Teil 1 – Das Carnet A.T.A/C.P.D
Nicht immer sollen ins Ausland ausgeführte Waren dort auch verkauft werden. Unternehmen (oder natürliche Personen) beabsichtigen unter Umständen, bestimmte Gegenstände nur vorübergehend im Ausland zu verwenden, z.B. als Ausstellungsstücke auf Messen oder als Leihgaben für Museen. Bei Geschäftsanbahnungen präsentieren Unternehmen ihren Kund:innen in spe auch gerne ihre verschiedenen Warenmuster. Oder Unternehmensmitarbeiter:innen werden für Montageeinsätze ins Ausland entsandt und müssen dafür ihre Berufsausrüstung mitnehmen.
Für Waren, die nur vorübergehend in Drittländer ausgeführt werden, können Unternehmen und natürliche Personen entweder das traditionelle Zollverfahren der „Vorübergehenden Verwendung" nutzen. Oder sie greifen auf den besonderen Service des „Carnet A.T.A./C.P.D." (im Folgenden: Carnet) zurück, der von den Industrie- und Handelskammern (IHK) angeboten wird.
Das Carnet A.T.A („Admission Temporaire/Temporary Admission“) ist ein internationales Zolldokument. Das Carnet-Verfahren der IHKs bietet im Vergleich zum sonst üblichen Zollverfahren viele Vorteile: Die Zollabfertigung am ausländischen Zoll läuft mit einem Carnet – dem Reisepass für Waren – deutlich schneller. Zollabgaben und Einfuhrumsatzsteuer entfallen. Je nach Warenart und Zielland können solche Einfuhrabgaben schnell zwischen 20 und 50 % des Warenwertes ausmachen. Dabei verzichtet der Zoll aber nicht einfach so auf diese Einnahmen. Um sich für Fälle abzusichern, bei denen die Waren nicht wie eigentlich vorgesehen nach vorübergehender Verwendung wieder ausgeführt werden, müssen Unternehmen normalerweise Sicherheiten – häufig Barsicherheiten in Landeswährung – hinterlegen. Beim Carnet-Verfahren der IHKs entfällt eine solche Hinterlegung von Sicherheiten bei den Zollstellen des Drittlandes. Besonders bei längeren Carnet-Laufzeiten bietet dies einen Liquiditätsvorteil für Unternehmen und schützt zusätzlich vor zwischenzeitlichen Währungsschwankungen.
78 Länder – ein einheitliches Zollverfahren
Das Carnet-Verfahren ist damit ein hervorragendes Beispiel, wie eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Zoll den internationalen Handel erleichtern kann. Das System basiert auf internationalen Abkommen der Weltzollorganisation (WCO). Bis heute haben 78 Staaten die Abkommen ratifiziert und erkennen das Carnet an. Dabei sichern die Zollbehörden dieser Länder die oben skizzierten Erleichterungen bei der Warenabfertigung zu, aber nur unter einer Bedingung: Ein Bürge haftet gegenüber den jeweiligen Zollverwaltungen, dass Zölle und Steuern bei Unregelmäßigkeiten auch tatsächlich nachträglich abgeführt werden, etwa wenn die Waren im Zielland verkauft statt wiederausgeführt werden.
In jedem Land der Bürgenkette gibt es eine solche nationale Garantieorganisation, die von der dortigen Zollverwaltung anerkannt und zur Ausstellung von Carnets ermächtigt werden muss. In Deutschland ist dieser Bürge die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Die Befugnis zur Ausstellung von Carnets hat die DIHK den 79 Industrie- und Handelskammern übertragen. Die bürgenden Organisationen in den verschiedenen Ländern sind wiederum in der World Chambers Federation (WCF), der Weltkammerverbund der Internationalen Handelskammer (ICC), organisiert. Die ICC WCF koordiniert diese internationale Bürgenkette und steuert so das Carnet-System zusammen mit der WCO.
