Ulrich Helm (Mayer Brown LLP)

Krisenzeiten und Mediation

COVID-19 und der Krieg in der Ukraine sorgen für einen Anstieg zivilrechtlicher Konflikte und damit zu einer zusätzlichen Belastung für die betroffenen Unternehmen. Mediation als alternative Streitlösungsmethode verspricht schnelle und günstige Vergleiche. Kann eine bevorzugte Wahl der Mediation als Mittel der Streitlösung helfen, die steigende Anzahl an Konflikten zu bewältigen?

In Krisenzeiten steigt die Konfliktbereitschaft

Krisen ändern die Spielregeln. Dies führt zu vermehrten Zivilstreitigkeiten, etwa darüber, ob die COVID-19-Pandemie als Force Majeure anzusehen ist oder der Ukrainekrieg zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt haben könnte.

Anders als die USA war Europa traditionell zurückhaltend, alternative Streitbeilegungsmechanismen wie Mediation anzuwenden. Dies führte dazu, dass die Mediation bevorzugt zum Einsatz kam, wenn sie bereits bei Vertragsschluss im Rahmen einer Eskalationsklausel vereinbart worden war. Denn der Konflikt durfte erst zum Gericht „eskaliert“ werden, wenn zuvor eine Mediation erfolglos durchlaufen worden war.

Mediation (lateinisch „Vermittlung“) ist ein strukturiertes, freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes, bei dem unabhängige „allparteiliche“ Dritte die Konfliktparteien in ihrem Konfliktlösungsprozess begleiten. Die Konfliktparteien, auch Medianden genannt, versuchen dabei, zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. Der allparteiliche Dritte, der oder die Mediator:in, trifft keine eigenen Entscheidungen bezüglich des Konflikts, sondern ist lediglich für das Verfahren verantwortlich. Ob und in welcher Form ein:e Mediator:in selbst überhaupt inhaltliche Lösungsvorschläge macht, ist je nach Ausrichtung der Mediation unterschiedlich.[1]

Eine Mediation soll preiswert und schnell zu einem Vergleich führen. Dabei soll sie den Parteien die Kontrolle über das Resultat ermöglichen und künftige Beziehungen erhalten.[2] Mit diesen Argumenten werden die Vorteile einer Mediation beschrieben.

Damit bietet sich, auf den ersten Blick, das Instrument der Mediation an, um ein krisengetriebenes, plötzliches Ansteigen ihrer Prozesstätigkeit zu vermeiden, zumindest aber zu verringern.


"Eine Mediation ist kein ,Allheilmittel', sondern sollte nur dann eingesetzt werden, wenn begründete Aussicht auf ihren Abschluss durch einen für beide Seiten akzeptablen Vergleich besteht."


Rechtsanwalt Ulrich Helm


Sollte man bei steigendem Streitaufkommen vordringlich auf Mediation als Mittel der Streitlösung setzen?

Scheitert eine Mediation, verkehren sich die ihr zugeschriebenen Vorteile ins Gegenteil. Ein Gericht wird sich nun doch mit der Sache befassen müssen. Der für die Konfliktlösung einzusetzende Zeitaufwand wird durch die vorgeschaltete Mediation nur vergrößert. Statt der Gerichtskosten sind zusätzlich die Kosten der fehlgeschlagenen Mediation zu tragen.

Auch eine Krisensituation ändert daran nichts: Eine Mediation ist kein „Allheilmittel“, sondern sollte nur dann eingesetzt werden, wenn begründete Aussicht auf ihren Abschluss durch einen für beide Seiten akzeptablen Vergleich besteht. Dies ist bei komplexeren Zivilstreitigkeiten – und darum handelt es sich bei Auseinandersetzungen verursacht durch COVID-19 und dem Krieg in der Ukraine in der Regel – seltener der Fall als wohl gemeinhin angenommen wird. Hierzu die folgende Fallstudie:

Der Auftraggeber hatte seinem Auftragnehmer ein Hydrogenprojekt fristlos gekündigt. Das Projekt hatte sich zusehends verspätet und verteuert, wofür der Auftragnehmer Erschwernisse durch COVID-19 und dem russischen Angriffskrieg verantwortlich machte. Der Auftragnehmer wehrte sich gegen diese Kündigung. Beide Seiten stellten erhebliche Forderungen. Sie leiteten eine Mediation ein. Dies schrieb ihnen die Eskalationsklausel des Vertrages vor. Die Parteien trafen sich mit dem Mediator alle zwei Wochen. Gleichwohl zog die Mediation sich über etliche Monate hin und verursachte mithin erhebliche Kosten.

Die Mediation scheiterte, nachdem sämtliche streitigen Aspekte und Argumente detailliert besprochen waren. Sie scheiterte also zu einem Zeitpunkt, zu dem man annehmen konnte, dass die Parteien sich nähergekommen sein sollten. Anlass war der Vorschlag des Auftragnehmers, eine Begutachtung wesentlicher Rechtsfragen von einem gemeinsam bestimmten Rechtsprofessor durchzuführen, um im Lichte seiner Ergebnisse einen konkreten Vergleichsvorschlag verhandeln zu können. Diese Rechtsfragen hatten sich während der Mediation als streitentscheidend herauskristallisiert. Diesen Vorschlag eines Rechtsgutachtens lehnte der Auftraggeber nicht nur ab. Er nahm ihn zum Anlass, die Mediation für gescheitert zu erklären.

