Dr. Stormy-Annika Mildner (Aspen Institute Deutschland)
und Dr. Claudia Schmucker (DGAP)

Das Ende der regelbasierten Ordnung mit den USA

Wenn geoökonomische Krisen zunehmen, muss die EU das regelbasierte System mit den Mittelmächten stützen

Mit der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump erleben wir eine Zäsur, die sich in ihrem Ausmaß deutlich von seiner ersten Amtszeit abhebt: America First führt zu einer Gefahr für die regelbasierte Handelsordnung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und einer internationalen Vernetzung des Handels geführt hat. Die Welthandelsorganisation (WTO) wird bestenfalls ignoriert, wenn nicht sogar unterminiert. America First kennt auch keine Verbündete: Die Trump-Administration unterscheidet in ihrer Zollpolitik kaum zwischen Partnern wie Kanada und Mexiko und autokratischen Staaten wie China. Auch der EU wird mit Zollanhebungen und weiteren möglichen Zwangsmaßnahmen gedroht, um wirtschaftliche und politische Ziele zu erreichen und angebliche unfaire Maßnahmen gegenüber US-amerikanischen Unternehmen abzubauen. Dieses machtbasierte Verhalten führt zur Gefährdung der regelbasierten Ordnung, die lange Zeit von den USA gefördert und weiterentwickelt wurde. Diese gilt es – so gut es geht – unter europäischer Führung zu retten.

Von der Globalisierung zum geoökonomischen Zeitalter

Die Globalisierung und das multilaterale Handelssystem stehen nicht erst seit der Wahl von Donald Trump unter Druck. Einige Trends zeichnen sich bereits seit Jahren ab. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Fall der Berliner Mauer 1989 erlebte die Welt eine Hyperglobalisierung, deren Höhepunkte die Gründung der WTO im Jahr 1995 und der Beitritt Chinas im Jahr 2001 waren. Die Rolle des Staates ging zurück und Unternehmen verlagerten ihre Produktion dorthin, wo die Kosten am niedrigsten waren. Im Laufe von zwei Jahrzehnten entstanden so differenzierte und effiziente Wertschöpfungsketten. Dabei wurden nicht mehr nur Endprodukte gehandelt, sondern immer mehr Vor- und Zwischenprodukte sowie Dienstleistungen. Der Welthandel wuchs mit einer durchschnittlichen Rate von sechs Prozent. Gemessen am Verhältnis zum BIP stieg der Welthandel laut Daten der Weltbank schnell an, von rund 40 Prozent in den 1990er Jahren auf mehr als 60 Prozent im Jahr 2008.

2007/2008 führte dann die globale Finanz- und Wirtschaftskrise zum stärksten Rückgang des Warenhandels seit 1950. Seitdem hat die Globalisierung deutlich an Fahrt verloren („Slowbalisation“); das Gesicht der Globalisierung hat sich verändert. Auch heute wächst der Welthandel weiter, doch deutlich weniger stark, mit um die drei Prozent pro Jahr. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Viele Länder haben protektionistische Maßnahmen eingeführt, wie Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse. 2018 ergriff Präsident Trump erste Zoll- und Handelsmaßnahmen gegen China. Das Land wurde als strategischer Rivale identifiziert; China antwortete mit Gegenmaßnahmen. Aber auch andere Länder ergriffen Schutzmaßnahmen, um sich gegen Handelsumlenkungen zu schützen. Zudem führte die Trump-Administration Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ein – auch darauf antworteten die Handelspartner der USA mit Gegenmaßnahmen. Der steigende Protektionismus hatte Auswirkungen auf den gesamten globalen Handel. Auch der Brexit war ein Zeichen einer kritischeren Haltung gegenüber wirtschaftlicher Integration.

Aufgrund der vorhandenen geoökonomischen Konflikte kam es zudem zu einer zunehmenden Fragmentierung des Welthandels, steigendem Protektionismus und einer Hinwendung zum machtbasierten Handeln. Handelspolitik wird zunehmend auch als Waffe eingesetzt, wie gerade in der zweiten Amtszeit von Donald Trump deutlich wird.

