Am 19. Januar 1923 gründete eine wegbereitende Gruppe von Unternehmern, die sich „Kaufleute des Friedens“ (Merchants of Peace) nannten, den Internationalen Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC Court). Ihr Ziel war es, Frieden und Wohlstand durch grenzüberschreitenden Handel zu fördern – und sie wussten, dass es zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs auch ein Streitbeilegungsverfahren geben musste, das den Bedürfnissen der globalen Wirtschaft entsprach.
Seit 100 Jahren verfolgt der ICC Court nun unbeirrt sein oberstes Vorhaben, allen Menschen, immer und überall Zugang zu Justiz und Rechtsstaatlichkeit zu verschaffen. Der Zugang zur Justiz ist ein Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit. Wenn Parteien diesen haben, stehen ihnen Rechtsmittel zur Verfügung; sie verfügen über die notwendigen rechtlichen Instrumente und Mechanismen, um ihre Rechte zu schützen.
Die ICC hat der Schiedsgerichtsbarkeit und anderer alternativer Streitbeilegungsmechanismen Legitimität verschafft und wird dies auch weiterhin im Rahmen eines wahrhaft internationalen, unabhängigen und neutralen Systems zur Beilegung von Streitigkeiten vorantreiben. Die Internationale Handelskammer hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit zur bevorzugten Methode für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Parteien aus verschiedenen Ländern und Zuständigkeiten wurde und dass die rechtliche Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen geschaffen wurde, einschließlich des Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (das sog. New Yorker Übereinkommen).
3. Transparenz
Im Prozess der Streitvermeidung und -beilegung ermöglicht Transparenz Demokratisierung von Informationen; sie ermöglicht Kohärenz und ein besseres Verständnis vom sowie ein größeres Vertrauen in den Prozess, wobei gleichzeitig legitime Erwartungen an die Vertraulichkeit gewahrt werden. Der ICC Court hat sich auf verschiedene Weisen um mehr Transparenz bemüht:
So kann erstens nach den ICC-Regeln jede Partei den ICC Court dazu auffordern, seine Entscheidungen über Ablehnungen sowie z.B. seine prima facie-Zuständigkeitsentscheidungen sowie Entscheidungen betreffend die Verbindung von Schiedsverfahren zu begründen (Anhang II, Art. 5). Der Antrag einer Partei auf Begründung muss vor der Entscheidung des Gerichtshofs gestellt werden, was bedeutet, dass die Parteien das Ergebnis nicht vorher kennen (Anhang II, Art. 5(2)). Der ICC Court kann die Angabe von Gründen unter außergewöhnlichen Umständen ablehnen (Anhang II, Art. 5(3)).
Zweitens haben sich ICC und Jus Mundi im Jahr 2021 zusammengeschlossen, um veröffentlichungsfähige ICC-Schiedssprüche und damit zusammenhängende Dokumente für die weltweite Rechtsgemeinschaft frei zugänglich zu machen. Jede Partei kann der Veröffentlichung von Schiedssprüchen jederzeit widersprechen und alle personenbezogenen Daten in den Schiedssprüchen und den zugehörigen Dokumenten werden ggf. durch Pseudonymisierung oder Anonymisierung unkenntlich gemacht.
Drittens veröffentlicht der ICC Court seit 2016 die Namen und Staatsangehörigkeiten der Schiedsrichter:innen sowie die Angabe, ob die Ernennung durch den Gerichtshof oder durch die Parteien erfolgte, und welche:r Schiedsrichter:in den Vorsitz des Schiedsgerichts innehat.
Viertens wurde in die Schiedsgerichtsordnung von 2021 eine Bestimmung aufgenommen, die die Offenlegung von Finanzierungsvereinbarungen mit Dritten vorschreibt (Art. 11(7)). Die Vorschrift gilt für eine „Nichtpartei“, die „ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Schiedsverfahrens“ hat. In der Regel legen die Parteien die Existenz von Versicherern nicht offen, und die neue Vorschrift zielt auch nicht darauf ab, von dieser Position abzuweichen.
