Meinung

Sanktionen und Protektionismus

Wie muss sich Europa aufstellen?

Ein Gastbeitrag von Dr. Harald Braun & Jonathan Hackenbroich (Agora Strategy Group)


Im Rahmen der Geopolitisierung der Weltwirtschaft werden Wirtschaftsbeziehungen zunehmend einer außen- oder sicherheitspolitischen Logik unterworfen. Für Europas zukünftige Resilienz ist es unabdingbar, die eigene Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit zu erhöhen, enge Handelspartnerschaften Europas wie auch Abwehrmechanismen auszubauen. 

Wirtschaftssanktionen sind zum vermeintlichen Allheilmittel der Außenpolitik geworden. In manchen Situationen, wie gegen den Iran in den frühen 2010er Jahren, als sie entscheidend zu Teherans Zustimmung zum Atomabkommen beitrugen, oder aktuell gegen Russland, sind sie die richtige politische Wahl. Oft jedoch können Entscheidungsträger einfach nur nicht der Versuchung widerstehen, mit allzu leicht verhängten Sanktionen öffentlich Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Hinzu kommt die Geopolitisierung der Weltwirtschaft der letzten Jahre. Dabei werden Wirtschaftsbeziehungen zunehmend einer außen- oder sicherheitspolitischen Logik unterworfen: Es geht um (wirtschaftliche) Abschreckung, ein ‚Wettrüsten‘ im Technologiesektor, die Stärkung der Fähigkeiten in Schlüsselbereichen von Halbleitern bis zu Künstlicher Intelligenz sowie die Verringerung einseitiger Dependenzen bei Vorprodukten. Gerade Chinas Dual Circulation-Strategie zielt darauf ab, die Abhängigkeit der Welt von chinesischen Produkten zu erhöhen und gleichzeitig die eigene zu verringern. Was jedoch in sicherheitspolitischer Logik besticht – weshalb Sanktionen gegen Russland aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine in höchstem Maße geboten sind – kann nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten schnell in Protektionismus münden. So hat US-Präsident Joe Biden die meisten sicherheitspolitisch begründeten Schutzmaßnahmen seines Vorgängers wie Strafzölle und Buy America-Vorgaben aufrechterhalten und teilweise gar ausgeweitet. Der Trend wird sich fortsetzen; nach Jahrzehnten der Globalisierung aller Wirtschaftsbereiche bricht eine Ära der partiellen Fragmentierung an. Gerade die deutsche und europäische Sanktionspolitik müssen sich die Frage stellen, wie sie Protektionismus vermeiden, effektive Sanktionen verhängen und resilient gegenüber den Sanktionen anderer werden können. 


Zeitenwende in der deutschen Sanktionspolitik

Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 angesichts der russischen Invasion der Ukraine für die deutsche Verteidigungspolitik ausrief, war gleichzeitig auch eine Kehrtwende in der deutschen Sanktionspolitik. Unmittelbar vor dieser Ankündigung im Bundestag stimmte die Bundesregierung trotz des realen Risikos eines russischen Energielieferstopps weitreichenden Maßnahmen gegen Russlands Zentralbank zu. Diese haben die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt bereits in eine Finanz- und Wirtschaftskrise gestürzt, während die Folgen für die hiesige Wirtschaft noch nicht absehbar sind. Grundsätzlich hängen Deutschlands Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit entscheidend von regelbasiertem Handel und offenen Märkten ab. Deshalb war und bleibt es wichtig für die Bundesrepublik, Handel auch in einem politisch schwierigen Umfeld zu ermöglichen. Daran ändert sich auch unter der neuen Bundesregierung und in Folge des Kriegs um die Ukraine erst einmal nichts. Insbesondere darf Berlin es nicht zulassen, dass unilaterale Sanktionen von Drittstaaten den deutschen Handel direkt ins Visier nehmen oder diesem massiv schaden. Mit Bündnis90/Die Grünen sitzt gleichwohl eine politische Kraft in der neuen Regierung, deren Ziel eine deutlich aktivere Menschenrechtspolitik – gerade auch mit Sanktionen – selbst gegenüber China ist. So führen die geopolitische Lage rund um Pekings Schulterschluss mit Moskau und grüne Politikpräferenzen im Inneren dazu, dass Deutschland schon in Ermangelung alternativer Instrumente zukünftig deutlich aktiver für politische Zwecke in Märkte und Handel eingreifen wird. Wenn die Politik hierbei die Auswirkungen auf Unternehmen nicht ausreichend berücksichtigt, besteht die Gefahr, dass Deutschland seiner Wettbewerbsfähigkeit langfristig und nachhaltig schadet.

“Das Grundproblem ist und bleibt, dass Unternehmen, nicht Staaten, die Sanktionen konkret umsetzen müssen. Deren Risikobereitschaft wiederum ist meist langfristiger beeinträchtigt als staatlicherseits erhofft." 

