Dr. Greg Lourie (ICC-Schiedsgerichtshof)
Die nächsten 100 Jahre ICC-Schiedsgerichtshof
Vorreiterrolle in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ausbauen
In einer Vielzahl von Branchen, so z.B. dem Bau- und Energiesektor, ist die Schiedsgerichtsbarkeit heute das bevorzugte Instrument zur Beilegung von Streitigkeiten. Dies spiegelt sich auch in der sektoralen Verteilung der von dem ICC Court administrierten Verfahren wider: Im Jahr 2022 entfielen knapp 24 % aller Verfahren auf den Bau- und Infrastruktursektor, gefolgt vom Energiesektor mit 18 %. Darüber hinaus spielen auch die Bereiche Transport, Pharmazie und Telekommunikation eine bedeutende Rolle bei den Fällen, die vor den Schiedsgerichtshof kommen.
Die Bedeutung des ICC Courts für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit wird am konstanten Anstieg der vom Schiedsgerichtshof administrierten Fälle deutlich. Seit seinem Bestehen hat der Schiedsgerichtshof mehr als 28.000 Verfahren administriert. Wurden im Jahr 1980 noch 250 Anfragen eingereicht, waren es 1992 schon 337 und 2020 sogar 929 neue Fälle.
Auch auf dem deutschen Markt hat der Schiedsgerichtshof erhebliche Relevanz, was sich nicht zuletzt in den Zahlen widerspiegelt:
- Deutsche Parteien sind historisch besonders stark unter den Nutzer:innen der Schiedsgerichtsbarkeit vertreten. Insgesamt waren seit 1992 3.374 aller Parteien in ICC-Schiedsverfahren deutscher Herkunft.
- Seit 1992 wurden insgesamt mehr als 2.500 deutsche Schiedsrichter:innen in Verfahren vor dem ICC Court ernannt.
- Deutsch ist eine der offiziellen Arbeitssprachen des Schiedsgerichtshofs und allein in den letzten 15 Jahren wurden mehr als 150 Verfahren auf Deutsch administriert.
- Auch ohne deutsche Parteien findet deutsches Recht regelmäßig in Verfahren vor dem Schiedsgerichtshof Anwendung. Deutschland wird zudem häufig von den Parteien für den Sitz des Schiedsgerichts bestimmt.
Die ICC setzt sich darin zum Ziel, den Zugang zu gerechter Streitbeilegung als elementaren Bestandteil der Rechtsstaatsgarantie zu gewährleisten, indem sie effiziente, erschwingliche und zuverlässige Dienstleistungen zur Konfliktprävention und -lösung zugänglich für alle macht. Dies soll insbesondere durch ein starkes lokales Engagement erreicht werden, um das Wissen um die Schiedsgerichtsbarkeit und deren Akzeptanz vor Ort zu stärken. Die ICC verpflichtet sich zudem, auf mehr Transparenz in Schiedsverfahren hinzuarbeiten, die Digitalisierung zu fördern und nicht zuletzt dazu, einen starken Fokus auf Diversität und Inklusion zu legen.
Zur Verwirklichung dieser Vision tragen vielfältige Projekte und Dienstleistungen bei, die in diesem Jubiläumsjahr von der ICC ins Leben gerufen wurden:
Case Connect
Die ICC ist Vorreiter in der Digitalisierung von Schiedsverfahren und deren Administration. Die im Oktober 2022 eingeführte Plattform für die vollständige digitale Abwicklung von Schiedsverfahren, „ICC Case Connect“, hat sich bereits gut etabliert: Während die Nutzung der Plattform allen Parteien offensteht, aber nicht verpflichtend ist, wurden seit der Einführung von Case Connect bereits 554 Fälle über die Plattform eingereicht. Dies entspricht einem Anteil von insgesamt 65,1 % aller in diesem Zeitraum beim Gerichtshof anhängig gemachten Fälle.
Seit 2023 entwickelt ICC in Zusammenarbeit mit Opus 2, einem der führenden Legal-Tech Unternehmen, die nächste Version der ICC Case Connect-Plattform. Die neue Version, die voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2024 einsatzbereit sein wird, wird alle zurzeit bei der ICC befindlichen internen und externen Systeme vereinen und mit dem ICC-Netzwerk von mehr als 8.000 Schiedsrichter:innen und mehr als 10.000 Parteivertreter:innen zusammenzubringen. Damit wird eine vollständig digitale Verwaltung der von der ICC administrierten Fälle, im Rahmen einer modernen und hochsicheren Plattform, möglich.
Leitfaden zur Effektiven Konfliktbewältigung
Der im Juli 2023 veröffentlichte Leitfaden zur effektiven Konfliktbewältigung bietet eine Orientierungshilfe bei der Auswahl der am besten geeigneten Technik der alternativen Streitbeilegung und zeigt, wie diese effizient eingesetzt werden können. Der Leitfaden soll den Parteien dabei helfen eine Eskalation zu vermeiden, Streitigkeiten beizulegen und die Kosten nicht vermeidbarer Streitigkeiten zu senken. Ergänzend hat die hierfür zuständige ICC-Kommission den Bericht zur Erleichterung der Beilegung von Streitigkeiten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vorgestellt, der die Parteien dabei unterstützen soll, Streitigkeiten auch nach Beginn des Schiedsverfahrens beizulegen und so die Geschäftsbeziehungen zu erhalten.
Advanced Arbitration Academies
Die Advanced Arbitration Academies der ICC, die im Rahmen des Programms zur Hundertjahrfeier des Schiedsgerichtshofs ins Leben gerufen wurden, setzen das Bekenntnis der ICC zur Schaffung einer globalen Streitbeilegungskultur und -infrastruktur um. Hierfür bieten die Academies hochwertiges Training und Kapazitätsaufbau in den Bereichen Schiedsverfahren, Mediation und Streitbeilegung. Dabei erlenen angehende Schiedsrichter:innen im Rahmen der Academies von erfahrenen Schiedsrechtler:innen. 2023 werden Academies in Asien, Osteuropa, Lateinamerika und Nordamerika stattfinden. Zwei weitere Akademien für Afrika und den Nahen Osten sind für 2024 geplant.
Darüber hinaus füllte die ICC auch in diesem Jahr wie gewohnt die Veranstaltungskalender der Arbitration-Community mit einer Vielzahl an Konferenzen, Paneldiskussionen, Webinaren und anderen Veranstaltungen rund um die Schiedsgerichtsbarkeit. Insbesondere zu erwähnen sind hier die European Conference on International Arbitration in Paris, die Asia Pacific Conference in Hong Kong, die Africa Conference in Lagos, die New York Conference, die Miami Conference und die ICC-FIDIC Conference in Paris. In Anerkennung des hundertjährigen Bestehens wurden die ICC-Schiedsgerichtsregeln zudem bei der diesjährigen Ausgabe des Willem C. Vis Moot, der größten Bildungsveranstaltung des Jahres im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit, als offizielles Regelwerk ausgewählt.
Fazit
Die beeindruckende Geschichte und der gegenwärtige Innovationswille belegen vor allem eines: Der ICC Court hat zurecht eine Vorreiterrolle in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Dank seines klaren Engagements für Effizienz und Innovation ist er optimal positioniert, um auch weiterhin die Zukunft der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in großem Maße mitzuprägen.
Dr. Greg Lourie
leitet als Counsel beim Internationalen Schiedsgerichtshof der ICC das ICA 3 Case Management Team und ist in dieser Funktion für rund 200 Schiedsverfahren (hauptsächlich im Zusammenhang mit Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Benelux-Staaten und Skandinavien) verantwortlich.
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