Der entscheidende Vorteil dieses multilateralen Carnet-Systems ist, dass Unternehmen ein- und dasselbe Zollpapierscheinheft – wie das Carnet auch genannt wird – in allen 78 Staaten bei der Ein- bzw. bei der Wiederausfuhr verwenden können. Da ein Carnet in der Regel für ein Jahr gültig ist und außerdem gleich für mehrere Reisen in ein oder unter bestimmten Voraussetzungen auch in alle anderen Carnet-Partnerländer ausgestellt werden kann, potenziert sich die Verfahrenserleichterung des Carnet gegenüber dem herkömmlichen Zollverfahren gerade bei Mehrfachreisen in verschiedene Drittländer. Beispiele hierfür sind direkt aufeinander folgende Messetermine, internationale Konzerttouren oder länderübergreifende Weltcup-Veranstaltungen in verschiedensten Sportarten wie der Formel 1.
Ist meine Ware Carnet-fähig?
Carnets können für unterschiedliche Warenarten verwendet werden. Zu den drei „Basisanwendungen" gehören Messegüter, Berufsausrüstung und Warenmuster. Hierunter fallen beispielsweise Sportausrüstung, Werkzeug, Foto- und Filmausrüstung, Musikinstrumente, Equipment für Konzert- und Theaterveranstaltungen, Messinstrumente, Ausstellungsstücke für Industrie- und Fahrzeugmessen oder auch Kleidungsstücke und Schmuck. Nicht erlaubt sind dagegen etwa verderbliche und zum Verzehr bestimmte Waren sowie Ausrüstungen, die der gewerblichen Herstellung von Waren oder der Ausbeutung von Bodenschätzen dienen.
Zu beachten ist jedoch, dass nicht alle 78 Länder das Carnet für sämtliche oben genannte Zwecke zulassen. Einige Länder wie etwa Katar erkennen Carnets nur für die vorübergehende Einfuhr von Messe- bzw. Ausstellungsgütern an, nicht jedoch für Berufsausrüstung oder Warenmuster. Welche Länder das Carnet-Verfahren für welche Güter akzeptieren, können Unternehmen bei ihrer IHK erfragen.
Was kostet ein Carnet?
Sowohl Unternehmen als auch natürliche Personen können Carnets bei der für sie örtlich zuständigen IHK beantragen. Die zuständige IHK kann über den IHK-Finder auf IHK-Finder - IHK_DE schnell und einfach ermittelt werden. Carnet-Antragstellern entstehen Kosten für den Carnet-Vordruck sowie für Einlageblätter, die IHK-Bearbeitungsgebühr sowie für ein spezielles Versicherungsentgelt. Das Versicherungsentgelt leitet die IHK an Allianz Trade (ehemals Euler Hermes SA) weiter, die als Rückbürge für die DIHK als Zollbürge im Rahmen der internationalen Haftungskette für das Carnet fungiert. Die Höhe des Versicherungsentgeltes ist abhängig vom Gesamtwarenwert der im Carnet aufgelisteten Güter. Die genauen Kosten sind bei den IHKs abrufbar. Auch wenn die Gesamtkosten für ein Carnet variieren können, so steht fest: Die Kosten für ein Carnet machen nur einen Bruchteil der andernfalls fälligen Zoll- und Steuerabgaben bzw. der zu hinterlegenden Barsicherheiten aus.
Deutschland ist Carnet-Land
Deutschland gehört zu den größten Carnet-Ausstellern der Welt. 2019 – vor Beginn der Corona-Pandemie – nutzten deutsche Unternehmen mehr als 25.700 Mal ein Carnet. Nur die Schweiz stellte mit rund 29.000 noch mehr Carnets aus. Corona-bedingt verzeichneten die Carnet-Zahlen 2020 einen drastischen Einbruch. Die Gründe: Messen, Sportevents und Kulturveranstaltungen wurden größtenteils abgesagt. Auslandseinsätze für Handwerker:innen und Montageteams waren aufgrund der umfangreichen Reisebeschränkungen fast unmöglich. Damit waren die wichtigsten Verwendungsbereiche für Carnets weggebrochen. Nach dem historischen Tiefstwert von knapp 13.300 Carnets im Jahr 2020 haben sich die Carnet-Zahlen 2021 und 2022 wieder erholt und stiegen im Jahr 2021 auf rund 16.300 und in 2022 sogar auf etwas über 20.000 an. Dies entspricht immerhin rund 80 % des Vorkrisenniveaus 2019. Auch der Gesamtwert der mit diesen Carnets zeitweise ins Ausland gelieferten Waren stieg von rund 884 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 1,844 Milliarden Euro im Jahr 2022 an. Ein wichtiger Grund hierfür war der EU-Austritt Großbritanniens im Carnetgeschäft, der nun Zollverfahren auch für die vorübergehende Einfuhr von Waren aus dem Binnenmarkt erforderlich machte.
