Die Eingangszahlen bei den Amts- und Landgerichten, insbesondere an den Kammern für Handelssachen, sind seit Jahren rückläufig.[1] Das Bundesjustizministerium berichtet über einen Rückgang der neu eingegangenen Verfahren bei den Landgerichten um 27,2 % (von 1997 bis 2017)[2] und hat dazu eine Forschungsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun vorliegen.[3] Vielfach scheuen Unternehmen zunehmend, Geschäftsvorfällen aus der Vergangenheit nachzugehen und bestehende Rechtspositionen durchzusetzen oder zu verteidigen. Ein Grund dafür sind teilweise im Voraus zu zahlende, hohe Prozesskosten sowie das Risiko, im Unterliegensfall auch die Kosten der Gegenseite tragen zu müssen.
Prozessfinanzierungen werden in Deutschland seit circa 20 Jahren für Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren angeboten. Prozessfinanzierer haben in den letzten Jahren ihr Geschäftsfeld erweitert und bieten verschiedene Finanzierungslösungen an. Diese Entwicklung hat nun auch das Europäische Parlament tätig werden lassen.
Chancen einer Prozessfinanzierung
Für die Prozesspartei ergeben sich mehrere Vorteile:
Erstens wird die Liquidität geschont und Rückstellungen für Prozessrisiken sind nicht notwendig, sodass keine bilanziellen Auswirkungen des Verfahrens bestehen. Im Fall der Monetarisierung wird zudem der Cashflow verbessert, da ein Teil der Forderung sofort ausgezahlt wird.
Zweitens erhält die Partei eine kritische und objektive Einschätzung der Erfolgsaussichten. Denn der Finanzierer prüft das Risiko seines Investments, da er das wirtschaftliche Risiko eines Misserfolgs trägt.
Drittens kann eine offengelegte Prozessfinanzierung auch den Prozessgegner beeinflussen, da er eine solide Prüfung des Anspruchs und ausreichende wirtschaftliche Schlagkraft für einen Prozess unterstellen muss.
Viertens kann sich für Geschädigte von Massenfällen durch eine finanzierte Bündelung von Einzelansprüchen eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit zur Forderungsdurchsetzung als „Sammelklage“ ergeben. Das rationale Desinteresse der Rechtsdurchsetzung von geringwertigen Forderungen oder aufwendigen Verfahren kann überwunden werden.
Kritik an der Prozessfinanzierung durch das Europäische Parlament
Das Europäische Parlament hat am 13. September 2022 den Richtlinienentwurf „Verantwortungsbewusste private Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten“ zu europaweiten Mindestanforderungen als Empfehlung an die EU-Kommission beschlossen („Richtlinien-E“). Darin hat es die kommerzielle Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten insbesondere zur kollektiven Rechtsdurchsetzung kritisch beleuchtet und u.a. die folgenden Aspekte angesprochen:
Erstens bestehe mangels Regulierung in Bezug auf die Beteiligung von Finanzierern Intransparenz. Gerichte würden so Parteien Entschädigungen zusprechen, ohne Kenntnis einer Finanzierung und dem inhärenten Risiko, dass ein unverhältnismäßig hoher Anteil vom Finanzierer vereinnahmt werde. Im Falle von Verbandsklagen mit Opt-out-System sei sogar zu befürchten, dass potenziell Begünstigte kaum oder gar nicht über die Aufteilung der Entschädigung oder die Finanzierungsvereinbarungen Bescheid wissen.
Zweitens könnten sich durch das Investment eines Finanzierers Interessenkonflikte ergeben. Denn dieser handelt nicht originär im Interesse der finanzierten Klagepartei, sondern im eigenen wirtschaftlichen Interesse. Er könne daher versucht sein, den Rechtsstreit zu kontrollieren und einen Ausgang zu fordern, der innerhalb kürzester Zeit die größte Rendite bietet. Insbesondere bei gebündelten Ansprüchen könnte so der Einfluss der eigentlichen Anspruchsinhaber zurückgedrängt werden.
Drittens könnten die Erlöse des Finanzierers einen unverhältnismäßig hohen Anteil einnehmen. Die von Finanzierern geforderten Beträge lägen in der Europäischen Union in der Regel bei 20 bis 50 % der Entschädigungssumme.
Richtlinienentwurf
Der Richtlinien-E erfasst alle kommerziellen Finanzierer und kommerziellen Finanzierungsvereinbarungen für Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren, unabhängig von der Art der Forderung. Damit ist es insbesondere unerheblich, ob ein Verbraucheranspruch besteht oder Ansprüche aus unternehmerischer Tätigkeit herrühren.
Den Mitgliedsstaaten steht es zunächst frei, ob auf ihrem Hoheitsgebiet eine Prozessfinanzierung überhaupt zulässig sein soll.
Zulassung und Überwachung von Prozessfinanzierern
Soweit eine Prozessfinanzierung rechtlich möglich ist, muss ein hoheitliches System für die Zulassung und Überwachung der Tätigkeit von Finanzierern eingerichtet werden. Voraussetzung für die Zulassung ist mindestens ein Sitz in der EU oder eine EU-Zulassung. Der Finanzierer muss sich verpflichten, die Finanzierungsvereinbarung dem materiellen Recht am Verfahrensort zu unterstellen, sowie einen Nachweis erbringen, dass er Verfahren und Leitungsstrukturen zur Sicherung der Transparenzanforderungen und der notwendigen Treuhandverhältnisse etabliert hat.
