Der BGH verhandelte im Mai 2023 drei verbundene Verfahren zur Unzulässigkeitserklärung von ICSID-Schiedsverfahren gem. § 1032 Abs. 2 ZPO. Hierbei handelte es sich um die Verfahren „Deutschland gegen Mainstream“ (I ZB 43/22), „die Niederlande gegen RWE“ (I ZB 75/22) und „die Niederlande gegen UNIPER“ (I ZB 74/22), welche alle auf der in Art. 26 des Energiecharta-Vertrags enthaltenen Schiedsklausel beruhten. Die Staaten wehrten sich vor den ordentlichen Gerichten gegen die ICSID‑Schiedsverfahren, welche die drei Investoren gegen sie eingeleitet hatten. Seitens der Staaten wurde beantragt, die Unzulässigkeit des schiedsgerichtlichen Verfahrens gem. § 1032 Abs. 2 ZPO (Antrag zu 1) festzustellen.
Des Weiteren beantragten die Niederlande in beiden ihrer Verfahren die Feststellung, dass darüber hinaus jegliche Schiedsverfahren zwischen den Beteiligten auf Grundlage der Schiedsklausel des Energiecharta-Vertrags unzulässig seien (Antrag zu 2). § 1032 Abs. 2 ZPO ist hierbei eine dem deutschen Recht genuine Regelung, welche den Antrag auf Unzulässigkeitserklärung des Schiedsverfahrens bereits vor der Konstituierung des Schiedsgerichts ermöglicht. Ein solches Verfahren ist weder im UNCITRAL-Modellgesetz vorgesehen, noch weist ein anderer EU-Mitgliedstaat eine vergleichbare Regelung auf. Auch auf nationaler Ebene unterscheidet sich dieses Verfahren in zeitlicher Hinsicht von den sonstigen Intra-EU-Streitigkeiten vor den deutschen ordentlichen Gerichten, da diese grundsätzlich dem Vollstreckungsverfahren zugordnet und damit dem Schiedsverfahren nachgelagert sind.
Uneinheitliche Rechtsprechung der Vorinstanzen
In den Schiedsverfahren „RWE gegen die Niederlande“ und „UNIPER gegen die Niederlande“ vertraten die deutschen Investoren die Ansicht, dass ihre Investitionen durch den angekündigten Austritt der Niederlande aus der Kohleverstromung bis 2030 beeinträchtigt werde. Die Niederlande klagten vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln auf die vorgenannten Feststellungen der Unzulässigkeit der eingeleiteten Schiedsverfahren (Antrag zu 1) sowie jeglichen schiedsrichterlichen Verfahrens zwischen den Beteiligten (Antrag zu 2). Das OLG Köln gab den Anträgen statt und urteilte, dass das Verfahren gem. § 1032 Abs. 2 ZPO sowohl zulässig als auch begründet sei. Es differenzierte hinsichtlich der Frage der Statthaftigkeit der Klagen: So erkannte das Gericht an, dass es die Zulässigkeit und Begründetheit eines ICSID-Schiedsverfahrens grundsätzlich nicht überprüfen könne, allerdings seien die Anträge unter Berücksichtigung des vorrangigen Unionsrechts statthaft. Die Anträge seien auch begründet, weil die Schiedsklausel in Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 und 344 AEUV unwirksam sei.
Eine Besonderheit bestand im Fall von „UNIPER gegen die Niederlande“ darin, dass UNIPER im Zuge der Energiekrise verstaatlicht wurde. Insofern hielt die Bundesrepublik Deutschland seit Dezember 2022 rund 99 % der Aktien an UNIPER. Teil der Verstaatlichung war die Vereinbarung, dass UNIPER die Schiedsklage gegen die Niederlande zurückzunehme. Nach zunächst unbeschränkt eingelegter Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG Köln, nahm UNIPER im Zuge der Verstaatlichung die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Antrags zu 1) zurück. Die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Antrags zu 2) hielt UNIPER nach eigenen Angaben aufrecht, um für die Investoren gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. In der Rechtssache „die Niederlande gegen UNIPER“ (I ZB 74/22) hatte der BGH daher nur noch über den Antrag zu 2) zu entscheiden.
Im dritten ICSID-Schiedsverfahren machte hingegen das irische Unternehmen Mainstream gegen Deutschland geltend, in seinen Investitionen durch Gesetzesänderungen im Bereich der Solar- und Windkraftenergie geschädigt zu seien. Die dagegen gerichtete Feststellungsklage auf Unzulässigkeit dieses Schiedsverfahrens machte Deutschland beim Kammergericht (KG) Berlin anhängig. Das KG Berlin hat diese Klage gem. § 1032 Abs. 2 ZPO wegen Unstatthaftigkeit als unzulässig zurückgewiesen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass Schiedsverfahren vor ICSID-Schiedsgerichten Teil eines geschlossenen Rechtssystems seien, die ausdrücklich der Überprüfung durch nationale Gerichte entzogen sein sollten.
Das OLG Köln und das KG Berlin kamen damit in den Vorinstanzen bezüglich der Anwendung des § 1032 Abs. 2 ZPO zu unterschiedlichen Ergebnissen, worüber der BGH nun eine Grundsatzentscheidung zu treffen hatte.