Im zweiten Jahr nach dem Brexit ist das Vereinigte Königreich zu einer der wichtigsten Destinationen für deutsche Carnet-Waren geworden. Um den zusätzlichen bürokratischen Aufwand bei den Zollformalitäten zumindest etwas abzufedern, nutzten viele Unternehmen das Carnet für die befristete Einfuhr von beispielsweise Turnierpferden oder für Berufsausrüstung zur Wartung von Maschinen oder Windkraftanlagen.
Umgekehrt hat Großbritannien im vergangenen Jahr von allen Ländern, die Carnets ausstellen, am meisten Dokumente ausgestellt. Mit 33.218 Carnets hat es damit 2022 die Schweiz (25.970) als zweitgrößten und Deutschland (20.088) als drittgrößten Carnet-Aussteller hinter sich gelassen.
Die Zukunft ist papierlos: Papierverfahren adé – Hello eCarnet
Bereits das bisherige Carnet-Verfahren gilt als Meilenstein und Paradebeispiel, wie internationale Handelsvereinfachungen in der Praxis aussehen können.
Jetzt soll dieses bewährte aber immer noch mit Papierdokumenten abgewickelte Verfahren zur lückenlosen Dokumentation des Hin- und Rückwegs von Waren digitalisiert werden und mittelfristig als sog. eCarnet im Einsatz sein. Schon die erste Pilotphase, die mit der digitalen Carnet-Beantragung Ende 2019 startete, zeigt: Der bisherige Erfolg des Carnet wird digital fortgesetzt.
Auf Initiative der ICC sowie der DIHK und umgesetzt durch DIHK und IHKs erfolgt die Digitalisierung des Carnet-Verfahrens in zwei Schritten – von der elektronischen Antragsstellung bis hin zum volldigitalen eCarnet. Von deutscher Seite sind die IHK Südlicher Oberrhein und die IHK für München und Oberbayern mit der elektronischen Antragsstellung bereits mit dabei. Bis Sommer 2023 soll dann der Roll-Out dieser ersten Stufe in allen anderen IHKs bundesweit abgeschlossen sein. Auch andere Länder nutzen bereits die elektronische Carnet-Beantragung, wie etwa die Schweiz, Indien, China, USA, Kanada, Norwegen, Großbritannien und Österreich.
Stufenweise zum eCarnet
Die erste Stufe umfasst den Wechsel von der manuellen, papiergebunden Antragstellung hin zu einer elektronischen Antragstellung durch die Unternehmen. In einer zweiten Ausbaustufe soll dann auch die Ausfertigung des beantragten und von der IHK geprüften Carnets sowie die Abfertigung bei den in- und ausländischen Zollbehörden ausschließlich elektronisch erfolgen.
Das neue Antragsverfahren im Detail
Bei der ersten Stufe wird das Antragsformular in Papierform durch ein Onlineformular auf einer Web-Plattform ersetzt. Dies sieht in der Praxis dann so aus, dass zum Beispiel ein Springreiter, der sein Pferd zu einem Turnier nach Großbritannien mitnehmen möchte, auf der Web-Plattform „e-ata“ (über die IHK-Website aufrufbar) einmalig einen passwortgeschützten Zugang bei seiner IHK beantragt. Die IHK legt dann ein personalisiertes Onlinekonto für den Springreiter an. Dort legt er anschließend einen Carnet-Antrag an und trägt die geforderten Daten für das Carnet ein. Das sind genau wie beim Papierantrag etwa Zielland, Anzahl der Fahrten, Verwendungszweck, evtl. Vertreter:in sowie die Warenliste. Die IHK erhält den Carnet-Antrag sodann elektronisch. Er wird von ihr auf Vollständigkeit und Richtigkeit geprüft. Das Carnet wird anschließend ausgedruckt, gesiegelt und ausgefertigt. Der Springreiter kann das Carnet nun in der IHK abholen oder sich per Post zuschicken lassen und sodann unterschreiben.