Wie erklärt sich diese Reaktion des Auftraggebers?

  • Während der Auftragnehmer die Rechtslage als für ihn vorteilhaft einschätzte, bewertete der Auftraggeber seine Prozesschancen pessimistisch. Dies würde der mit der Begutachtung der Rechtslage beauftragte Rechtsprofessor feststellen. Danach wäre für den Auftraggeber kein vorteilhafter Vergleich mehr zu erzielen.
  • Der Auftraggeber wollte „Zeit kaufen“, um Baumängel festzustellen, auf die er seine Widerklage stützen würde. Dies war die eigentliche Motivation für die Durchführung des Mediationsverfahrens; er hatte eine „hidden agenda“.
  • Weiter ersparte der Auftraggeber sich das interne Eingeständnis, den Auftragnehmer unbegründet fristlos gekündigt und das Risiko einer erheblichen Schadensersatzzahlung verursacht zu haben (hier vermischten sich Interessen des Auftraggebers mit denen der für ihn handelnden Personen).
  • Nicht zuletzt hoffte der Auftraggeber, der Auftragnehmer würde einen Prozess finanziell nicht überstehen, oder dessen Management würde ausgetauscht und das neue Management würde sich auf einen für ihn besseren Vergleich einlassen – weil es nicht an der Rechtslage interessiert war, sondern die Altlast loswerden wollte.
  • Der Konflikt hatte durch die fristlose Kündigung bereits eine Intensität erreicht, die eine Änderung der grundlegenden Motivation der Parteien bewirkt hatte. Es ging nicht mehr nur um die Realisierung eigener Interessen, auch die Schädigung des anderen wurde als taktisches Mittel in Betracht gezogen.[3]

Erschwerend wirkte sich schließlich noch die „reflexive“ Auslegung seiner Rolle durch den Mediator aus. Er organisierte das Verfahren und hörte zu. Bewusst verzichtete er auf einen Hinweis an den Auftragnehmer, seine Prozesschancen könnten schlechter als gedacht sein. Dies war der Mediation nicht zuträglich. Denn eskaliert ein Streit, sollte der Mediator sein Verhalten auf das Konfliktniveau anpassen und Druck einsetzen, dabei die Erwartungen der Streitparteien dämpfen und Hindernisse für eine Einigung aus dem Weg räumen. Eine französische Feldstudie bestätigte dies.[4] 

Eine solche Eskalation ist anzunehmen, wenn es Konflikte zu lösen gilt, die durch eine Krise überraschend entstehen und grundlegende Vertragsanpassungen an die geänderten Umstände zum Gegenstand haben. Der erfolgreiche Abschluss einer Mediation hängt nicht zuletzt an der Strategie, dem Stil und dem Verhalten des gewählten Mediators.[5]

Letztlich gilt es zu konstatieren, dass es in einer Mediation, bei der rechtliche Bewertungen eine Rolle spielen, am Ende Gewinner und Verlierer gibt. In diesen Fällen kann eine Mediation damit nicht so erfolgreich eingesetzt werden wie in Fällen mit integrativem Potential (id). Daran dürfte, wie gesagt, auch der Umstand nichts ändern, dass der Konflikt die Folge einer für beide Parteien unerwarteten Krisensituation ist.

Lassen sich Prozesschancen bewerten, mindert dies die Chance auf eine erfolgreiche Mediation

Können die Parteien ihre Prozesschancen bewerten und auf diese Weise ihre „Best Alternative to Negotiated Agreement“ (BATNA) zu einer vergleichsweisen Lösung bestimmen, werden sie sich in einer Mediation nur vergleichen, wenn der Vergleich ihre erwarteten Prozessrisiken Rechnung trägt.[6] Es gibt keinen rationalen Grund, sich mit weniger zufrieden zu geben, als in einem Prozess erzielt würde. Will man gleichwohl eine Mediation versuchen, sollte – wie gesagt – die Mediatorin oder der Mediator die Erwartungen der Parteien korrigieren, auf die allgemeinen Prozessrisiken hinweisen und aktiv Vergleichsvorschläge unterbreiten – also durchaus auch Druck ausüben. 

Fazit

Ein steigendes Aufkommen von Zivilrechtsstreitigkeiten sollte kein Grund sein, von einer sorgfältigen Beurteilung abzusehen, ob die Mediation die ihr zugedachte Funktion im konkreten Fall tatsächlich erfüllen kann. Ein durch Mediation erzielter Vergleich, der einem Verzicht auf einen begründeten Anspruch gleichkommt, nur um des Vergleichs willen, widerspricht dem Sinn und Zweck einer Mediation. Dies nicht zuletzt, weil der Anspruch der Parteien an eine Mediation sein muss, dass diese dem Grundsatz eines fairen Verfahrens genügt.

Über den Autor

Ulrich Helm ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Mayer Brown LLP. Er leitet die deutsche Praxisgruppe Litigation & Dispute Resolution.

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[1] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Mediation.

[2] Siehe Goldman et al, How mediation works, 2017.

[3] Siehe Euwema et al, Mediation in collective labor conflicts, 2019.

[4] Siehe Georges Trepo & François Grima, Knowledge, action and public concern, the logic underlying mediators' actions in French labor conflicts, 2009.

[5] Siehe Munduate et al, Mediation: Understanding a constructive conflict management tool in the workplace, 2022.

[6] Siehe Slaikeu, When push comes to shove. A practical guide to mediation disputes, 1996.

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