Fünftens haben die ICC und Jus Mundi im Jahr 2022 den Rahmen ihrer bestehenden Partnerschaft erweitert, um einen breiteren Zugang zum Fachwissen der ICC im Bereich der Streitbeilegung über die Jus Mundis-Suchmaschine für internationales Recht und Schiedsverfahren zu ermöglichen. Mit über 7.500 Dokumenten ist die ICC Dispute Resolution Library (DRL)[2] inzwischen eine wichtige Ressource für internationale Unternehmen, Rechtspraktiker:innen und akademische Einrichtungen. Sie ermöglicht einen einfachen Zugang zu und eine Recherche im ICC Dispute Resolution Bulletin, zu ICC-Schiedssprüchen, ICC Institute Dossiers, ICC-Kommissionsberichten, dem ICC Enforcement Guide, dem Secretariat's Guide to ICC Arbitration, ICC Musterverträgen und anderen Publikationen. Im Einklang mit der Verpflichtung der ICC, Transparenz und Inklusion zu fördern und die Streitbeilegungsgemeinschaft weltweit zu unterstützen, ermöglicht die DRL nun auch den kostenlosen Download der neuesten Ausgabe des ICC Dispute Resolution Bulletin.
Vielfalt und Inklusion sind zentrale Bestandteile der Kultur und der Werte von ICC. Diversität in jeder Form ist für die Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit unerlässlich.
– Claudia Salomon, Präsidentin ICC-Court
4. Effizienz
Im Jahr 2018 hat die ICC ihr beschleunigtes Verfahren für ein verschlanktes Schiedsverfahren mit reduzierten Gebühren eingeführt, das eine Antwort auf die Bedenken hinsichtlich Zeit und Kosten in der Schiedsgerichtsbarkeit darstellt. Im Rahmen des beschleunigten Verfahrens wird der Fall von einem oder einer Einzelschiedsrichter:in in einem vereinfachten Verfahren entschieden und der endgültige Schiedsspruch ergeht innerhalb von sechs Monaten nach der Verfahrensmanagementkonferenz. Diese Verfahren gelten automatisch für Fälle mit einem Streitwert von weniger als 2 oder 3 Millionen US-Dollar – je nachdem, wann der Vertrag unterzeichnet wurde. In zahlreichen Fällen haben sich die Parteien für beschleunigte Verfahren entschieden, selbst wenn der Streitwert über dem Schwellenwert lag.
Die ICC-Schiedsgerichtsordnung sieht auch ein Verfahren vor, bei dem die Parteien eine:n Eilschiedsrichter:in um dringenden vorläufigen Rechtsschutz ersuchen können, wenn sie die Bildung des Schiedsgerichts nicht abwarten können. Der Beschluss muss innerhalb von 15 Tagen gefasst werden.
Darüber hinaus hat der ICC Court im vergangenen Jahre ICC Case Connect eingeführt, eine bahnbrechende digitale Fallmanagement-Plattform, die eine effizientere Kommunikation und den Austausch von Dateien zwischen den Parteien, dem Schiedsgericht und den ICC-Fallmanagement-Teams ermöglicht. Die neue digitale Plattform speichert alle Falldokumente und -daten effizient an einem zentralen, leicht zugänglichen Ort und nutzt den schnellen und benutzerfreundlichen Austausch von Dokumenten sowie neue zeitsparende Online-Formulare für Schiedsrichter:innen.
Das benutzerfreundliche ICC Case Connect ist jederzeit, überall und von jedem Gerät aus zugänglich, und:
- ermöglicht Schiedsrichter:innenn und Anwält:innen eine schnelle und sichere Übertragung von Falldateien,
- vereinfacht die Fallverfolgung, indem es einen Überblick über die Dokumente und die jüngsten Aktivitäten in allen laufenden ICC Case Connect-Fällen bereithält und
- bietet Schiedsrichter:innen aktualisierbare Online-Formulare, die die derzeit verwendeten Formulare ersetzen.
Die Einführung von ICC Case Connect ist ein wichtiger Meilenstein im Rahmen der laufenden Bemühungen der ICC, Nutzer:innen der Dienstleistungen in den Mittelpunkt zu stellen und das Fallmanagement online verfügbar zu machen. Um ihre Vorreiterrolle bei Streitbeilegungs- und Fallmanagementlösungen weiter auszubauen, wird ICC ihre digitalen Dienstleistungen bis 2023 weiter ausbauen.
5. Vielfalt und Inklusion
Vielfalt und Inklusion sind zentrale Bestandteile der Kultur und der Werte von ICC. Diversität in jeder Form ist für die Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit unerlässlich. Die globale Geschäftswelt erwartet zu Recht, dass Entscheidungsträger:innen ihre eigene Vielfalt und ihre Werte widerspiegeln.