Der weitere Ablauf gleicht vorerst dem bisherigen Verfahren: Der Sportler führt das Pferd zusammen mit dem Carnet in Papierform der zuständigen Ausfuhrzollstelle vor, wo die sog. Nämlichkeitssicherung vorgenommen wird: Der Zoll vergleicht, ob angemeldete und tatsächlich vorhandene Waren identisch sind. Wichtig: Der/der Carnet-Inhaber:in oder die berechtigte Person (Vertreter:in) muss das Carnet, und evtl. die Vollmacht, vor der Nämlichkeitssicherung unterschreiben.
Allein schon bei diesem ersten Digitalisierungsschritt, der elektronischen Carnet-Beantragung, liegen die Vorteile für Unternehmen auf der Hand: Die einmalige Erfassung der Stammdaten verschlankt gerade für Unternehmen mit vielen Carnets den Beantragungsprozess und durch die digitale Kommentar- und Chatfunktion reduziert sich die Bearbeitungszeit erheblich. Darüber hinaus profitieren Unternehmen von einer komfortablen Nutzerverwaltung. So legt die IHK für das jeweilige Unternehmen zunächst eine Person als „Administrator“ an. Bei Bedarf kann dieser dann im eigenen Unternehmen weitere Nutzer:innen anlegen, die dann ihrerseits wiederum einen eigenen personalisierten Onlinezugang erhalten.
Zudem ist die Autorisierung des Carnet-Antragstellers durch den Administrator gewährleistet. Daher ist eine Unterschrift des zur Antragstellung berechtigten Unternehmensmitarbeiters auf den einzelnen Carnet-Anträgen und beim jeweils erforderlichen Abschluss einer Kautionsversicherung nicht mehr erforderlich.
Außerdem können Carnet-Inhaber:innen über den Online-Zugang mit der IHK kommunizieren, wichtige Informationen einsehen, den Bearbeitungsstand des Carnets durch die IHK verfolgen oder eine Übersicht abgelaufener Carnets erhalten. Umfangreiche Warenlisten können per CSV-Upload in die Anwendung hochgeladen werden. Auch der Druck des elektronischen beantragten Carnets, einschließlich der oftmals viele Seiten umfassenden Warenlisten, erfolgt in der IHK. Damit werden Fehldrucke in den Unternehmen vermieden.
Der für die Unternehmen wichtigste Plus-Punkt bei der elektronischen Carnet-Antragstellung ist tatsächlich – neben der Tatsache, dass der Drucker wegfällt, also keine Druckkosten mehr entstehen und in der Firma keine (aktuellen) Vordrucke mehr vorgehalten werden müssen – der Umstand, dass die Unterschrift der Antragsteller:innen hinterlegt werden muss! Denn: Der Admin des Unternehmens identifiziert sich gegenüber der IHK einmalig (!) digital und ist sodann ermächtigt, ohne weiteres Zutun der IHK, die weiteren Nutzer:innen für das Unternehmen anzulegen. Ist das Carnet ausgefertigt und dem Antragsteller/einem Bevollmächtigten übergeben, können auch die im System angelegten (also vom Administrator ermächtigten) Personen das Carnet unterschreiben.
Technische Voraussetzungen
Die Webanwendung für die elektronische Antragstellung ist browserbasiert. Das bedeutet: Um Carnets online zu beantragen, ist lediglich ein internetfähiger PC oder Laptop nötig. Die Anmeldung erfolgt mittels passwortgeschütztem Nutzerkonto über den Browser. Sonstige Hardware, beispielsweise Kartenlesegeräte beziehungsweise Token zur Nutzerautorisierung, brauchen Unternehmen dadurch nicht. Eine Installation von etwaiger Zusatzsoftware auf lokalen Rechnern erfolgt ebenfalls nicht. Dadurch ist die Antragstellung jederzeit sowohl vom Betriebsgelände als auch aus dem Homeoffice möglich.
eCarnet-Pilot der ICC: Mit QR-Code über die Grenze
Mit dem eCarnet sollen zukünftig auch weitere Schritte – Abholung des Carnets bei der IHK und Vorlage beim Zollamt in Papierform – der Vergangenheit angehören. Damit sollen in Zukunft lediglich die Carnet-App und ein QR-Code ausreichen, der aus den Daten der Antragstellung generiert und verschlüsselt wird. Dieser QR-Code kann dann vom Zoll elektronisch abgelesen und die Ware abgefertigt werden – ganz ohne Papier.
