Die WTO – Kompass in stürmischen Zeiten

Herausforderungen und Lösungen für den internationalen Handel

Dr. Achim Kampf & Melanie Hoffmann 

Germany Trade & Invest

Weltweite Krisen und institutionelle Probleme erschwerten es der WTO in den vergangenen Jahren, ihrer Rolle als Motor der Handelsliberalisierung gerecht zu werden. Reformen und neue Initiativen lassen jedoch aufhorchen und geben Anlass zu Optimismus.

Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization – WTO) ist eine internationale Organisation, die sich mit den Regelungen zu den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen einzelner Nationen auseinandersetzt. Zentrales Ziel der WTO ist es, den Welthandel durch Abbau von Handelsbarrieren und Vereinfachung von Zollverfahren kontinuierlich zu liberalisieren. 

Hervorgegangen ist sie aus dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), das sowohl das entsprechende völkerrechtliche Übereinkommen als auch die zur Umsetzung dieses Abkommens geschaffene „de facto“ internationale Organisation bezeichnet. Die WTO wurde am 15. April 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde in Marrakesch gegründet und arbeitet seit Inkrafttreten am 1. Januar 1995 aktiv an internationalen Handelsthemen. Ihr gehören derzeit 164 Mitgliedstaaten an.

WTO-Reform soll strukturelle und institutionelle Probleme lösen

Die WTO steht seit einiger Zeit vor großen Herausforderungen. Dabei lassen vor allem die derzeitigen Strukturen und Regelungen das multilaterale System träge erscheinen. Das Übereinkommen der WTO wurde seit 1995 nicht überarbeitet, sodass zahlreiche Regeln seitdem eingetretene gesellschaftliche sowie globale Entwicklungen nicht berücksichtigen. 

Aktuelle und die Welt bewegende Themen wie z.B. E-Commerce, Nachhaltigkeit oder Gesundheits-, Arbeits- und Umweltstandards werden zwar teilweise verhandelt, sind bislang aber noch nicht in weitem Umfang Gegenstand des WTO-Rechts geworden.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Mitglieder ihrer Notifizierungspflicht nicht vollständig nachkommen, sodass zahlreiche handelsbeschränkende Maßnahmen nicht bekannt werden, was das Transparenzgebot der WTO untergräbt. Vor allem in Zeiten von Corona fiel auf, dass die WTO nur mäßig über die COVID-19-Politik und handelsbezogenen Maßnahmen, die als Reaktion auf die Entwicklungen im Hinblick auf das Coronavirus eingeführt wurden, informiert war. Eine transparente und vorhersehbare WTO ist im Rahmen des WTO-Überwachungsmechanismus für Unternehmen sowie für ein besseres gegenseitiges Verständnis der WTO-Mitglieder jedoch unerlässlich. 

Um die Einhaltung der WTO-Regeln zu gewährleisten, verfügt die Organisation über einen genau festgelegten Streitbeilegungsmechanismus, der mitunter auch als „das Herz des WTO-Rechts“ bezeichnet wird. Seit Ende 2019 ist das Streitschlichtungssystem der WTO nicht mehr voll funktionsfähig. Die USA blockierten nach langer Kritik an dessen Arbeitsweise die Nachbesetzung des Berufungsgremiums (der Appellate Body). Durch die Blockade kann derzeit über keine neuen Berufungen entschieden werden. Zwar sind die EU und weitere WTO-Mitglieder bereits aktiv geworden und haben eine Übergangslösung geschaffen, jedoch fordern die meisten WTO-Mitglieder weiterhin die Nachbesetzung des Berufungsgremiums, damit die teilnehmenden Mitglieder auch in Zukunft von einer verbindlichen Beilegung profitieren und eine unabhängige und unparteiische Überprüfung der Panelberichte, die Empfehlungen eines zuvor eingesetzten Panels zur Beilegung der Streitigkeit enthalten, bewirken können.

Eine WTO-Reform, um die dargelegten strukturellen und institutionellen Probleme zu lösen, ist daher angezeigt. Diesen Prozess haben die Minister:innen im Rahmen der MC12 angestoßen. Sie streben ein Arbeitsprogramm an, welches dazu beitragen soll, die Regeln des Welthandelsrechts an die Veränderungen der Gesellschaft und des Handelssystems anzupassen, die WTO-Grundprinzipien – wie z.B.das Transparenzgebot – zu stärken und eine Verbesserung aller Funktionen zu bewirken. Daran anknüpfend vereinbaren die Minister die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Streitbelegungssystems bis spätestens 2024. Alle Mitglieder sind aufgefordert, sich transparent, offen und aktiv an der Reform zu beteiligen, um am Ende die Interessen aller Mitglieder zu berücksichtigen. Der Allgemeine Rat und dazugehörige Organe werden die Fortschritte überprüfen.

Es deutet derzeit viel darauf hin, dass „Abkommen der Willigen“ künftig einen immer größeren Anteil des WTO-Rechts einnehmen werden.

