technologie und juristischem, menschlichen Fachwissen.

Allerdings stoßen digitale Lösungen bei komplexen, individuellen Sachverhalten an klare Grenzen. Strategische Rechtsberatung, Verhandlungen oder die Berücksichtigung spezifischer wirtschaftlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen erfordern menschliche Expertise und Erfahrung. Gerade bei sensiblen oder konfliktbehafteten Themen bleibt der persönliche Austausch zwischen Mandant- und Anwaltschaft essenziell. Die Zukunft der Rechtsberatung liegt daher nicht in der vollständigen Automatisierung, sondern in der intelligenten Kombination aus Technologie und juristischem, menschlichen Fachwissen. Digitale Tools ermöglichen es Juristinnen und Juristen, effizienter zu arbeiten, sich stärker auf strategische Fragestellungen zu konzentrieren und ihre Mandantschaft gezielter und umfassender zu beraten. Sie sind eine wertvolle Ergänzung, aber kein vollständiger Ersatz für die klassische Rechtsberatung.

ICC GERMANY: Wie weit sind deutsche Rechtsabteilungen und Unternehmen auf die Nutzung technologiebasierter Lösungen vorbereitet? Wo liegen derzeit die Herausforderungen und wie sollte man diese angehen?

KRIEGLSTEIN: Der Reifegrad von Rechtsabteilungen bezüglich der Nutzung technologiebasierter Lösungen schwankt stark. Obwohl sich ein Großteil der Organisationen bereits mit einer Digitalstrategie beschäftigt hat, fehlt oft das klare Vorgehen bei der Operationalisierung oder Umsetzung; hier scheitern leider noch viele Strategien und Digitalprojekte.

Größte Hürden, die wir immer wieder sehen, sind Budgetrestriktionen, fehlende technische Kompatibilität und eine zögerliche Veränderungskultur im Unternehmen. Zudem erschweren regulatorische Vorgaben häufig die Einführung innovativer Lösungen. Der Fachkräftemangel bremst zusätzlich, da interdisziplinäre Expertise mit juristischem und technischem Know-how fehlen.

Für eine Erhöhung des Reifegrades sind gezielte Investitionen, langfristige Strategien und ein hohes Commitment des Managements nötig. Erfolgreiches Change Management erfordert frühzeitige Einbindung und Schulung der Mitarbeitenden. Ein schrittweiser Technologieeinsatz, also nicht der „Big Bang“, minimiert Risiken und erleichtert die Integration in bestehende Strukturen.

ICC GERMANY: Wie schätzen Sie die Legal-Tech-Szene in Deutschland ein. Wo sehen Sie Potenzial, wo Herausforderungen? 

KRIEGLSTEIN: Deutschland verfügt über eine vielfältige und dynamische Legal Tech-Szene mit über 300 Unternehmen, zwischen 6.000 bis 10.000 Beschäftigten und einem Marktvolumen von mindestens 800 Millionen Euro. So zeigen auch erfolgreiche Finanzierungsrunden wie z.B. bei BRYTER in Höhe von 66 Millionen Euro die Dynamik des Marktes. Besonders viel Bewegung kommt durch spezialisierte Start-ups, die stark auf den Einsatz von KI in ihren Lösungen setzen. Über die Hälfte der Unternehmen hat bereits entsprechende Pilotprojekte umgesetzt.

Trotz dieser Innovationskraft stehen viele Anbieter vor typischen Herausforderungen: lange Vertriebszyklen, hohe Kosten bei der Anpassung ihrer Lösungen und komplexe Ausschreibungen. Hinzu kommen regulatorische Hürden und ein Mangel an interdisziplinär qualifizierten Fachkräften, da kombinierte juristisch-technische Ausbildungswege noch selten sind.

Insgesamt ist Deutschland auf einem guten Weg, insbesondere durch den starken Fokus auf KI. Doch um das volle Potenzial zu heben, braucht es gezieltere Förderung, praxisnahe Ausbildungskonzepte und ein innovationsfreundlicheres regulatorisches Umfeld.

ICC GERMANY: Luther.Solutions und ICC Germany arbeiten nach dem Incoterms® 2020 Digital Guide aktuell an einem zweiten Tool: dem Model Contract Generator, der den ICC-Musterkaufvertrag von der Wordvorlage in ein automatisiertes Tool hebt. Welche konkreten Vorteile sehen Sie für Unternehmen?

ICC Model Contract Generator

Wenn Sie erfahren möchten, wie Vertragsautomatisierung mit rechtssicheren ICC-Standards in der Praxis aussieht, melden Sie sich gern bei ICC Germany und erhalten Sie Einblick in die Demo-Version.

Kontakt

KRIEGLSTEIN: Der Model Contract Generator bietet Unternehmen einige Vorteile. Hier ist vor allem die Zeit- und Kostenersparnis hervorzuheben: Unternehmen können Verträge rechtssicher erstellen, ohne in jedem Vorgang externe Rechtsberatung einzuholen.

Das Tool ist benutzerfreundlich und ermöglicht über einen geführten Anwender-Dialog eine einfache Anpassung der Vertragsinhalte auf Basis einer rechtssicheren Vorlage. Eine sichere Cloud-Infrastruktur für die Lösung schafft eine einfache Integration in die Unternehmen. Das Tool erleichtert Verhandlungen, da es eine neutrale und transparente Vertragsbasis schafft. Auch Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung profitieren, da sie Zugang zu einer professionellen Vertragslösung erhalten, ohne zusätzliche Ressourcen aufbauen zu müssen.

Herausforderungen wie die Anpassung an Unternehmensregelungen und Schulungsbedarf lassen sich durch gezielte Unterstützung und enge Zusammenarbeit mit den externen Fachkräften bewältigen. Neben dem genannten ICC-Musterkaufvertrag ist die Lösung auch flexibel auf andere Vertragsmuster übertragbar. Insgesamt betrachtet steigert der ICC Model Contract Generator die Effizienz der Vertragsgestaltung, reduziert (Rechts-)Risiken und stellt bei Bedarf die Basis für ein Vertragsmanagement im Unternehmen.

Günter Krieglstein

ist Direktor und Leiter des Consulting- und Innovations-Hubs „Luther.Solutions“ bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln. Er ist zudem ausgebildeter systemischer Management-Coach. Seine beruflichen Stationen beinhalten die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG, BearingPoint sowie die Management Beratung der Deutschen Telekom.

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