In geopolitisch herausfordernden Zeiten verfolgt die Bundesregierung eine ehrgeizige Handelspolitik zur Förderung von Diversifizierung, Resilienz und Nachhaltigkeit. Ein Überblick.
Grundlagen der deutschen und europäischen Handelspolitik
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist die Geopolitik mehr denn je bestimmend für alle Politikfelder. Gleichzeitig hat die COVID19-Krise die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten vor Augen geführt. Zusätzlich stehen globale Herausforderungen wie der Klimawandel und der Verlust an Biodiversität ganz oben auf der Tagesordnung. Eine ehrgeizige Handelspolitik kann einen nachhaltigen Beitrag leisten, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern, die grüne und die digitale Transformation zu unterstützen und nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.
Dazu zählen insbesondere drei Aspekte: (1) Die Stärkung des regelgebundenen Handels in den multilateralen, plurilateralen und bilateralen Handelsbeziehungen zur Förderung von Rechtssicherheit für Wirtschaftsakteure. (2) Die Diversifizierung und somit Steigerung der Resilienz von Lieferketten, auch um einseitige Abhängigkeiten ab- bzw. ihnen vorzubauen. (3) Die stärkere Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens und des Regulierungsrechts der Staaten in Handels- und Investitionsschutzabkommen, um auch dadurch zur Krisenbewältigung beizutragen.
Die deutsche Handelspolitik ist integraler Bestandteil der Handelspolitik der Europäischen Union, die in Handelssachen umfassende Kompetenzen hat. Somit sind auch die Mitteilungen der Europäischen Kommission zur Handelspolitik („Überprüfung der Handelspolitik – Eine offene, nachhaltige und entschlossene Handelspolitik“ vom Februar 2021 und „Die Macht von Handelspartnerschaften: gemeinsam für ein grünes und gerechtes Wirtschaftswachstum“ vom Juni 2022) maßgebliche Säulen der deutschen Handelspolitik. Im Juli und November 2022 hat die Bundesregierung Eckpunkte ihrer Handelspolitik verabschiedet, deren aktuelle Aspekte im folgenden Text näher adressiert werden.
Das Welthandelsrecht als Fundament des internationalen Handels
Der größte Teil des deutschen Außenhandels findet ausschließlich unter dem Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) statt, auf EU-Ebene sind es etwa zwei Drittel. Der Außenhandel trägt maßgeblich zu unserem Wohlstand bei – mehr als 85 % des zukünftigen weltweiten BIP-Wachstums wird außerhalb der EU stattfinden. Die WTO-Regeln bilden dabei einen unverzichtbaren Rechtsrahmen für den internationalen Handel, nicht zuletzt für kleine und mittelgroße Unternehmen, indem sie für Rechtssicherheit sorgen und eskalierende Handelsstreitigkeiten verhindern oder zumindest zur Deeskalation beitragen. Die Bundesregierung setzt sich für freien und fairen Welthandel sowie ein modernes multilaterales Regelwerk ein und lehnt Protektionismus ab. Gleichwohl müssen die Regeln des globalen Handels reformiert und an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Dabei stehen die Erneuerung der Regeln zu marktverzerrenden Subventionen, die Aufhebung der Blockade des Streitbeilegungsmechanismus und eine Ausrichtung der WTO an den Globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen im Mittelpunkt. Im G7- und im EU-Kontext werden auch die Vulnerabilitäten der Wirtschaftssicherheit diskutiert.
Bilaterale EU-Handelsabkommen und Nachhaltigkeit
Multilaterale Handelsregeln sind die beste Lösung, brauchen aber Zeit. Gleichzeitig benötigt die EU als export- und importstarker Wirtschaftsraum verlässliche und breit aufgestellte Lieferketten, einschließlich für Energie und Rohstoffe. Deshalb unterstützt die Bundesregierung auch eine ehrgeizige und nachhaltige bilaterale EU-Handelsagenda. Sie hat die Ratifizierung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens der EU mit Kanada (CETA) umgesetzt und unterstützt den zügigen Abschluss der Modernisierung der Abkommen mit Chile und Mexiko. Ebenso sieht die Bundesregierung Chancen für den Abschluss eines Abkommens mit dem MERCOSUR-Staatenbund (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay), wobei sie Nachhaltigkeitsthemen einschließlich Menschenrechten und Waldschutz eine besondere Bedeutung beimisst. Auch Verhandlungen mit Partnern in der Indo-Pazifik Region (Australien, Indonesien, Indien, Thailand) und Afrika sollen vorangebracht werden.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der Handelspolitik ist eng verbunden mit der Verankerung von Nachhaltigkeitszielen.