Der ICC Court ist mit 195 Mitgliedern aus 120 Ländern, wobei die Mehrzahl der Mitglieder Frauen sind, der vielfältigste in der Geschichte der ICC – was ein breites Spektrum an Erfahrungen und Perspektiven in seiner Arbeit gewährleistet.
Die ICC-Statistiken für 2021 zeigen, dass in den letzten Jahren messbare Fortschritte bei der Verbesserung des Geschlechtergleichgewichts unter den Schiedsrichter:innen erzielt wurden. 2021 waren fast 40 % der Ernennungen durch den ICC Court Frauen – sie wurden entweder auf Vorschlag eines ICC-Nationalkomitees oder einer nationalen ICC-Gruppe oder direkt ernannt – im Vergleich zu knapp 30 % im Jahr 2017. Im Jahr 2021 wurden jedoch nur 25 % der Schiedsrichter:innen vom ICC Court ernannt. Nur 17,5 % der von den Parteien benannten Schiedsrichter:innen waren Frauen (gegenüber 12 % im Jahr 2017), und 26 % der von den Mitschiedsrichter:innen benannten Vorsitzenden der Schiedsgerichte waren Frauen (gegenüber 14 % im Jahr 2017).
Zu diesem Zweck hat die ICC vor kurzem Standardformulierungen in ihre Musterschreiben an Parteien und Mitschiedsrichter:innen aufgenommen. Die Aufnahme neuer Formulierungen in die ICC-Musterschreiben an Parteien, Mitschiedsrichter:innen, Appointing Authorities und ICC-Nationalkomitees ist die jüngste Maßnahme der ICC, um mehr Vielfalt in der Schiedsgerichtsbarkeit zu erreichen. Briefe enthalten nun z.B. eine Formulierung, die dazu auffordert, bei der Auswahl von Schiedsrichter:innen bewusst Diversität zu berücksichtigen. Dies umfasst u.a. Diversität in Bezug auf Herkunft, Ethnie, Kultur, Alter und Geschlecht.
Im Jahr 2022 wurde die ICC für ihr Bestreben, die Schiedsgerichtsbarkeit inklusiver zu gestalten, gewürdigt und erhielt den „Equal Representation in Arbitration Pledge Award“ im Rahmen der jährlichen „Global Arbitration Review Awards“ für ihre Leistungen beim Aufbau eines LGBTQIA-Netzwerks und für die Gründung der „Task Force on Disability Inclusion and International Arbitration“.
2022 war auch das Jahr, in dem ICC Geschlechterparität bei den Vortragenden bei ihren Veranstaltungen sowohl regional als auch weltweit erreicht hat. Das ist ein einzigartiger Meilenstein und zeigt die Vorreiterrolle der ICC und ihren Beitrag zur Gewährleistung von Diversität in der internationalen Streitbeilegung.
Fazit
Seit seiner Gründung im Jahr 1923 setzt sich der ICC Court für den Zugang zu Justiz und Rechtsstaatlichkeit ein. Mit der Einführung des „New Yorker Übereinkommens“ und der Möglichkeit, Schiedssprüche auf der ganzen Welt zu vollstrecken, ist die Schiedsgerichtsbarkeit zur bevorzugten Methode für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten geworden.
Der ICC Court ist weithin als die weltweit bevorzugte Schiedsinstitution anerkannt. Das Scrutiny-Verfahren – ein einzigartiges Merkmal der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit – gewährleistet, dass ICC-Schiedssprüche dem höchstmöglichen Standard entsprechen. Da sich Geschäftsbeziehungen und Streitigkeiten in einer sich ständig verändernden Welt weiterentwickeln, ist die ICC dank ihrer Innovationskraft bestens dafür positioniert, um die Welt der Streitbeilegung und -vermeidung in die Zukunft zu führen
Über die Autorin
Claudia Salomon ist Präsidentin des Internationalen Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer (ICC).
[1] Siehe ICC-Note to Parties and Arbitral Tribunals, paras. 22-36: https://iccwbo.org/news-publications/arbitration-adr-rules-and-tools/note-parties-arbitral-tribunals-conduct-arbitration/.
[2] Siehe https://iccwbo.org/dispute-resolution/resources/digital-library/.
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