Die Digitalisierung des Handwerks

von Bernd Herrmann (Würth-Gruppe)

In deutschen Wirtschaftsmagazinen sind regelmäßig Organisationen und Unternehmen verschiedener Branchen mit umfassenden Artikeln und Hintergrundinformationen zu aktuellen Trends und Entwicklungen präsent. Sie gelten als attraktiv und als Innovationstreiber für die deutsche Wirtschaft. Vertreterinnen und Vertreter der Politik zeigen sich modern, wenn es um das Interesse an den neuesten Errungenschaften der Biotechnologie, im Gesundheitswesen oder der Energietechnik geht. Zukunft hat, was modern ist und dem Zeitgeist entspricht. Dabei gibt es eine Branche, der die Erfüllung dieser Gleichung teilweise abgesprochen wird: das Handwerk. Allerdings ist eine Zukunft ohne das Handwerk nicht vorstellbar!

Was muss also passieren, damit die Handwerksbranche bei der Zukunftsfähigkeit auch auf den vorderen Plätzen wahrgenommen wird? Und wie wird diese Branche wieder attraktiv für Nachwuchskräfte? Bei der Beantwortung dieser Fragen – so unsere These – spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle. 

Ein Blick auf die Fakten – denn beeindruckender als das Image des Handwerks scheinen die Kennzahlen zu sein: Über 5,4 Millionen Beschäftigte in mehr als 560.000 Betrieben und ein erwirtschafteter Jahresumsatz von rund 634 Milliarden Euro laut Statistischem Bundesamt zeigt deutlich, welches unglaubliche Potenzial in Deutschland in dieser Branche steckt. Notwendige, energieeffiziente Sanierungen, Bauvorhaben in nie dagewesenem Ausmaß und Anforderungen auf höchstem Niveau haben in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Boom im Handwerk geführt. Aber auch technologische Innovationen, wie 3D-Druck oder vorausschauende Analyse- und Monitoringtools, sorgen für eine erhöhte Nachfrage. Das sind nur einige Entwicklungen, die ohne Digitalisierung gar nicht vorstellbar sind. Für die Unternehmen der Würth-Gruppe ist dies eine Verpflichtung: Seit Jahren befinden wir uns stets im direkten Austausch mit unseren Kundinnen und Kunden, nehmen die Veränderungen am Markt wahr, reagieren auf diese und entwickeln bedarfsgerechte Lösungen. 

„Digitalisiert“ haben wir bei Würth schon vieles, bevor der Begriff als Megatrend deklariert wurde. Bereits 1985 wurden die ersten Verkäuferinnen und Verkäufer der Würth-Gruppe mit mobilen Erfassungsgeräten ausgestattet, lange bevor das Internet kommerziell nutzbar wurde. Zuvor wurden Aufträge nach dem Kundenbesuch noch per Post an die Zentrale in Künzelsau oder in die nächstgelegene Niederlassung zur Erfassung gesendet. Die digitale Erfassung hat nicht nur die Arbeit für unsere Verkäufermannschaft vereinfacht, sondern auch dafür gesorgt, dass unseren Kunden ihre teils dringend benötigte Ware schneller erhielten. In den vergangenen 35 Jahren haben sich die Prozesse bei unseren Kunden im Handwerk massiv verändert – und wurden, wenn auch manchmal etwas später als in anderen Branchen, immer digitaler. Unser ständiger Anspruch dabei war, die Bedürfnisse unserer Kundschaft in höchstem Maße zu erfüllen und ihnen innovative Lösungen und Services zu bieten. Im Jahr 2022 bedeutet das nicht nur den Verkauf von Handwerksbedarf, sondern auch das Anbieten von zahlreichen digitalen Services. Denn die Digitalisierung macht auch vor dem Handwerk nicht Halt. 

Das Handwerk gehört aus meiner Sicht definitiv zu den Zukunftsbranchen mit großem Potenzial und enormen Chancen. Veränderte Anforderungen aus dem Markt sorgen für Herausforderungen, für die eine weitreichende Digitalisierung des Handwerks notwendig ist. Obwohl die Digitalisierung im Handwerk längst stattfindet, besteht ein ständiger Handlungsbedarf, sich auf technologische Veränderungen einzustellen. 

Eine 2019 durchgeführte, repräsentative Umfrage bei unseren Kunden hat ergeben, dass ein gutes Drittel (38 %) ihren Betrieb beim Thema Digitalisierung auf einem guten Weg sehen. Die Mehrheit der Befragten gaben dagegen an, sich in Zukunft darum kümmern zu wollen (44 %) und immerhin 16 % waren sogar der Meinung, Digitalisierung spiele für ihren Betrieb noch keine Rolle. 

Entscheidend ist bei der Digitalisierung des eigenen Handwerksbetriebs überhaupt anzufangen. Denn die Erfahrung zeigt: Beginnen Handwerksbetriebe ihre betriebsinternen Arbeitsprozesse zu digitalisieren, werden Interaktionen mit Lieferanten, Kunden und Kooperationspartnern zunehmend digital. Auch Arbeitsabläufe in sämtlichen Betriebsbereichen folgen dann sukzessive digitalen Vorgehensweisen.

Digitalisierung fördert die Unternehmensnachfolge und wirkt dem Fachkräftemangel entgegen

In kaum einer Branche ist die Nachfolgeregelung in den Betrieben so schwierig wie im Handwerk. Im Jahr 2020 suchten rund 180.000 Inhaber/innen einen Nachfolger für ihren Betrieb. So plante laut der Deutschen Handwerks Zeitung jede/r vierte Inhaber/in, seinen/ihren Handwerksbetrieb an eine/n Nachfolger/in zu übergeben (18,2 %) oder gar zu schließen (6,6 %). 