Im Jahr 2020 führte dann die Covid-19-Pandemie zu schwerwiegenden Verwerfungen im Welthandel. Während die Nachfrage nach medizinischen Produkten stieg, wurden gleichzeitig Chokepoints wie der Shanghaier Hafen sichtbar, die die Produktion und den Transport stark einschränkten. Das „Just-in-time“-Produktionsmodell wurde durch die Lieferkettenkrise in Frage gestellt. Unternehmen setzen zunehmend auf Regionalisierung (z.B. Produktion näher an den Absatzmärkten). 2022 verdeutlichte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zudem die geopolitischen Risiken der Abhängigkeit von Autokratien mit aggressiven Ambitionen, insbesondere im Energie- und Rohstoffbereich. Seitdem beeinflussen Sicherheitsinteressen wirtschaftliche Entscheidungen wieder stärker (z.B. Einschränkungen im Technologietransfer). Zuletzt hat die zweite Amtszeit Donald Trumps 2025 gezeigt, wie schnell die America First-Handelspolitik bestehende Allianzen und funktionierende Lieferketten zerstören kann. In der Folge hat sich das Paradigma im Welthandel von Effizienz zu Resilienz verschoben. Aufgrund der vorhandenen geoökonomischen Konflikte kam es zudem zu einer zunehmenden Fragmentierung des Welthandels, steigendem Protektionismus und einer Hinwendung zum machtbasierten Handeln. Handelspolitik wird zunehmend auch als Waffe eingesetzt, wie gerade in der zweiten Amtszeit von Donald Trump deutlich wird.

Trends im geoökonomischen Umfeld, die die Globale Governance schwächen

Das neue geoökonomische Umfeld führt zu zahlreichen Umbrüchen im Welthandel. So sind zunehmende Unsicherheiten im Handel und Lieferkettenunterbrechungen zu beobachten. Sowohl Russlands Krieg gegen die Ukraine, der Krieg in Gaza, aber auch die Huthi-Angriffe im Roten Meer schaffen erhebliche Unsicherheiten im Handel. Dazu nehmen weltweit Cyberattacken zu. Dies hat gravierende Folgen für die Stabilität der Lieferketten.

Hinzu kommt, dass Handelsbeziehungen immer mehr durch eine sicherheitspolitische Brille betrachtet werden. Interdependenzen im Handel werden als Gefahr gesehen, da sie potenziell als Druckmittel für politische Ziele instrumentalisiert werden können. Auch das Bewusstsein über das Zusammenspiel von Handel und Technologie und die damit einhergehenden Risiken haben zugenommen. So werden in den USA, der EU, den G7-Staaten und weltweit Exportkontrollen und die Prüfungen ausländischer Investitionen verschärft, um die Verbreitung von Technologien an Autokratien mit aggressiven Ambitionen zu verhindern.

Eine weitere Entwicklung ist der Anstieg staatlicher Interventionen in der Wirtschaft, der eng mit dem Sicherheitsaspekt zusammenhängt. Insbesondere in den USA, aber auch in China wird wirtschaftliche Sicherheit mit nationaler Sicherheit gleichgesetzt und führt zu staatlichen Eingriffen und der Förderung von strategisch wichtigen Sektoren (z.B. für die Chip-Industrie in den USA und Europa). Die Industriepolitik gewinnt eine neue geopolitische und geoökonomische Bedeutung und erhöht die Gefahr von globalen Handelskonflikten.

