Großbauprojekte: 

Kann der Einsatz von Dispute Boards Gerichtskosten einsparen?

Ulrich Helm und Niyati Asthana (Mayer Brown LLP)

Großbauprojekte sind mit komplexen technischen, finanziellen und rechtlichen Fragen verbunden, die regelmäßig zu Streitigkeiten zwischen den Parteien führen. Um zumindest die sehr kostspieligen und zeitaufwändigen Schieds- oder Gerichtsverfahren zu vermeiden, sehen etwa die Standardverträge der „FIDIC“ (Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils) die Aufstellung eines Dispute Avoidance/Adjudication Boards („DAAB“) vor, das Streitigkeiten noch während der Vertragserfüllung schnell, unparteiisch und verbindlich beilegen soll. Der folgende Beitrag untersucht die Rolle von DAAB-Entscheidungen und gibt Empfehlungen für die Besetzung eines DAAB. 

Herausragende Beispiele für Großbauprojekte sind der Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien, welcher der längste Unterwasser-Eisenbahntunnel ist, etwa 21 Milliarden US-Dollar kostete und den grenzüberschreitenden Reise- und Handelsverkehr erleichtert; oder der Burj Khalifa in Dubai, der etwa 1,5 Milliarden US-Dollar kostete, mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt ist und eine Mischung aus Wohn-, Geschäfts- und Freizeiteinrichtungen darstellt.

Eine Möglichkeit, ein Großbauprojekt zu definieren, besteht darin, die von Flyvbjerg vorgeschlagenen Kriterien zu verwenden,[1] wonach ein Großbauprojekt mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllen muss: (i) Gesamtkosten von über einer Milliarde US-Dollar oder eines erheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts des Landes oder der Region, (ii) Erregung öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit, aufgrund seiner politischen, sozialen oder ökologischen Auswirkungen, oder (iii) ein hohes Maß an Komplexität, sowohl in technischer als auch in organisatorischer Hinsicht. 

Da Großbauprojekte danach erhebliche Investitionen, Ressourcen und Koordination erfordern und signifikante technische, ökologische und rechtliche Herausforderungen bewältigen müssen, sind sie für Streitigkeiten, die in jeder Phase des Projekts auftreten können, besonders anfällig. 

Zwar basieren diese Projekte regelmäßig auf standardisierten Verträgen, die darauf abzielen, die vertraglichen Risiken und Pflichten zwischen den Parteien ausgewogen zu verteilen. Aus den genannten Gründen sind Streitigkeiten wegen Verzögerungen, Mängeln, höherer Gewalt und Fristverlängerungen gleichwohl unvermeidlich. Diese Streitigkeiten aber können nicht nur den Projekterfolg gefährden, sie können auch die Beziehung zu anderen beteiligten Parteien beschädigen.

Um angesichts dessen die Eskalation von Streitigkeiten zu verhindern, oder zumindest zu minimieren, sehen Verträge wie etwa diejenigen der FIDIC ein Dispute Avoidance/Adjudication Board vor, bei dem es sich um ein Gremium unabhängiger und qualifizierter Expert:innen handelt, das zu Beginn des Vertrags von den Parteien ernannt wird. 

Das DAAB hat folgende Aufgaben: Die Unterstützung der Parteien bei deren Streitschlichtung, bzw. besser noch bei Fragen der Streitvermeidung, aber auch den Erlass von Entscheidungen über von den Parteien vorgetragene Streitigkeiten.

Die Aufgabe des DAAB unter einem FIDIC-Vertrag besteht dann darin, die Parteien bei der Beilegung der aufkommenden Fragen zu unterstützen und zu beraten sowie Entscheidungen zu erlassen, die bindend sind, sofern sie nicht durch ein Schiedsverfahren revidiert werden. Das DAAB kann die Örtlichkeiten besichtigen, Unterlagen und Angaben der Parteien prüfen und diese anhören. Anschließend berät sich das DAAB und entscheidet innerhalb der relativ kurzen vorgeschriebenen Frist. Nutzen die Parteien die derart definierte Rolle des DAAB in vollem Umfang, wird eine Vielzahl von Streitigkeiten das Schiedsgericht nie erreichen. Dies wiederum hilft, das Projekt fertigzustellen, ohne das danach noch jahrelang in einer Litigation oder Arbitration gestritten werden muss.

