Meinung

Zwischen Krieg und Klimakrise – Quo vadis Welthandel? 

Dr. Holger Bingmann & Oliver Wieck

ICC Germany

Der völkerrechtswidrige Einmarsch Russland in die Ukraine hat neben den enormen sicherheits- und außenpolitischen Auswirkungen auch eine globale Ernährungskrise hervorgerufen und uns gezwungen, Fragen der Abhängigkeit neu zu diskutieren. Gleichzeitig rückt der voranschreitende Klimawandel spürbar näher. Welchen Beitrag kann und sollte der internationale Handel in diesem Kontext leisten?

Vor mehr als 100 Jahren, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, wurde die Internationale Handelskammer einst von einer Gruppe von Unternehmern, Kaufleuten und Finanziers in Paris gegründet. Die Idee, durch internationalen Handel und Investitionen Frieden und Wohlstand zwischen den Nationen zu fördern, hat heute keinen Deut an Aktualität verloren – ganz im Gegenteil. Beides, Frieden wie Wohlstand, sind unmittelbar gefährdet. Damals wie heute stand nicht nur der Welthandel, sondern die ganze Welt vor immensen Aufgaben und musste sich neu sortieren. 

Damals wie heute müssen die Antworten auf die verschiedenen Krisen auf multilateraler Ebene gefunden werden. Nationales „Decoupling“, die Abschottung der eigenen Märkte, „my country first“-Ansätze usw. führen aus unserer Sicht in eine Sackgasse. Die Aufgaben vor uns betreffen die gesamte Welt und nicht nur einzelne Nationen oder Regionen. Sei es in Fragen der Energiesicherung und -transformation, des Klimawandels und -anpassung oder auch die der Entwicklungspolitik – die internationale Zusammenarbeit ist gerade in den aktuellen Krisenzeiten entscheidender denn je.

Düstere Prognosen für den Welthandel 

Die Herausforderungen, vor der die globale Wirtschaft steht, sind mannigfaltig. Sicher. So senkte die WTO auch Anfang Oktober angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise sowie Zinssätze die Wachstumsprognose für den Welthandel und erklärte, nach 3,5% werde für 2023 nur noch ein Wachstum von 1,0 % erwartet und damit deutlich weniger als die im April prognostizierten 3,4%.  

Als maßgebliche Faktoren identifiziert die WTO den Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Verschärfung der globalen Sicherheitslage und der Energieversorgung und -sicherheit. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels – wie Dürren, Hitzewellen, Unwetter und Überschwemmungen, die auch und insbesondere lebensmittelproduzierende Regionen unmittelbar treffen oder die Infrastruktur internationaler Lieferketten beeinträchtigen. Und nicht zuletzt sind auch heute noch nicht alle pandemiebedingte Produktionsunterbrechungen und Lieferschwierigkeiten überwunden. 


Kein backsliding beim Klimaschutz

Das sind alles andere als rosige Aussichten. Vor allem die aus den derzeitigen Krisen resultierende Priorisierung der Energie- und Versorgungssicherheit und der damit verbundene Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten erhöht die Sorge vor einem möglichen backsliding beim Klimaschutz. Allerdings ist die Bekämpfung des Klimawandels trotz neuer Krisen nicht etwa weniger drängend geworden – ganz im Gegenteil. 

Die jüngsten IPCC-Reports betonen, dass wir ohne global koordinierte Maßnahmen das sich rasch schließende Zeitfenster verpassen werden, die Klimakrise überhaupt noch bewältigen zu können, mit dramatischen Auswirkungen für den Planeten und die Menschen. Mit den aktuellen politisch zugesagten Klimaschutzmaßnahmen befindet sich die Welt laut den Vereinten Nationen auf dem Weg, die 1,5 °Grad-Marke des Pariser Klimaabkommens bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als das Doppelte zu überschreiten. Die Voraussetzungen, unter der die diesjährige UN-Klimakonferenz stattfand, konnten daher herausfordernder wohl kaum sein. 