Handelspolitik soll auch einen Beitrag für die digitale Transformation leisten. Deshalb unterstützt die Bundesregierung neben den WTO-Verhandlungen zu diesem Thema auch Digitale Partnerschaften und ehrgeizige Digitalkapitel in EU-Handelsabkommen mit Partnerländern.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der Handelspolitik ist eng verbunden mit der Verankerung von Nachhaltigkeitszielen. Wichtig ist etwa die Verankerung multilateraler Nachhaltigkeitsstandards im Klima-, Umwelt- und Arbeitsbereich sowie eine enge Zusammenarbeit zu Fragen der verantwortungsvollen Unternehmensführung oder bei Handel und Geschlechtergerechtigkeit. Dazu gehört bei zukünftigen Abkommen auch die Möglichkeit der Aussetzung von Präferenzen bei Nichteinhaltung des Übereinkommens von Paris oder der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation. Auch EU-autonome Maßnahmen leisten Beiträge zur Förderung von Nachhaltigkeitszielen, etwa das CO2-Grenzausgleichssystem zur Verhinderung eines „Carbon Leakage“, die Verordnung gegen Entwaldung, die avisierte Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten und die geplante Verordnung zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten.
Die transatlantische Zusammenarbeit
Seit Amtsantritt von Präsident Biden gab es eine Vielzahl positiver Signale in der transatlantischen Zusammenarbeit: Fünf Jahre Zollmoratorium im Airbus-Boeing WTO-Verfahren (nach 17 Jahren Konflikt), eine Einigung über die globale Mindestbesteuerung von Konzernen, der Wiederbeitritt der USA zum Übereinkommen von Paris, die Einrichtung des EU-U.S. Handels- und Technologierats (TTC) und zugleich die Suspendierung der Sonderzölle auf Stahl und Aluminium sowie parallele Arbeiten mit der EU an einer Globalen Vereinbarung über nachhaltigen Stahl und Aluminium. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich die Zusammenarbeit mit Deutschland noch weiter intensiviert.
Gleichzeitig ergeben sich durch die Handelsagenda der U.S.-Administration auch neue Herausforderungen für die EU. Der „U.S. Inflation Reduction Act (IRA)“ ist als klimapolitisches Programm sehr zu begrüßen, die gewählten Mittel sind aber aus handelspolitischer Sicht teilweise schwierig. Hierüber ist zu sprechen. Die transatlantische Zusammenarbeit ist insofern beides: die Zusammenarbeit von Wertepartnern und Alliierten, ökonomisch aber auch die Zusammenarbeit im Spannungsfeld von Wettbewerbern. Gemeinsam muss die transatlantische Zusammenarbeit daher in mehreren Strängen weitergetrieben werden – von der Standardsetzung für grüne und digitale Technologien im TTC ebenso wie im Umgang mit Nichtmarktwirtschaften und zugunsten besser aufeinander abgestimmter Lieferketten inklusive der Idee eines „Critical Minerals Club“. Der IRA hat dabei gezeigt, dass die starke innenpolitische Ausrichtung der U.S.-Politik auch europäische Antworten in der Industriepolitik benötigt, die europäische Stärken wie Infrastruktur und Ausbildung betont und zugleich die Offenheit der Märkte bewahrt. Märkte für grüne Technologien brauchen weniger Barrieren und besser abgestimmte Fördermaßnahmen.
Investitionsschutz
Die Bundesregierung setzt sich bei allen Abkommen mit Investitionsschutz für eine weitere Stärkung des staatlichen Regulierungsrechts und die Konzentration auf Inländergleichbehandlung und den Schutz vor direkten Enteignungen ein. Hierüber sollen notwendige politische Handlungsspielräume, u.a. zum Schutz des Klimas, der nationalen Sicherheit und Energieversorgung, gestärkt und eine missbräuchliche Anwendung der Investitionsschutzinstrumente verhindert werden. Aus dieser Neuausrichtung des Investitionsschutzes wurden bereits erste Schlüsse gezogen. Deutschland hat den Rücktritt vom Energiecharta-Vertrag vollzogen, da der Vertrag mit zentralen Zielen der Bundesregierung nicht vereinbar ist. Auch der vorliegende Modernisierungsvorschlag wird weder den deutschen und europäischen Klimazielen noch den Standards zu nachhaltiger Entwicklung und modernisiertem Investitionsschutz gerecht. Auch andere EU-Mitgliedstaaten sind vom Energiecharta-Vertrag zurückgetreten, und die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die EU ebenfalls zurücktritt. Darüber hinaus sollen Investitionsschutzbestimmungen des CETA-Abkommens präzisiert werden. Hierzu dauern die Gespräche zwischen der Europäischen Kommission und Kanada an.
Fazit
Mit ihren Eckpunkten zur Handelspolitik hat sich die Bundesregierung ein ehrgeiziges Programm zur Stärkung des multilateralen regelbasierten Handelssystems mit der WTO im Zentrum, zur Förderung ambitionierter EU-Handelsabkommen mit ehrgeizigen Nachhaltigkeitsstandards, zur Fokussierung des Investitionsschutzes und Stärkung des Regulierungsrechts sowie zur Intensivierung der transatlantischen Zusammenarbeit gegeben.
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Dr. Dominik Schnichels
ist Leiter der Abteilung Außenwirtschaftspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
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