Interview

Dem Mittelstand eine starke Stimme geben

Jürgen Lindenberg, Präsidiumsmitglied von ICC Germany, ist Geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens Lindy-Elektronik GmbH. Im Januar 2022 wurde er zum „Small Business Leader“ der ICC ernannt.

Wir haben nachgefragt – zur Rolle von KMU im Welthandel!

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ICC-Germany: Herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt im ICC Small Business Champions Network! Sie engagieren sich schon in ihrer Region und auf Bundesebene ehrenamtlich für die Ge-samtinteressen der Unternehmen. Jetzt noch zusätzlich im ICC Small Business Champions Network. Was hat Sie bewogen, sich hier zusätzlich zu engagieren?

LINDENBERG: Dankeschön! Es ist mir eine Ehre, dort den deutschen Mittelstand vertreten zu dürfen. Das Auslandsgeschäft ist bei uns im Mittelstand oft Chef- bzw. Chefinnensache oder wird von wenigen Personen betreut. Gerade kleine und mittlere Unternehmen benötigen deshalb praxistaugliche und möglichst weltweit geltende Handelsstandards. Hier ist die ICC von herausragender Bedeutung. Denken Sie an die Incoterms, die fast jede/r Mittelständler/in in seinem/ihrem Auslandsgeschäft einsetzt.

Auch brauchen wir eine internationale, eine globale Stimme der Wirtschaft. Dafür ist die ICC prädestiniert. Diese Stimme muss aber alle Teile der Wirtschaft umfassen – auch den Mittelstand. Deshalb ist das ICC Small Business Champions Network so wichtig, da es die Perspektiven von Mittelständler aus allen Weltregionen bündelt.

ICC-Germany: Sie haben im vergangenen Jahr am handelspolitischen Panel unseres 1. ICC Forums zu internationalen Lieferketten teilgenommen, in diesem Jahr planen wir eine Neuauflage des Forums. Was sind aktuell die größten Herausforderungen für KMU im internationalen Handel?

LINDENBERG: Mein Unternehmen ist ein global agierender deutscher Mittelständler. Wir sind ganz essenziell auf funktionierende Lieferketten angewiesen, da wir unsere Ware in Asien produzieren und beziehen. Hier bestehen durch die Pandemie und durch die chinesische Energiepolitik große Verwerfungen. Auch die Reiserestriktionen nach China belasten unser Geschäft – wir können persönliche Kontakte zur Tochtergesellschaft und asiatischen Partnern nicht dauerhaft mit digitalen Lösungen auffangen. 

Die vergangenen Jahre waren aber auch in handelspolitischer Hinsicht kein Spaziergang für die Unternehmen. Tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sowie Handelskriege behindern unser Geschäft. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat weitere Lieferketten unterbrochen, für die oft kleinen Exportabteilungen eines Mittelständlers bedeuten die Russland-Sanktionen viel Arbeit. Gleichzeitig hören wir aus den betroffenen Unternehmen aber die klare Botschaft, dass sie diese Sanktionen ohne Wenn und Aber unterstützen. Und ab dem nächsten Jahr sind viele Mittelständler auch noch indirekt vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen – und etwas später dann auch vom noch strengeren europäischen Lieferkettengesetz. Hier erhoffen wir uns von der Bundesregierung mehr Rechtssicherheit. Beispielsweise müssten die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe geklärt werden und wir bräuchten eine Negativliste zu Länder-, Branchen- und Produktrisiken. Diese Gesetze müssen auch für einen mittelständischen Betrieb umsetzbar sein, sonst können wir den Wettbewerb mit Großunternehmen oder außer-europäischen Konkurrenten nicht bestehen.

"Mittelfristig muss sich die Bundesregierung stärker als in den vergangenen Jahren für regelbasiertes Handeln weltweit einsetzen. Dazu bedarf es möglichst vieler weiterer multilateralen Handels- und Investitionsabkommen, die weltweit Marktzugänge, insbesondere für den Mittelstand, erschließen."  

Jürgen Lindenberg, „Small Business Leader“ der ICC

ICC-Germany: Was sind Ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung? Wo muss sie aktiv werden, um Unternehmen im globalen Wettbewerb noch besser zu unterstützen?