In einer ersten Testphase beteiligen sich die IHK Südlicher Oberrhein und die IHK für München und Oberbayern an einem diesbezüglichen Pilotprojekt der ICC. Sie testen hierbei die volldigitale Carnet-Abfertigung bereits mit ausgewählten Zollstellen in anderen Pilotländern, u.a. der Schweiz, Kanada, China, Norwegen, USA oder Großbritannien. Ziel ist es, die digitale Carnet-Abfertigung in immer mehr Ländern zu etablieren.
Im Februar 2023 hat auch die deutsche Generalzolldirektion bekannt gegeben, sich an dem internationalen Pilotprojekt eCarnet der ICC zu beteiligen, sodass das volldigitale Carnet nun auch in Deutschland mit ausgewählten Zollstellen getestet werden kann. Hier hatte die DIHK in vielen Gesprächen für eine Beteiligung geworben. Folgende Hauptzollämter/Zollämter nehmen am Piloten teil: Hauptzollamt (HZA) Berlin mit den Zollämtern Marzahn, Schöneberg und Dreilinden, das HZA Lörrach mit den Zollämtern Weil am Rhein und Weil am Rhein-Autobahn sowie das HZA München mit dem Zollamt Garching-Hochbrück.
Teil 2 – ein Praxisbericht
Die IHK für München und Oberbayern ist Deutschlands größter Carnet-Austeller mit jährlich rund 3.000 Carnets (Vor-Corona-Niveau). Der Wunsch, das Carnet-Verfahren für die Antragsteller:innen, also den Kund:innen, zu digitalisieren, ist in der IHK für München und Oberbayern nicht neu oder durch die Corona-Pandemie ein stark gewachsener Wunsch. Man hat sich in der IHK bereits vor 19 Jahren mit seinen größten Carnet-Kund:innen zusammengesetzt und überlegt, wie man das Verfahren besser, effizienter, vor allem aber digitaler gestalten kann. Damals aber war die Zeit nicht reif für die Digitalisierung des Carnet-Verfahrens. Es gab kein lizenzierungsfähiges und/oder wirklich taugliches eCarnet-Programm auf dem Markt; die Technologie war umständlich und vor allem viel zu teuer, so dass man zunächst wieder Abstand von dem Gedanken nahm, selbst ein eCarnet-Programm entwickeln zu wollen.
Vom umständlichen analogen Papierverfahren…
Bei der Antragstellung im Papierverfahren müssen die Antragsteller:innen nicht nur die richtigen, also aktuellen, Vordrucke im Unternehmen bevorraten, sie müssen diese nach dem Ausfüllen auch ausdrucken, unterschreiben und – persönlich oder postalisch – zu der örtlich zuständigen IHK schicken. Im schlimmsten Fall wurde dann ein Fehler im Antrag entdeckt. Das nämlich hieß für den Antragsteller: Zurück auf Los: Wieder nach Hause oder ins Unternehmen fahren, alles nochmal neu ausfüllen, nochmal ausdrucken, nochmal unterschreiben lassen und nochmal zur IHK bringen. Gerade wenn es eilig war, der Flieger schon gebucht oder die LKWs für den Abtransport beladen waren, bedeutete das viel Zeitverlust und Ärger. Für dringende Notfälle hielt die IHK tatsächlich noch eine Schreibmaschine bereit, aber spätestens ab diesem Moment waren dann immer alle frustriert. Und wenn der Antragsteller den Postweg für seinen Antrag wählte, konnte es aufgrund der Postzeiten manchmal mehrere Tage dauern, bis das Carnet in der IHK überhaupt ausgestellt werden konnte.