Dispute Boards und ihre Relevanz für Großbau-Dispute

Das DAAB ist ein proaktiver Mechanismus, der den Parteien helfen soll, Streitigkeiten zu vermeiden oder gütlich beizulegen, bevor sie zu einem Rechtsstreit eskalieren. Dabei kann das DAAB ein ständiges[2] Gremium oder ein Ad-hoc-Gremium sein, das sich aus einem oder drei unabhängigen und unparteiischen[3] Mitgliedern zusammensetzt, die über einschlägige technische, rechtliche und vertragliche Kenntnisse der konkreten Art des Projekts verfügen. 

Der Vorteil eines ständigen DAAB besteht darin, dass es sich von Anbeginn der Projektdurchführung und parallel mit dessen Fortschreiten mit den Besonderheiten des Projektes vertraut machen und die Streitigkeiten „fortlaufend“ schlichten kann, ohne sich immer wieder von Grund auf einarbeiten zu müssen. Dies ermöglicht den Parteien, aufkommende Fragen schnell und informell zu beseitigen und nicht formell – und damit zeitaufwändig. Potenzielle Streitigkeiten können also oftmals entschärft werden, bevor die Parteien sich in ihren Positionen „eingraben“. Dies erspart den Parteien die Unsicherheiten eines Schiedsverfahrens. Darüber hinaus kann ein DAAB durch die Einführung eines flexiblen und informellen Verfahrens[4] auch die Autonomie und Vertraulichkeit[5] der Parteien wahren und trägt dadurch dazu bei, ihre langfristigen Beziehungen nicht „aufs Spiel zu setzen“.

Das DAAB kann darüber hinaus Vorteile für das Projekt als Ganzes bieten, indem es fachkundigen und unparteiischen Input liefert, und es kann gleichzeitig sicherstellen, dass das Projekt wie vertraglich festgelegt durchgeführt wird.

Die Rolle des DAAB ist aber gleichwohl nur unterstützend. Die Parteien, die einen solchen Streitbeilegungsmechanismus nutzen, müssen ihn daher mit der Einstellung angehen, in dieser Phase selbst eine dauerhafte Lösung zu finden. 

Das Vorgehen eines DAAB

Erlässt das DAAB innerhalb der vertraglich vorgegebenen Frist keine Entscheidung, ist es aus irgendeinem Grund handlungsunfähig oder ist eine Partei mit der Entscheidung des DAAB unzufrieden, so kann jede Partei ein Schiedsverfahren oder ein Verfahren vor den ordentlichen Gericht einleiten, je nachdem, was vereinbart wurde.[6] Im Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Parteien sich auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens einigten:

Ein Schiedsverfahren wird nach dem im Vertrag festgelegten Verfahren durchgeführt; das Schiedsgericht ist befugt, jede Entscheidung des DAAB, die sich auf die Streitigkeit bezieht, zu revidieren. Das Schiedsgericht ist ferner dazu befähigt, über alle Angelegenheiten oder Fragen zu urteilen, die das DAAB nicht entscheiden konnte oder nicht entschieden hat, und alle Abhilfen zu gewähren, die das DAAB hätte gewähren können.[7]

Angesichts der Art der Rolle des DAAB sollte der Auswahl der Mitglieder besondere Aufmerksamkeit zukommen. Wir empfehlen, bei der Auswahl der Mitglieder folgende Faktoren zu berücksichtigen:

    • Technisches Fachwissen: DAAB-Mitglieder sollten über einschlägige und ausreichende technische Kenntnisse auf dem Gebiet des Projekts verfügen, z.B. in den Bereichen Technik, Design oder Rechtswissen, um die Risiken und Herausforderungen des Projekts zu verstehen.
    • Fähigkeiten zur Streitbeilegung: Die DAAB-Mitglieder sollten Kenntnisse über Streitbeilegungsmethoden haben, um eine konstruktive Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Parteien zu erleichtern, um geltende Regeln und Verfahren anzuwenden, faire und unparteiische Anhörungen durchzuführen, Beweise zu bewerten und begründete Entscheidungen oder Empfehlungen zu erlassen.
    • Zwischenmenschliche Kompetenzen: DAAB-Mitglieder sollten über die Fähigkeiten und Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit verschiedenen und potenziell konfliktträchtigen Interessengruppen und Kulturen verfügen, um Vertrauen und Respekt aufzubauen, Emotionen und Erwartungen zu steuern und eine kooperative Atmosphäre zur Streitvermeidung und -beilegung zu fördern.
    • Projektmanagementfähigkeiten: DAAB-Mitglieder sollten über Fähigkeiten zur Leitung komplexer und dynamischer Projekte, zur Überwachung und Berichterstattung des Projektfortschritts und zur Erkennung potenzieller Probleme und Chancen zur Anpassung an sich ändernde Umstände und Bedürfnisse verfügen.
    • Ethische Standards: DAAB-Mitglieder sollten sich an hohe ethische und professionelle Standards halten, mit Integrität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Vertraulichkeit handeln, jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Interessenkonflikt oder jede Voreingenommenheit vermeiden, die Rechte und Pflichten der Parteien respektieren und das Mandat des DAAB einhalten.

