Natalie Rothausen (RWE AG)

Biodiversität als wirtschaftlicher Faktor: Risiken und Chancen für Unternehmen

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Natürliche Vielfalt ist in Gefahr – wirtschaftliche Stabilität steht auf dem Spiel

Biodiversität – eine stille Krise mit wirtschaftlichen Folgen

In den Naturwissenschaften gilt der Schutz der Biodiversität heute – neben dem Klimawandel – als eine der entscheidenden planetaren Grenzen.[1] Zahlreiche Studien zeigen: Der Verlust der Artenvielfalt ist ebenso bedrohlich für unsere Lebensgrundlagen wie der Anstieg der globalen Temperaturen.[2] Und doch steht er bislang weitaus weniger im öffentlichen Fokus.[3] 

Während Extremwetter, Dürren oder Überschwemmungen den Klimawandel greifbar machen, bleibt der Biodiversitätsverlust oft abstrakt. Auch die Wissenschaft hat bisher mehr Aufmerksamkeit auf den Klimaschutz gerichtet: Nur etwa zehn Prozent der einschlägigen Publikationen befassen sich mit Biodiversität.

Dabei ist die globale Wirtschaft untrennbar mit stabilen Ökosystemen verbunden. Intakte Natur liefert Rohstoffe, sichert Lieferketten, stabilisiert Märkte – ihr Verlust gefährdet ganze Branchen. Immer mehr Unternehmen erkennen: Biodiversität ist nicht nur ein Umweltthema, sondern ein Risikofaktor für den Geschäftserfolg. Schwindende Artenvielfalt bedroht Produktionsbedingungen, erhöht Kosten und bringt regulatorische Unsicherheiten mit sich.

Und auch in den aktuell unsicheren Zeiten, in denen viele Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsagenda zurückfahren, häufig als Reaktion auf die anstehenden regulatorischen Lockerungen auf nationaler und europäischer Ebene, aus Gründen der Renditeoptimierung oder als Reaktion auf politischen Druck, bleibt das steigende Interesse am Thema Biodiversität als Risikofaktor bestehen. Unternehmen und besonders der Finanzsektor erkennen, dass das Verständnis über die Abhängigkeit des eigenen Geschäfts von stabilen Ökosystemen entscheidend ist, um zukunftsfähig und resilient zu sein.[4]

Einen wichtigen Impuls für dieses wachsende Bewusstsein lieferte die Weltnaturkonferenz (CBD COP 15) in Montreal im Dezember 2022. Dort einigten sich 196 Staaten auf das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) – einen globalen Aktionsplan mit 23 globalen Zielen („Targets“) zum Schutz der Natur bis 2030.[5]

Die wichtigsten Ziele des GBF lauten:

  • 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen, insbesondere Gebiete mit hoher biologischer Vielfalt,
  • 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederherstellen,
  • 200 Milliarden US-Dollar jährlich für Biodiversität mobilisieren.

Und: Das GBF adressiert ausdrücklich auch die Wirtschaft. Besonders Target 15 fordert Unternehmen auf, ihre naturbezogenen Abhängigkeiten, Risiken und Auswirkungen zu identifizieren, zu bewerten und transparent zu machen.

Biodiversitätsverlust: Eine Bedrohung für die Weltwirtschaft

Laut dem Weltwirtschaftsforum sind mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts direkt oder indirekt von der Natur abhängig.[6] Landwirtschaft, Pharmazie und Tourismus sind offensichtliche Beispiele, doch auch andere Industrien sind betroffen: Die Stabilität von Lieferketten hängt von funktionierenden Ökosystemen ab. Die Zerstörung von Regenwäldern oder Korallenriffen kann langfristig nicht nur Umweltschäden, sondern auch wirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe verursachen. Schwindende Fischbestände gefährden die Lebensmittelversorgung, während der Verlust bestäubender Insekten die Agrarwirtschaft erheblich beeinträchtigt.[7]

Inzwischen warnen nicht nur Umweltverbände, sondern auch Zentralbanken und große Investoren vor den Folgen des Biodiversitätsverlusts. Studien zeigen, dass ein Kollaps der natürlichen Systeme Produktionskosten in zahlreichen Branchen drastisch erhöhen könnte. Steigende Preise für Rohstoffe wie Holz oder bestimmte Mineralien, die in der Elektronikproduktion benötigt werden, können durch unregulierte Entwaldung und nicht nachhaltigen Abbau noch verschärft werden.[8]

Risikofaktor Biodiversitätsverlust: Von Ressourcenknappheit bis Reputationsrisiko

Der Verlust der Biodiversität führt zu einer Verknappung essenzieller Rohstoffe, steigenden Kosten und geopolitischen Unsicherheiten. Unternehmen, die sich nicht mit den Folgen beschäftigen, riskieren nicht nur operative Herausforderungen, sondern auch Reputationsverluste. Immer mehr Investoren und Konsumenten fordern Nachhaltigkeit – und die regulatorischen Eingriffe auf internationaler Ebene nehmen zu.