LINDENBERG: Das beginnt direkt vor unserer Haustüre bei der Vollendung des EU-Binnenmarkts. Dessen Regeln werden nämlich nicht immer in Brüssel, sondern oft durch die einzelnen Mitgliedsstaaten festgelegt. Ein Beispiel: Verpackungskennzeichnungspflichten legen bisher die Nationalstaaten fest. Das bedeutet für Unternehmen nicht nur viel Informationsaufwand, sondern auch die Frage: Welche Vorschrift gilt in welchem Land? Im schlechtesten Fall widersprechen sich die nationalen Vorgaben sogar. So droht aktuell, dass Spanien und Zypern den Grünen Punkt auf Verpackungen verpflichtend sehen und Frankreich ihn dagegen verbieten möchte. Wie sollen solche sich widersprechende nationalen Vorgaben in einem Binnenmarkt funktionieren? Für einen Mittelständler sind diese Widersprüche kaum umsetzbar.


Global gesehen stehen wir durch Putins Krieg an der Schwelle zu einer neuen Weltordnung. Noch ist die Situation zu volatil, um sie seriös bewerten zu können. Unsere Sorge gilt aktuell nach wie vor den Menschen in der Ukraine und den vielen Ortskräften deutscher Unternehmen. Mittelfristig muss sich die Bundesregierung stärker als in den vergangenen Jahren für regelbasiertes Handeln weltweit einsetzen. Auch im Bereich der Wirtschaft. Dazu bedarf es möglichst vieler weiterer multilateralen Handels- und Investitionsabkommen, die weltweit Marktzugänge, insbesondere für den Mittelstand, erschließen. 

ICC-Germany: Die ICC arbeitet eng mit der WTO und der Weltzollorganisation zusammen. Wieso ist diese Arbeit für kleinere und mittlere Unternehmen so wichtig?

LINDENBERG: Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Hier findet sich die Mehrheit der Arbeitsplätze und hier entsteht ein Großteil unseres Wohlstands. Trotz ihrer überschaubaren Größe sind viele Mittelständler zu einem hohen Maß in globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Gleichzeitig fehlt es kleinen und mittleren Betrieben oft an Ressourcen und Skaleneffekte, von denen große Unternehmen profitieren. Je komplexer die Standards und die Handelsbestimmungen sind, desto schwieriger ist es für kleine Unternehmen, sie umzusetzen und durch ihre hohen Stückkosten wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb brauchen wir abgestimmte Unterstützungsangebote für KMU auf globaler Ebene, damit sich der Mittelstand noch effektiver am globalen Handel beteiligen kann und widerstandsfähiger bei Veränderungen ist.

ICC-Germany: Die ICC erstellt Musterverträge und -klauseln, Standards für Ursprungszeugnisse oder regelt den Umgang mit Akkreditiven. Welchen Mehrwert bieten diese Regeln und Standards für die Exportwirtschaft?

LINDENBERG: Solche Musterverträge und Standards vereinfachen den internationalen Handel enorm. Sie verkürzen Vertragsverhandlungen, weil beide Vertragsparteien nicht von völlig unterschiedlichen Vertragsentwürfen ausgehen. Die Unternehmen können auf einen ausgewogenen, international akzeptieren Basisvertrag zurückzugreifen. Und dadurch kostenintensive Rechtsstreitigkeiten vermeiden! Bestes Beispiel sind die international anerkannten Lieferbedingungen Icoterms. Bei Anwendung der Incoterms hat man die Möglichkeit mit seinem Vertragspartner anhand von drei Buchstaben und der Angabe eines Ortes den Übergang einer Ware an den Käufer, die Transportkosten, die Haftung für Verlust und Beschädigung der Ware und die Versicherungskosten zu regeln. Das müsste sonst alles einzelvertraglich geregelt werden. Mit den Incoterms können Verträge schneller geschlossen werden und es entstehen keine Missverständnisse. Da leistet die ICC einen ganz großen Mehrwert!


Jürgen Lindenberg

ist Präsidiumsmitglied von ICC Germany, erster Vizepräsident der IHK Rhein-Neckar, Mitglied des Außenwirtschaftsausschusses des DIHK und Geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens Lindy-Elektronik GmbH. Im Januar 2022 wurde er zum „Small Business Leader“ der ICC ernannt. 

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