…zur Erfolgsgeschichte eCarnet
So entschied sich die IHK für München und Oberbayern zu handeln und konnte nach einer europaweiten Ausschreibung Ende 2021 dem Anbieter eATA Suisse den Zuschlag erteilen. Zusammen mit einem der größten Carnet-Kunden Deutschlands haben dann die Mitarbeiter:innen des Bescheinigungsdienstes der IHK für München und Oberbayern gemeinsam mit dem Anbieter eATA Suisse das Bestands-Programm auf die Bedürfnisse nicht nur der oberbayerischen, sondern aller deutschen Unternehmen angepasst. Ein hartes Stück Arbeit, das sich aber gelohnt hat! Das erste digital beantragte Carnet ging dann in der IHK München im Januar 2022 vom Band. Das Münchner eCarnet-Projektteam saß damals vor den Bildschirmen und wartete auf den Eingang der Registrierung des Pilotunternehmens. Eine Registrierung kam, allerdings von einem anderen Unternehmen als erwartet – die Antragsteller:innen standen regelrecht digital „in der Schlange“.
Innerhalb nur eines Jahres hat die IHK für München und Oberbayern bereits einen digitalen Anteil von 90 % ihres Volumens erreicht – ohne Werbung dafür machen zu müssen. Offensichtlich gab es ein riesiges Bedürfnis bei den Antragsteller:innen, welches mit dem eCarnet-System befriedigt werden konnte.
Die Vorteile des eCarnet-Systems im Praxistest
Damit ist die erste Stufe des Digitalisierungsprozesses zum eCarnet-Verfahren in der IHK für München und Oberbayern bereits seit knapp eineinhalb Jahren abgeschlossen und die Vorteile der elektronischen Antragstellung werden gerade im praktischen Alltag deutlich:
Keine Drucker mehr vorhalten, keine rauen Mengen an Papiervordrucken im Unternehmen bereithalten und keinen Unterschriften mehr hinterher laufen zu müssen – das sind die sichtbaren Vorteile der elektronischen Antragstellung. Viel wertvoller aber ist das, was man den Antragsteller:innen zurückgeben konnten – nämlich ihre unternehmerische Zeit. So muss man nicht mehr in die IHK kommen oder lange Postwege in Kauf nehmen; der Antrag ist mit einem Mausklick in der IHK. Früher durchaus übliche Eilprozesse unter Einbindung von Kurierfahrern im Haus sind nun zum Glück Geschichte.
Das eCarnet im Rollout
Nach der Erfolgsgeschichte des eCarnet-Systems in der IHK für München und Oberbayern wird nun die umprogrammierte Version in der ganzen Bundesrepublik ausgerollt. Das Team hat dabei dankenswerterweise beim Programmieren von Anfang an für alle mitgedacht, sodass die Anwendung wirklich für alle Antragsteller:innen, gleich ob großes Unternehmen oder Privatperson, den größtmöglichen Komfort bietet. Als Pilotkammer und Mitgestalterin des Systems steht die IHK für München und Oberbayern ebenso wie die IHK Südlicher Oberrhein (die eine frühere Version des Programms seit Herbst 2019 nutzt) auch anderen IHKs mit Rat und Tat zur Seite.
Zum Greifen nah: Das volldigitale Carnet
Bei dem Erfolg der ersten Stufe der Digitalisierung des Carnet-Verfahrens soll es in München aber nicht bleiben. Das volldigitale Carnet soll kommen! Dieses Vorhaben unterstützt die DIHK im Namen aller IHKs in Deutschland und öffnet Türen bei Zollverwaltung, Bundesregierung und in Europa – sowie auf internationaler Ebene. Gemeinsam mit der IHK Südlicher Oberrhein und der IHK Berlin (ab Sommer 2023) ist die IHK für München und Oberbayern natürlich auch auf internationaler Ebene Teil des Pilotverfahrens rund um die zweite Stufe der Digitalisierung, also dem volldigitalen Carnet. Und wenn das geschafft ist, soll erstmal ein neuer Name gefunden werden – denn ein „Carnet“ (Französisch für „Heftchen“) ist es ja dann nicht mehr!
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Nadine Collier-Peters
ist Referatsleiterin Carnet ATA, Zollverfahren, bei der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK)
Johanna Wegner, LL.M.
ist Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) und Referatsleiterin Zoll und Außenwirtschaftsrecht bei der IHK für München und Oberbayern
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