Russland. Ukraine. Europa

Rechtliche Auswirkungen für Ihr Unternehmen 

von Dr. Richard Happ (LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft)

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Die rechtlichen Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine ziehen immer weitere Kreise. Begann alles vor zwei Monaten mit Sanktionen der EU gegen Russland, die hauptsächlich Unternehmen im Russland-Geschäft betrafen, wirken sich die aktuellen und möglichen Folgen jetzt auch innerhalb der Lieferketten aus.

Als Reaktion auf den Überfall Russlands auf die Ukraine haben die EU, die USA und das Vereinigte Königreich Sanktionen gegen über 2000 Personen, 155 Gesellschaften und 141 Organisationen verhängt. Darüber hinaus wurden Sanktionen gegen bestimmte Bereiche der Wirtschaft verhängt, z.B. gegen den Ölsektor, die Flugzeugindustrie oder Schiffszubehör. Regelmäßig kommen weitere Sanktionen hinzu. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Erweiterungen bereits seit 2014 bestehender Sanktionsverordnungen: VO (EU) 269/2014 regelt die personenbezogenen Maßnahmen und führt sanktionierte Personen, Organisationen und Einrichtungen auf. Ihr Vermögen wurde eingefroren, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen dürfen ihnen nicht mehr zur Verfügung gestellt und Verträge mit ihnen oder von ihnen kontrollierten Gesellschaften nicht mehr erfüllt werden.

Neben diesen personenbezogenen Maßnahmen gibt es die güter- und branchenbezogenen Maßnahmen nach VO (EU) 833/2014. Die Reichweite dieser durch die weiteren Sanktionspakete ergänzten Sanktionen ist inzwischen so weit, dass sie hier nicht ansatzweise dargestellt werden können. Verboten ist jedoch nicht nur die Ausfuhr nach Russland, sondern z.B. auch der Kauf oder die Einfuhr von Eisen- oder Stahlerzeugnissen. Geplant ist der Boykott russischen Öls und potentiell auch Erdgases. Die Sanktionen haben daher schwerwiegende Auswirkungen auf das Geschäft deutscher Unternehmen, selbst wenn sie nicht unmittelbar im Russland-Geschäft tätig sind. Nicht nur ist die Ausfuhr zahlreicher Güter nach Russland verboten, die Sanktionierung des russischen Flug-, Schiffs- und LKW-Verkehrs sowie das Verbot der Einfuhr bestimmter Waren in die EU stört mittelbar Produktion und Lieferketten in der EU selbst. 


Russische Gegenmaßnahmen

Verstärkt werden die Auswirkungen durch russische Gegenmaßnahmen. Um die Auswirkungen der Sanktionen auf seine Wirtschaft abzumildern, hatte Russland zunächst Beschränkungen des Kapitalverkehrs eingeführt. Zunehmend richten sich die Gegenmaßnahmen aber direkt gegen die ausländischen Unternehmen und ihr Geschäft. So hat Russland bereits im April verkündet, den Schutz von IP-Rechten aufzuheben und für Patente Zwangslizenzen mit einer auf null reduzierten Vergütung zuzulassen. Nachdem mehr und mehr europäische Unternehmen angekündigt hatten, ihr Geschäft in Russland einzustellen, gab es seit Anfang März 2022 Diskussionen über mögliche Zwangsverwaltungen und -verstaatlichungen der entsprechenden russischen Fabriken und Tochtergesellschaften. Am 8. und 12. April wurden dann neue Gesetzentwürfe eingebracht, die zumindest besorgniserregend sind. Ein Gesetzentwurf soll das russische Strafgesetzbuch so ändern, dass die Umsetzung oder Befolgung der ausländischen Sanktionen innerhalb Russlands strafbar sein soll. Mit einem weiteren Entwurf soll die bereits diskutierte Zwangsverwaltung umgesetzt werden. Am 3. Mai hat Präsident Putin ein bisher wenig beachtetes Dekret veröffentlich, das den Abschluss und die Erfüllung von Verträgen sowie den Export von Produkten und Rohstoffen an auf einer bisher Sanktionsliste stehenden Gesellschaften verbietet. Diese Sanktionsliste wurde am 11.  Mai veröffentlicht und listet bisher nur ausländische Tochtergesellschaften von Gazprom auf (u.a. die deutschen Gesellschaften, die unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur (BNetzA) stehen). 

Auswirkungen auf Vertragsbeziehungen

Die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft können direkt und indirekt zu erheblichen Streitigkeiten führen. Direkt entstehen Streitigkeiten, wenn durch die Sanktionen Geschäftsbeziehungen mit russischen Geschäftspartnern gestört werden. Indirekt entstehen Streitigkeiten, wenn durch die Sanktionen oder den Krieg Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen oder sonstigen nicht-russischen Unternehmen gestört werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind Sanktionen gegen Russland, die den Export von Rohstoffen oder Grundstoffen verhindern. Ein weiteres Beispiel wäre ein von der EU oder sogar Russland verhängter Boykott russischen Erdgases, durch den mittelbar ein erheblicher Teil der Wertschöpfungskette in Deutschland betroffen wäre.