Zulässigkeit der Anträge
Der BGH folgte der Entscheidung des OLG Köln und erklärte die beiden noch anhängigen Schiedsverfahren in den Rechtssachen „Deutschland gegen Mainstream“ (I ZB 43/22) und „die Niederlande gegen RWE“ (I ZB 75/22) für unzulässig. Die Schwierigkeiten dieser Anträge sah der BGH vor allem in der Zulässigkeit des Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO, insbesondere in der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte als auch in der Statthaftigkeit des Antrags. Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit käme es maßgeblich auf die Auslegung des § 1025 Abs. 2 ZPO an. Dieser sei grundsätzlich nur auf ausländische oder noch unbestimmte Schiedsorte anwendbar, erfordere aber früher oder später das Vorhandensein eines Schiedsortes. § 1025 Abs. 2 ZPO könne daher nicht direkt auf ICSID-Schiedsverfahren angewendet werden, welche sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie zwar einen Tagungsort, aber keinen Schiedsort haben und somit delokalisiert stattfinden. Nach ausführlicher Prüfung – insbesondere auch der Gesetzesbegründung – wendete der BGH § 1025 ZPO analog an. Es sei Intention des Gesetzgebers gewesen, alle Schiedsverfahren und damit auch solche ohne Schiedsort nach der ICSID-Konvention zu erfassen.
Hinsichtlich der Statthaftigkeit des Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO erkannte der BGH grundsätzlich – ohne Berücksichtigung des Unionsrechts – die Sperrwirkung des Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommens an, wonach es nur dem Schiedsgericht selbst obliegt, über seine eigene Zuständigkeit und Kompetenz zu entscheiden. Insofern führte der BGH auch aus, dass Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen gegenüber einem Verfahren gem. § 1032 Abs. 2 ZPO lex specialis sei. Jedoch differenzierte und erklärte der BGH, dass aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in einem Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen keine Anwendung fände und daher einem Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO nicht entgegenstehe. Das Unionsrecht habe in Deutschland nicht nur einen Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht, sondern auch gegenüber dem Völkerrecht. Insofern obliege es den deutschen (wie auch sämtlichen anderen mitgliedstaatlichen) Gerichten, diesem Anwendungsvorrang so frühzeitig wie möglich Geltung zu verschaffen – auch schon auf Ebene der Zulässigkeit. Die Anträge seien deshalb, unter Würdigung des effet utile-Grundsatzes, statthaft.
Der seitens der Niederlande erhobene Antrag zu 2 auf Feststellung der Unzulässigkeit jeglichen schiedsrichterlichen Verfahrens zwischen den Beteiligten wurde vom BGH hingegen als unzulässig verworfen. Der Antrag, dass auch künftig keine wirksame Schiedsvereinbarung herbeigeführt werden könne, betreffe keine konkrete Schiedsvereinbarung, die zu einem Schiedsverfahren führen könne, sondern vielmehr eine potenzielle Schiedsvereinbarung. Voraussetzung für ein Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO sei jedoch eine Schiedsvereinbarung zwischen den Beteiligten.
Begründetheit der Anträge
Relativ kurz handelte der BGH die Begründetheit der zulässigen Anträge ab und stellte hierbei auf den Mangel einer wirksamen Schiedsvereinbarung ab, weswegen der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens begründet sei. Es fehle an einer Einwilligung der EU-Mitgliedstaaten zur Durchführung eines schiedsrichterlichen Verfahrens, da Art. 26 Abs. 2 Buchst. c Energiecharta-Vertrag in Intra-EU-Konstellationen gegen Unionsrecht verstoße. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH stünden Art. 267 und 344 AEUV einer internationalen Übereinkunft der EU‑Mitgliedstaaten entgegen, wenn dadurch nicht die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet werde. Dies sei der Fall, wenn die Auslegung und Anwendung der EU-Verträge einer anderen Institution zugewiesen wird als derjenigen, die in den EU-Verträgen vorgesehen ist. Vor den Schiedsgerichten sei eine vollständige Gewährleistung des Unionsrechts nicht sichergestellt. Der BGH setzte damit die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen der „Slowakische Republik gegen Achmea“, der „Republik Moldau gegen Komstroy“ und der „Republik Polen gegen PL-Holdings“ auf nationaler Ebene fort. Seit den neueren Entscheidungen „Europäische Kommission gegen European Food und DA gegen Romatsa“ gelte diese Rechtsprechung explizit auch für ICSID-Schiedsverfahren.
Fazit
Die Entscheidung des BGH war spätestens seit der mündlichen Verhandlung im Mai 2023 aufgrund der bereits hier eingenommen klaren Positionierung des Senates absehbar. Er setzte damit konsequent die vorangegangene EuGH-Rechtsprechung auf nationaler Ebene um. In völkerrechtlicher Hinsicht interessant ist, dass der BGH den vermeintlichen Konflikt zwischen einer deutschen prozessualen Rechtsnorm und der Kompetenznorm nach der ICSID-Konvention über den Anwendungsvorrang des Unionsrechts auflöst und dadurch eine frühzeitige Feststellung der Unzulässigkeit von Intra-EU-Schiedsverfahren ermöglicht. Offen bleibt, ob sich die Entscheidung auf ICSID-Schiedsgerichte auswirkt, welche die Rechtsprechung des EuGH in dieser Hinsicht bisher abzulehnen scheinen.
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