Diese Entwicklungen führen zu einer Schwächung von Global Governance-Strukturen. Über Jahrzehnte unterstützte die WTO einen offenen und regelbasierten Handel. Heute steht die multilaterale Handelsorganisation jedoch unter starkem Druck. Seit Jahren haben sich die WTO-Mitglieder nicht auf multilaterale Handelsabkommen einigen können. Infolgedessen spiegeln die Regeln der multilateralen Handelsorganisation nicht mehr die Realitäten des Handels im 21. Jahrhundert wider. Auch der Streitschlichtungsmechanismus ist mittlerweile disfunktional. Die großen Player im Handel – allen voran die USA – ignorieren und unterminieren WTO-Regeln zunehmend. Es besteht die Gefahr, dass das geoökonomische Zeitalter zu einem machtbasierten Welthandel führen wird, der die Welt erneut in eine Rezession stürzen wird.

Zäsur mit Trump 2.0: Das Ende der US-amerikanischen Unterstützung der regelbasierten Ordnung und Folgen für die EU

Welche Rolle spielen dabei die USA? Die Regeln der Welthandelsorganisation, insbesondere der Streitschlichtungsmechanismus, sind den USA seit Langem ein Dorn im Auge. Die kritische Haltung zur WTO-Streitbeilegung zeigte sich bereits während der Obama-Administration. Unter Trump wurde schließlich im Dezember 2019 die Neuernennung von Mitgliedern des Berufungsgremiums blockiert, so dass WTO-Streitschlichtungsverfahren nun ins Nichts laufen. Unter Präsident Biden wurde die Blockade aufrechterhalten. Trotzdem stellt die zweite Amtszeit von Trump eine Zäsur da. Auf der Basis von Gesetzen, die überwiegend aus der Zeit des Kalten Krieges stammen – wie der Trade Expansion Act von 1962 oder auch der International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977 –, werden einseitig Zollmauern gegen autokratische Staaten und verbündete Staaten erhoben, die den WTO-Regeln widersprechen. Noch schwieriger wurde es für den regelbasierten Handel und die globale Ordnung, als Trump im April 2025 die sogenannten reziproken Zölle eingeführt hat. Auch wenn diese – mit Ausnahme des Basiszolls in Höhe von zehn Prozent – für 90 Tage pausieren, widerspricht dieser Ansatz fundamentalen WTO-Prinzipien, wie beispielsweise dem Prinzip der Meistbegünstigung. Dieser Ansatz birgt das Risiko, die gesamte Grundlage der multilateralen Ordnung in der WTO zu zerstören.

Diese Entwicklung hätte besonders gravierende Folgen für die EU. Sowohl Deutschland als auch die EU sind eng in die globalen Wertschöpfungsketten integriert und haben über Jahrzehnte überdurchschnittlich vom transparenten regelbasierten Welthandelssystem profitiert. Umgekehrt leiden sie auch überdurchschnittlich unter Fragmentierung, Protektionismus und Machtpolitik.

Rolle der EU

Das langfristige Ziel muss daher – auch im eigenen Interesse – sein, das auf Regeln basierende Handelssystem in den nächsten vier Jahren zu stabilisieren. Protektionismus und Handelsfragmentierung schaden vor allem den schwächeren Ländern. Die Führungsrolle der EU ist nun gefragt. Sie muss nach neuen Partnern suchen, die das liberale Handelssystem unterstützen und ein Abrutschen in einen machtbasierten Handel verhindern. Wenn es sich dabei nicht mehr um die USA handelt, muss die EU die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Mittelmächten in der WTO suchen, um Marktintegration, moderne Handelsregeln (einschließlich Fragen der Nachhaltigkeit und des digitalen Handels) und die Reform des globalen Handelssystems voranzutreiben. Der beste Weg dafür sind plurilaterale Abkommen im Rahmen der WTO. Die EU verfügt zudem über ein (fast) globales Netz von Freihandelsabkommen. Dies kann eine wichtige Grundlage für die künftige Zusammenarbeit zum Erhalt des multilateralen Handelssystems sein.

Dr. Stormy-Annika Mildner

ist Executive Director des Aspen Institute Deutschland und Adjunct Lecturer an der Hertie School für Internationale Politische Ökonomie. 

Dr. Claudia Schmucker

ist Leiterin des Zentrums für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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