Vermehrter Einsatz bi- und plurilateraler Abkommen

Im Rahmen der von der WTO-Rechtsordnung umfassten Übereinkommen ist zwischen multiltaralen und plurilateralen Übereinkommen zu unterscheiden. Während die in den Anlagen 1-3 des WTO-Übereinkommens aufgeführten und als „multilateral“ bezeichneten Übereinkommen gemäß Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen zwischen sämtlichen WTO-Mitgliedern gelten, wirken gemäß Art. II Abs. 3  die in Anlage 4 als „plurilateral“ bezeichneten Übereinkommen nur zwischen denjenigen WTO-Mitgliedern, die diese Abkommen ratifiziert haben. Wird ein Staat WTO-Mitglied, so gelten für ihn daher automatisch die multilateralen Übereinkommen der Anlagen 1-3 („single package approach“).

Davon zu unterscheiden ist der Abschluss der außerhalb der WTO abgeschlossenen bilateralen Freihandelsabkommen, die gerade in den vergangenen Jahren eine gewisse „Renaissance“ erfahren haben. Zu nennen sind hier z.B. das EU-Japanische Freihandelsabkommen (JEFTA), das Handels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) oder das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam. Jüngst unterzeichnet wurde das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland, das erstmals auch den Ansatz der EU für Handel und nachhaltige Entwicklung berücksichtigt. Weitere Abkommen, etwa mit Australien und Indien, werden intensiv verhandelt.

Der Ansatz, die weltweiten wirtschaftlichen Beziehungen durch den Abschluss multilateraler Vereinbarungen weiter zu liberalisieren, ist seit gut 20 Jahren ins Stocken geraten. Andererseits erfordern die aktuellen Herausforderungen der Weltwirtschaft Lösungen, an denen zumindest mehrere WTO-Mitglieder mitwirken und die dann zwischen diesen mehreren Mitgliedstaaten – plurilateral –wirken. Es deutet derzeit viel darauf hin, dass diese „Abkommen der Willigen“ künftig einen immer größeren Anteil des WTO-Rechts einnehmen werden.

Zu nennen sind hier etwa die plurilateralen Initiativen zur innerstaatlichen Regulierung im Dienstleistungsbereich, für Investitionserleichterungen oder bezüglich Maßnahmen zugunsten von Kleinstunternehmen und KMUs. Unabhängig davon kennt das WTO Recht plurilaterale Abkommen, etwa im Beschaffungsrecht, der zivilen Luftfahrt oder das plurilaterale Informations-Technologie-Abkommen, auf dessen Grundlage 82 Staaten zur vollständigen Zollfreiheit bestimmter, in dem Abkommen aufgeführter IT-Güter, verpflichtet sind. Davon zu unterscheiden ist das Abkommen für einen besseren grenzüberschreitenden Fluss von Datenströmen (E-Commerce), dass sich u.a. mit der zollrechtlichen Behandlung elektronischer Übertragungen befasst. Es wird derzeit noch verhandelt. Ursprünglich als multilaterales Abkommen konzipiert, haben sich mittlerweile 87 Mitgliedstaaten dazu entschlossen, Verhandlungen über globale Regeln zum elektronischen Handel aufzunehmen, um ein plurilaterales Abkommen zu schaffen, welches die Möglichkeiten durch den elektronischen Handel steigert, die Herausforderungen in Industrie- und Entwicklungsländern angeht und zudem die Zölle bei elektronischen Übertragungen abbaut. Das hierzu erstelle Arbeitsprogramm ist auf der jüngsten Ministerkonferenz verlängert worden. Das gilt auch für das Moratorium, wonach sich die WTO-Mitglieder selbstbindend dazu verpflichten, auf elektronische Übertragungen keine Zölle zu erheben. Die Herausforderungen der Nachhaltigkeit im Blick hat auch die plurilaterale Initiative zum Abschluss eines Umweltgüterabkommens. Ziel ist ein Abkommen, welches Waren, die zur Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz beitragen, von Zöllen zu befreien.

Unabhängig von der Frage, ob plurilaterale Initiativen mit dem multilateralen Grundgedanken und Ansatz der WTO vereinbar sind, deutet derzeit Vieles darauf hin, dass die derzeitigen und künftigen Herausforderungen des Welthandels immer stärker in plurilateralen Abkommen behandelt werden.


Fazit

Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die daraus folgenden Störungen der Lieferketten sowie Umbrüche in weltpolitischen Beziehungen belasten die Weltwirtschaft und führen zur Unsicherheit. Diese multilateralen Herausforderungen erfordern multilaterale, zumindest plurilaterale, Lösungen. Es ist daher besonders wichtig, internationale Organisationen zu stärken und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Das schließt zudem offene Märkte ohne Handelsbarrieren, ein transparentes und faires Miteinander sowie klare Regeln und Strukturen ein.

Eine reformierte und effiziente Welthandelsorganisation bleibt daher unerlässlich, um auch künftig einen stabilen und nachhaltigen Welthandel zu gewährleisten.

Dr. Achim Kampf

ist Volljurist mit Studien in Mainz und Genf. Er leitet den Bereich Zoll von Germany Trade and Invest (GTAI) und ist seit ca. 25 Jahren in wechselnden Funktionen der Wirtschaftsförderung beruflich aktiv.

© GTAI/Bundesfoto-Voelkner

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Melanie Hoffmann 

ist Wirtschaftsjuristin (LL.M.) mit Studien in Oldenburg, Siegen und South Dakota (USA). Sie ist als Managerin im Bereich Zoll von Germany Trade & Invest (GTAI) tätig und betreut dort die Themen WTO/GATT, zollrechtliche Aspekte der Handelsliberalisierung sowie die Länder des südlichen Afrika.

© GTAI/Rheinfoto

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