Die Bestätigung der Rolle des DAAB vor Schieds- und nationalen Gerichten

Die Rolle von DAABs bei Großprojekten wurde in mehreren Gerichtsentscheidungen sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene erörtert. Eines der wichtigsten Urteile in diesem Zusammenhang erging im Fall „PT Perusahaan Gas Negara (Persero) TBK gegen CRW Joint Operation“.[8] Das Berufungsgericht von Singapur bestätigte die Vollstreckbarkeit einer DAB-Entscheidung (Dispute Adjudication Board) nach dem FIDIC Red Book 1999 und stellte fest, dass die Parteien einer DAB-Entscheidung unverzüglich nachkommen müssen – auch wenn sie damit nicht einverstanden sind – und, dass diese Verpflichtung durch ein Schiedsverfahren durchgesetzt werden kann.

Bei Großprojekten können Streitigkeiten erhebliche negative Auswirkungen auf den Projektausgang haben.

Im Falle von Streitigkeiten, die an das DAAB verwiesen werden und bei denen das DAAB zugunsten des/der Klägers/in entschieden hat, verlangt die Formulierung in Klausel 21.4.3 FIDIC die sofortige Zahlung des vom DAAB als fällig bestimmten Betrags. Diese Auffassung gilt trotz der Tatsache, dass der Vertrag keinen ausdrücklichen Mechanismus zur Vollstreckung dieser „bindenden“ DAB-Entscheidung enthält.

Schlussfolgerung

Bei Großprojekten können Streitigkeiten erhebliche negative Auswirkungen auf den Projektausgang haben; insbesondere können sie Verzögerungen, Unterbrechungen, Kostenerhöhungen, Qualitätsverschlechterung, Sicherheitsrisiken oder Reputationsschäden mit sich bringen. Sie können sich negativ auf Beziehungen zu anderen Beteiligten auswirken, und nicht zuletzt zu sehr kostspieligen und zeitaufwändigen Gerichtsverfahren führen. DAABs können komplexe und technische Streitigkeiten schnell, flexibel und effizient lösen: Sie bewältigen diese Streitigkeiten proaktiv und konstruktiv, vor allem, indem sie während des gesamten Projekts den Parteien Anleitungen, Ratschläge und Empfehlungen geben und etwaige Streitigkeiten beilegen, sobald sie entstehen. So wachsen Streitigkeiten bis zum Ende des Projektes erst gar nicht weiter an. 

Niyati Asthana

ist Ausländisch Qualifizierte Anwältin (Foreign Qualified Lawyer) der Litigation & Dispute Resolution Praxis im Frankfurter Büro von Mayer Brown LLP und berät in Handels- und Investitionsschiedsverfahren.

Ulrich Helm 

ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Mayer Brown LLP und leitet die deutsche Praxisgruppe Litigation & Dispute Resolution.

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[1] Siehe Flyvbjerg B. (2014) What you should Know about Megaprojects and Why: An Overview. Project Management Journal, Vol 45 (April/Mai), Nr. 2.

[2] Siehe FIDIC 2022, Unterklausel 21.3.

[3] Siehe Allgemeine Bedingungen des DAAB-Vertrags gem. FIDIC, Bedingung 4.

[4] Siehe FIDIC, DAAB-Verfahrensordnung, Regel 5.1.

[5] Siehe Allgemeine Bedingungen der DAAB-Vereinbarung gem. FIDIC, Bedingung 7.

[6] Siehe FIDIC 2022, Unterabschnitt 21.4.4.

[7] Siehe FIDIC 2022, Unterklausel 21.6.

[8] Siehe [2015] SGCA 30. PT Perusahaan Gas Negara (Persero) TBK v. CRW Joint Operation [2010] SGHC 202, 137 Con L.R. 69 als erstinstanzliche Entscheidung; Urt. d. Berufungsgerichts: CRW Joint Operation gegen PT Perusahaan Gas Negara (Pereso) TBK [2011] SGCA 33. PT Perusahaan Gas Negara (Persero) TBK v. CRW Joint Operation [2015] SGCA 30 [88] als abschließendes Urteil.

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