Botschafter a.D. Dr. Harald Braun, Senior Advisor der Agora Strategy Group

Wirken Sanktionen?

Wirtschaftlich ja, politisch selten. Die westlichen Sanktionsdrohungen gegen Russland haben es in den ersten Wochen dieses Jahres nicht vermocht, Putin von seinem Angriffskrieg abzuschrecken. Auch wenn nicht einmal klar ist, ob dieser überhaupt umzustimmen gewesen wäre, so war nicht ausreichend glaubwürdig, dass der Westen tatsächlich harte Maßnahmen in der nun demonstrierten Eintracht verhängen würde. Vor allem ergab sich ein zeitliches Problem: Putin konnte sich recht sicher sein, dass er Tatsachen in der Ukraine schaffen könnte, bevor etwaige Strafmaßnahmen ihre volle Wirkung entfalten würden. Die in Folge des Angriffskrieges verhängten Sanktionen sind wirtschaftlich hoch effektiv, doch stellt dies lediglich eine notwendige – und nicht etwa eine hinreichende – Voraussetzung für den tatsächlichen Erfolg von Sanktionen dar. Zusätzlich muss ein Sanktionsregime seine politischen Ziele klar formulieren und ins Verhältnis zum wirtschaftlichen Sanktionseffekt (ob mit Blick auf die gesamte Volkswirtschaft oder die handelnden Eliten) setzen. Gerade bei ideologisch begründetem Handeln kann, wenn überhaupt, nur die Androhung von besonders großem persönlichen Schaden  für die das Regime tragende Elite – etwa Einfrieren und Konfiskation wichtiger Vermögenswerte – die Regierenden von bestimmten Aktionen abhalten. Auch bestehen manche Sanktionen sehr lange, weil sie – wie etwa die im Zuge der Krim-Annexion erlassenen Maßnahmen – an Bedingungen gebunden sind, die das Gegenüber schlichtweg nicht zu erfüllen bereit ist. Im Falle des Irans wirkten die Sanktionen, nachdem ‚regime change‘ als politisches Ziel ausgeschlossen und stattdessen mit der Abkehr vom Bau von Atomwaffen ein Ziel formuliert wurde, das für Teheran kompromissfähig war. Doch selbst in diesem Fall bleibt das Grundproblem, dass Unternehmen, nicht Staaten, die Sanktionen konkret umsetzen müssen. Deren Risikobereitschaft wiederum ist meist langfristiger beeinträchtigt als staatlicherseits erhofft, denn sie nehmen nach deren Wegfall ihre Geschäfte nicht so schnell wieder auf. 

Resilienz: Wie muss sich Europa aufstellen?

Das Credo der EU von der „offenen strategischen Autonomie“ ist die richtige Antwort auf die Ausbreitung machtbasierter internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Zentral für die Stärkung von Europas Resilienz ist es, die eigene Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit zu erhöhen und über enge Handelspartnerschaften Europas Erfolg im internationalen Wettbewerb auszubauen. Nur so stellen wir durch eigene Stärke und Diversifizierung sicher, dass die geoökonomischen Hebel anderer Mächte nicht dominant werden. In der heutigen Weltordnung reicht dies allein jedoch nicht mehr aus, da Geopolitik und Wirtschaftspolitik stärker miteinander verflochten sind. Europa braucht geopolitische Instrumente, um regelbasierten Handel abzusichern und die Kosten für Dritte zu erhöhen, wenn diese die Regeln durch protektionistische Maßnahmen brechen. Allen voran braucht die EU ein Anti-Coercion-Instrument, das wie von der Kommission vorgeschlagen Gegenmaßnahmen auf der Basis der Stärke des europäischen Marktes erlaubt, sollte ein Drittstaat massiven wirtschaftlichem Druck auf sie ausü-ben. Eine solche Abschreckung könnte von vornherein etwa China davon abhalten, deutschen Unternehmen wegen des Handels mit EU-Partner Litauen zu drohen, oder Russland von dem erwogenen Stopp von Energielieferungen. Gleichzeitig darf Europa selbst nicht dazu beitragen, regelbasierten Handel weiter zu unterminieren, weshalb solche Instrumente lediglich als Ultima Ratio eingesetzt werden dürfen. 

​Autoren​

Dr. Harald Braun 


Botschafter a.D. Dr. Harald Braun ist Senior Advisor der Agora Strategy Group, einer strategischen Politikberatung. Er blickt auf eine lange diplomatische Karriere zurück, u.a. als Staatssekretär im Auswärtigen Amt und als Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nation in New York.

Jonathan Hackenbroich


Jonathan Hackenbroich ist Fellow der Agora Strategy Group mit dem Fokus auf Geoökonomie, wirtschaftliche Staatskunst, Sanktionspolitik und deutsche Außenpolitik. Parallel ist er als Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) tätig, wo er die Task Force for Strengthening Europe against Economic Coercion leitet.

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