Ein Beispiel ist die EU-Verordnung zur Entwaldungsfreiheit von Lieferketten, die Unternehmen verpflichtet, nachzuweisen, dass ihre Produkte nicht zur Zerstörung von Wäldern beigetragen haben. Verstöße gegen solche Vorschriften können erhebliche finanzielle Strafen nach sich ziehen und die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens massiv beschädigen. Gleichzeitig können Investoren nachhaltige Finanzierungsmodelle bevorzugen, sodass Unternehmen ohne klare Biodiversitätsstrategie zunehmend Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung haben.

Ein weiteres Risiko ergibt sich aus der engen Verzahnung zwischen Biodiversität und dem Klimawandel. Die Zerstörung natürlicher CO₂-Speicher wie Wälder oder Moore verstärkt nicht nur die Erderwärmung, sondern entzieht Unternehmen auch langfristig wichtige ökologische Dienstleistungen – etwa den Schutz vor Überschwemmungen oder die Regulierung von Temperaturen in Agrarregionen.

Wie Unternehmen zur Lösung beitragen können

Unternehmen haben die Möglichkeit, Biodiversität nicht nur zu schützen, sondern aktiv zu fördern. Ansätze sind u. a.:

  • Nachhaltige Lieferketten
    Der Einsatz nachhaltiger Materialien und strenge Umweltstandards in der Produktion: Unternehmen können beispielsweise durch zertifizierte Rohstoffe wie FSC-Holz oder Fair-Trade-Produkte zur Schonung der Natur beitragen.
  • Biodiversität in Unternehmensstrategien verankern
    Nachhaltigkeitsberichte und ESG-Kriterien berücksichtigen zunehmend auch Biodiversitätsfaktoren. Unternehmen sollten verbindliche Ziele zur Renaturierung von Flächen und zur Reduktion von Umwelteinflüssen festlegen.
  • Partnerschaften mit Umweltorganisationen
    Kooperationen können Wissenstransfer und innovative Lösungen ermöglichen. Beispielsweise unterstützen viele Unternehmen Wiederaufforstungsprojekte oder setzen sich für die Renaturierung von Mooren ein, die als CO₂-Senken fungieren.
  • Natürliche Kapitalbewertung
    Unternehmen sollten Biodiversität als betriebswirtschaftlichen Wert verstehen und in ihre Risikoanalysen integrieren. Modelle wie das „Natural Capital Accounting“ helfen dabei, den wirtschaftlichen Nutzen von Ökosystemleistungen sichtbar zu machen.
  • Schutz natürlicher Ressourcen vor Ort
    Firmen, die in ressourcenintensiven Branchen tätig sind, können Biodiversität durch nachhaltige Produktionsweisen schützen – etwa durch wassersparende Verfahren in der Landwirtschaft oder den Einsatz von Recyclingmaterialien in der Industrie.
  • Mitarbeiterbewusstsein fördern
    Unternehmen können durch Schulungen und interne Programme das Bewusstsein ihrer Mitarbeiter für die Bedeutung der Biodiversität stärken. Dies kann auch durch Corporate-Volunteering-Initiativen geschehen, bei denen Mitarbeiter aktiv an Naturschutzprojekten teilnehmen.

Die Einbindung von Biodiversitätsaspekten in Unternehmensstrategien ist kein rein ethisches Anliegen, sondern ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.

Fazit 

Der Schutz der Biodiversität ist nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch ein wirtschaftlicher Imperativ. Unternehmen, die nachhaltige Strategien entwickeln, können nicht nur Risiken minimieren, sondern auch neue Marktchancen erschließen. Die Einbindung von Biodiversitätsaspekten in Unternehmensstrategien ist kein rein ethisches Anliegen, sondern ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Wer jetzt handelt, sichert nicht nur langfristige wirtschaftliche Stabilität, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Wirtschaft von morgen wird nicht nur digital, sondern auch naturbewusst sein müssen.

Natalie Rothausen

ist Nachhaltigkeitsmanagerin im RWE Konzern, dessen Ambition es ist, einen netto-positiv Beitrag auf die Biodiversität für neue Assets ab 2030 zu erzielen. In ihrer Funktion ist sie für die globale Biodiversitätsstrategie des Unternehmens verantwortlich. Ihr Hauptfokus liegt dabei darauf, die Energiewende naturverträglich voranzutreiben, um nicht nur dem Klimawandel, sondern auch dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken.

Hinweis:  Begriffe wie „Investor“ bzw. „Konsument“ etc. beziehen sich hier häufig auf die Legaldefinitionen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit und Einheitlichkeit wird in diesem Artikel grundsätzlich das generische Maskulinum verwendet. Dies erfolgt ausschließlich aus redaktionellen Gründen.

[1] Siehe Rockström et al. (2009).

[2] Siehe Dasgupta Review (2021); IPBES Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services (2019).

[3] Siehe WWF (2022).

[4] Siehe WEF (2020), McKinsey (2022).

[5] Siehe CBD: https://www.cbd.int/gbf/ (letzter Zugriff: 06. Mai 2025).

[6] Siehe WEF (2020).

[7] Siehe IPBES Report (2019).

[8] Siehe NGFS Report (2022).

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