Der Finanzierer hat eine angemessene Eigenkapitalausstattung nachzuweisen. Er muss alle Verbindlichkeiten aus den Finanzierungsvereinbarungen und alle Verfahrensabschnitte nach den Vereinbarungen finanzieren können, einschließlich Berufungsverfahren. Auch muss die Kostentragung der Gegenseite aus den finanzierten Verfahren gesichert sein.
Die Finanzierungsvereinbarungen müssen auf einem Treuhandverhältnis beruhen. Der Finanzierer muss sich fair und transparent verhalten und eine treuhänderische Fürsorgepflicht erfüllen, mithin im besten Interesse der Prozesspartei handeln. Im Falle eines Interessenkonflikts gehen die Interessen der Begünstigten vor.
Anforderungen an die Finanzierungsvereinbarung
Die Finanzierungsvereinbarung muss u.a. in klarer und leichter Form abgefasst werden. Die abgedeckten Kosten sowie der Anteil der Entschädigung des Finanzierers sind anzugeben. Die erstrittenen Erlöse aus dem Verfahren müssen vertraglich zunächst vollständig an die Partei ausgezahlt werden, sodass erst anschließend der Finanzierer von der Partei bezahlt wird.
Ferner werden einzelne Klauseln für unwirksam erklärt. So darf eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Finanzierer nicht erfolgen. Auch darf dem Finanzierer höchstens ein Erfolgsanteil von 40 % versprochen werden. Der Finanzierer darf die Vereinbarung auch nur unter strengen Voraussetzungen kündigen.
Transparenz gegenüber Gerichten
Parteien und die Prozessbevollmächtigten müssen das zuständige Gericht über das Bestehen einer Finanzierungsvereinbarung und die Identität des Finanzierers informieren. Informationen, die zu einem Interessenkonflikt führen können, sind offenzulegen. Auf Verlangen des Gerichts oder Prozessgegners muss eine vollständige und ungeschwärzte Kopie der Finanzierungsvereinbarung dem Gericht offengelegt werden.
Finanzierungsvereinbarungen können durch ein Gericht oder die Aufsichtsbehörde daraufhin überprüft werden, ob die Vorgaben der Richtlinie erfüllt sind.
Soweit die finanzierte Partei nicht über ausreichend Mittel verfügt, um die Kosten der Gegenpartei zu tragen, kann eine Kostenfestsetzung auch gegen den Finanzierer direkt erfolgen, wobei nicht nur der Verfahrensausgang selbst, sondern auch das übrige Verhalten des Finanzierers maßgeblich ist.
Es wäre zu wünschen, dass der jetzige Richtlinien-E dennoch einige Nachbesserungen erfährt. Zunächst sollten die Beschränkungen nur insoweit greifen, wie sie auch sachlich gerechtfertigt sind.
Kritik der Finanzierer
Der Richtlinien-E hat von den Finanzierern Kritik erfahren. Insbesondere für den Nachweis von Governance-, Compliance- und Prozessstrukturen sei der Maßstab nicht hinreichend konkret. Ferner seien die Anforderungen an die Kapitalisierung nicht hinreichend transparent.
Bewertung
Eine maßvolle Regulierung der Prozessfinanzierung ist zu begrüßen.
Zum einen bestehen bereits jetzt – u.a. durch die Vorgaben der Rechtsprechung – spezielle Anforderungen an Finanzierungsvehikel, u.a. zum Schutz der Beklagten. Zum Teil sehen Schiedsgerichtsordnungen wie die der ICC in Art. 11 Abs. 7 eine Pflicht zur Offenlegung einer Prozessfinanzierung vor. Eine Kodifikation und Erhöhung der Transparenz würde sowohl die Parteien, als auch die Gerichte von prozessualen Vorfragen entlasten.
Zum anderen können insbesondere in Massenverfahren die Interessen des Finanzierers und des einzelnen Anspruchsinhabers auseinanderfallen. Zum Schutz der betroffenen Unternehmen und der geschädigten Verbraucher:innen, in deren Namen Kollektivklagen erhoben werden, sind maßvolle Sicherungsmaßnahmen insofern zu begrüßen.
Es wäre zu wünschen, dass der jetzige Richtlinien-E dennoch einige Nachbesserungen erfährt. Zunächst sollten die Beschränkungen nur insoweit greifen, wie sie auch sachlich gerechtfertigt sind. Eine im Hinblick auf Verbraucher:innen und Massenverfahren sinnvolle Regelung muss nicht zwangsläufig auch bei einem (riskanten) Einzelanspruch eines Unternehmens zweckmäßig sein. Ein differenzierender Ansatz sollte gewählt werden. Dies gilt insbesondere für die strikten Vorgaben für die Erlösbeteiligung.
Dr. Elke Umbeck
ist Partnerin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet dort die Praxisgruppe Prozessführung/Schiedsverfahren. Mit über 20-jähriger Berufserfahrung berät und vertritt sie Unternehmen aus verschiedenen Branchen in Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren und ist regelmäßig als Schiedsrichterin in nationalen und internationalen Schiedsverfahren tätig.
Dr. Jonas Pust
ist Salaried Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Als Inhaber eines Certificate of Advanced Studies (CAS) in Arbitration der Universitäten Luzern und Neuchâtel vertritt er Mandanten sowohl in nationalen als auch in internationalen Verfahren, einschließlich institutioneller und Ad-hoc-Schiedsverfahren.
[1] Vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Zivilgerichte 2021.
Container for the dynamic page
(Will be hidden in the published article)