Es stellt sich dann die Frage, wie diese Streitigkeiten beigelegt werden können. Wie wirken sich die Sanktionen z.B. auf Schiedsvereinbarungen mit russischen Unternehmen aus? Von Sanktionen betroffene russische Unternehmen müssen sich nach russischem Recht jedenfalls nicht an eine vertragliche Gerichtsstand- oder Schiedsvereinbarung halten. Bereits im Juni 2020 wurde die russische Handelsverfahrensordnung („APC“) in Art. 248 so ergänzt, dass die russischen Handelsgerichte ausschließliche Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten mit von Sanktionen beeinträchtigten russischen Bürgern und Unternehmen haben. Grundsätzlich ist ein Schiedsverfahren in Europa bisher aber durchführbar; es mag nur länger dauern und teurer werden.

Komplexer stellt sich die Situation bei indirekten Streitigkeiten dar, wenn also z.B. Streitigkeiten entstehen, weil durch die Sanktionsfolgenbestimmte für die Produktion nötige Rohstoffe nicht mehr oder nur noch stark verteuert zur Verfügung stehen, oder sich die Folgen eines Gasboykotts und der hoheitlich angeordneten Abschaltung von Unternehmen vom Gasnetz durch die Wertschöpfungskette fressen. Zum einen stellen sich schwierige materielle Rechtsfragen, z.B. ob im konkreten Fall höhere Gewalt oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt, und was die daraus resultierenden Folgen sind. Diese Fragen können in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet werden. Zum anderen aber stellen sich auch prozessuale Probleme, wenn sich ein Unternehmen in der Lieferkette befindet und einerseits z.B. eine Schiedsvereinbarung mit Vorlieferanten und andererseits z.B. eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Kunden hat. Wie können unterschiedliche Ergebnisse verhindert werden? Der aus Gerichtsprozessen bekannte Mechanismus der Streitverkündung funktioniert ohne Probleme nur, wenn auf beiden Seiten der Lieferkette innerdeutsche Gerichtsverfahren geführt werden können. Und wie ist es bei einer Vielzahl von Kunden, mit denen zum Teil unterschiedliche Gerichtsstands- oder Schiedsgerichtsklauseln vereinbart wurden? Wie wird am Ende eine Vollstreckung – womöglich auf Vermögen im Ausland – gelingen? Eine Standardlösung gibt es nicht für diese Fragen. Ebenso gilt, dass die „richtige“ Lösung die ist, die die Risiken für ein Unternehmen minimiert. Ausschließen wird man diese Risiken aber nicht können, da Prognosen über den Ausgang von Gerichtsverfahren wie Wettervorhersagen sind: je langfristiger, desto unsicherer.

"Unternehmen sollten bereits jetzt prüfen, ob und wie sie ihre Exposition verringern können."

Dr. Richard Happ, LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Mögliche Reduzierung von Gasimporten

Die schwersten Auswirkungen hätte ein teilweiser oder vollständiger Boykott des Imports russischen Erdgases. Nach aktuellem Kenntnisstand wird es schlichtweg nicht möglich sein, den Wegfall russischen Gases kurzfristig zu ersetzen. Ruft die BNetzA dann die Notfallstufe des „Notfallplan Gas“ aus, obliegt der BNetzA die Verteilung von Gas und damit die Verwaltung des Mangels. Während z.B. Krankenhäuser, private Haushalte und Anlagen die der Wärmeversorgung dienen gesetzlich geschützt werden, gilt dies nicht für Unternehmen. Vielmehr kann die BNetzA Gasversorger anweisen, Unternehmen die Gaszufuhr abzuschalten. Die Folgen können sich dann durch die Wertschöpfungs- bzw Lieferkette hindurchfressen, da neben Gaskraftwerken auch zahlreiche Unternehmen z.B. in der chemischen Industrie, der Agrar- und Lebensmittelindustrie, der Glas- oder der Baustoffindustrie Gas als Grundstoff in der Produktion brauchen. Weiterer Streit wird dadurch entstehen, dass die vom Gesetzgeber geplante Revision des Energiesicherheitsgesetzes ein Preisanpassungsrecht entlang der Lieferkette – d.h. bis zum Endverbraucher – vorsieht. Die Preise können angemessen auf Marktpreise erhöht werden. Diese Preiserhöhungen werden in die Produktion durchschlagen.

Fazit

Die Sanktionen gegen Russland haben bereits jetzt direkte und indirekte Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Zwei miteinander verflochtene Wirtschaftsräume werden auseinandergerissen. Während sich die direkten Auswirkungen auf das Russland-Geschäft beschränken, entstehen die indirekten Wirkungen durch Fortwirkungen der Sanktionen in der Lieferkette sowie durch bestehende und mögliche zukünftige russische Gegensanktionen. Unternehmen sollten bereits jetzt prüfen, ob und wie sie ihre Exposition verringern können. Denn die dadurch entstehenden Streitigkeiten sind äußerst komplex und bedürfen der sorgfältigen Prüfung.


Über den Autor

Dr. Richard Happ ist Partner im Hamburger Büro der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Er ist spezialisiert auf komplexe Rechtsstreitigkeiten und Schiedsverfahren.

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Meinung: Sanktionen und Protektionismus
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