Nicht nur die Suche nach einem/r geeigneten Nachfolger/in gestaltet sich schwierig, auch die Suche nach Auszubildenden in den Handwerksbetrieben ist herausfordernd. Allein von 2009 bis 2017 hat sich laut einer langjährigen Befragung des Bundesinstitut für Berufsbildung die Zahl der unbesetzten Lehrstellen im Handwerk verdreifacht. Im Jahr 2017 blieben in strukturschwachen Regionen mehr als 20 % der angebotenen Ausbildungsplätze unbesetzt. 

Die Wirkkräfte der Digitalisierung können die Attraktivität der handwerklichen Betriebe steigern. Modernes Arbeiten mit Zukunftstechnologien – nichts anderes ist die Verknüpfung von Digitalisierung und Handwerk. Um die Chancen zu erhöhen, mehr Schulabsolventen für eine Handwerksausbildung zu begeistern, müssen die Betriebe und der Berufsalltag attraktiver werden, indem beispielsweise die Ausbildungsinhalte den Anforderungen an die Zukunft angepasst werden. Zudem muss eine umfassende Information über die verschiedenen Tätigkeitsfelder erfolgen. Heute werden Menschen in das digitale Zeitalter hineingeboren und nutzen bereits in jungen Jahren ganz selbstverständlich digitale Medien – ein „nicht digitalisierter“ Beruf ist da kaum vorstellbar. Umso wichtiger ist es, in der Ausbildung zusätzliche digitale Kompetenz zu vermitteln. Nur so wird das angeeignete Wissen dann auch zielführend im Handwerksbetrieb umgesetzt werden können. 

Gelingt dieses Vorhaben nicht und immer mehr handwerkliche Betriebe müssen schließen, hätte dies nicht nur weitreichende Folgen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch für unserer Gesellschaft. Mit den Betrieben würden auch Fachwissen, langjährige Wertschöpfungsketten und Ausbildungsplätze verloren gehen. Ein Verlust an Wirtschaftskraft und Zukunftsfähigkeit wäre die Folge.

"Durch konsequente Digitalisierung kann die Grundlage geschaffen werden, dass sich die rund 560.000 Betriebe zukunftsfähig aufstellen und sich auch künftig auf das konzentrieren können, was sie am besten können: Unsere Wirtschaft am Laufen halten!"


Bernd Herrmann 

Mitglied der Konzernführung der Würth-Gruppe


 

Digitalisierung verändert den Arbeitsalltag im Handwerk

Der eigentliche Vorteil der Digitalisierung für das Handwerk ist die Vereinfachung von Arbeitsprozessen und die Unterstützung im Arbeitsalltag. In zahlreichen Befragungen und Gesprächen mit Kundinnen und Kunden haben wir bei Würth festgestellt, dass es am Markt einen wahren Flickenteppich an unterschiedlichen Lösungen und Anwendungen zur Digitalisierung des Betriebs gibt. Handwerksbetriebe haben weder die Zeit noch die Ressourcen, sich eingehend mit den zahlreichen Möglichkeiten und den verschiedenen Vorteilen der Produkte zu beschäftigen. 

Dieser Herausforderung stellt sich die Würth-Gruppe. Weltweit beschäftigen wir mehr als 2.000 Mitarbeitende im IT- und Digitalisierungsbereich. Die zentrale Maxime dabei ist, nah am Kunden zu sein und Lösungen für deren tägliche Herausforderungen zu finden. Mit einer eigens gegründeten Tochtergesellschaft Würth Cloud Services finden vor allem kleinere und mittlere Handwerksbetriebe das passende Angebot. Statt einer Vielzahl unterschiedlicher Programme, vereint die Handwerkersoftwarelösung alles, um das tägliche Arbeiten mit Hilfe einer vereinfachten Auftragsbearbeitung von Angeboten, Lieferscheinabwicklung und Rechnungsstellung zu erleichtern. Eine Fotodokumentation fügt einer digitalen Akte automatisch Bilder von Baustellen und laufenden Projekten hinzu. Arbeitszeiten der Mitarbeitenden können digital per Smartphone erfasst und Lagerbestände mit wenigen Klicks verwaltet werden.

Auf immer größere Begeisterung stößt dabei auch die Möglichkeit, Werkzeuge, Geräte und Maschinen bequem online anzumieten. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern auch kostensparend. Produkt-Konfiguratoren und digitale Planungstools unterstützen unsere Kundinnen und Kunden bei der richtigen Produktauswahl und der Beratung ihrer Kundschaft. Daneben bietet die Würth-Gruppe mit WUCATO auch eine eigenen Beschaffungsplattform mit über 20 Mio. Produkten an.

Selbstverständlich verändert und vereinfacht sich im Zuge der Digitalisierung nicht nur der Arbeitsalltag unserer Kunden. Auch das Aufgabengebiet eines Verkäufers kann man heutzutage mehr mit dem eines Prozess- und Lösungsberaters beschreiben. Aus einem Pool zahlreicher Möglichkeiten wird die individuell beste Lösung gefunden, bei der alle Prozesse und das tägliche Arbeiten des Kunden im Mittelpunkt stehen.

Fazit

Zweifelsfrei steht die Handwerksbranche vor großen Veränderungen, die eine Vielzahl an Herausforderungen und neuen Prozessen mit sich bringen werden. Durch konsequente Digitalisierung kann die Grundlage geschaffen werden, dass sich die rund 560.000 Betriebe zukunftsfähig aufstellen und sich auch künftig auf das konzentrieren können, was sie am besten können: Unsere Wirtschaft am Laufen halten!

Header © Marta Shershen – IStock 

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