Nachhaltigkeit als Auftrag und Chance zugleich

Umso wichtiger ist, dass auch der globale Handel seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Dass Nachhaltigkeit und Handel zusammengehören, ist ebenso wenig eine neue Erkenntnis wie die Tatsache, dass eine faire und nachhaltige Transformation nur zusammen mit der globalen Wirtschaft erreicht werden kann. Der private Sektor trägt schon jetzt durch Investitionen und Innovation aktiv zur Erreichung der Klimaziele bei. Dabei ist es aus unserer Sicht Auftrag und Chance zugleich, dass sich die Wirtschaft in seinen Lieferketten nicht nur nachhaltiger, sondern gleichzeitig auch diversifizierter und resilienter aufstellt. Die Generaldirektorin der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, hat kürzlich zu Recht betont, dass wir mehr Diversifizierung brauchen, um nicht nur unsere Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und Abhängigkeiten zu reduzieren, sondern auch, um Preisstabilität und langfristiges Wachstum zu fördern. Beides – Nachhaltigkeit wie Diversifizierung – liegt in unserem langfristigen Interesse.

Rahmen für nachhaltigen Handel

Nachhaltiger globaler Handel ist eines der Kernanliegen der ICC. Deshalb hat sie kürzlich gemeinsam mit der Boston Consulting Group, ein Rahmenwerk für nachhaltige Transaktionen im internationalen Handel und der Handelsfinanzierung erarbeitet. Dieses wird gerade in einem Pilotprojekt in der Textilbranche von Banken, Unternehmen und Technologieanbietern getestet. Ziel ist es, Erfahrungen aus der täglichen Praxis zu sammeln und diese in die weitere Ausgestaltung nachhaltigen Handels einfließen zu lassen. 

Was der internationale Handel nicht ist

Unbestritten ist, dass der globale Handel einen Beitrag zu nachhaltigem Wirtschaften generell, zum Klimaschutz, dem Schutz von Menschenrechten, zur Schonung von Ressourcen leisten kann und muss. Ein wertebasierter Handel ist das gemeinsame Ziel von Politik und Wirtschaft, gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass wir uns nicht durch Überregulierung von dynamischen Märkten in Asien, den Amerikas oder Afrika abschneiden. Was der Handel deshalb nicht ist und gar nicht sein kann, ist ein Ersatz für die Außen- Sicherheits- oder Entwicklungspolitik. So muss z.B. der Prozess zum Erreichen der Klimaziele ein gesamtpolitischer bleiben; er bindet die Außenklimapolitik genauso mit ein, wie die mittel- und langfristige Entwicklungszusammenarbeit oder die Diplomatie. 

Die Handelspolitik kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten: Handelspartner sollten für unsere Umwelt- und Klimastandards gewonnen werden, z.B. durch WTO-konforme Handelsinstrumente zur Verhinderung von „carbon leakage“. Handelsabkommen eigenen sich allerdings nicht dazu, internationale Klimaverpflichtungen durchzusetzen bzw. Verstöße zu sanktionieren. Vielmehr sollten den Handelspartnern positive Anreize gesetzt und Unterstützung bei der Umsetzung angeboten werden. 

Fazit

Krieg, Klimawandel, Energiekrise – der globale Handel steht vor immensen Aufgaben. Dabei müssen unsere Lieferketten nicht nur nachhaltiger, sondern gleichzeitig auch diversifizierter und resilienter aufgestellt werden. Dieser Prozess kann nur international gedacht werden und muss gemeinsam mit der globalen Wirtschaft vorangetrieben werden, die die richtigen politischen Rahmenbedingungen hierfür benötigt. Der globale Handel darf aber nicht für einen Mangel in anderen Politikfeldern verantwortlich gemacht werden. So ist und bleibt die Durchsetzung von internationalen Abkommen ein gesamtpolitisches Anliegen, zu dem der Handel und die Wirtschaft einen Beitrag leisten können und auch wollen. 

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Dr. Holger Bingmann 

​ICC Germany-Präsident

Oliver Wieck

​ICC Germany-Generalsekretär

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