Dr. Elke Umbeck & Dr. Jonas Pust

Heuking Kühn Lüer Wojtek


Die Abhilfe(-klage) kommt

Bis zum 25. Dezember 2022 muss der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der EU-Verbandsklagerichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Jetzt liegt ein Referentenentwurf vor. Eine Analyse.





Die Reichweite der gesetzlichen Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie steht weitestgehend im Ermessen der Mitgliedstaaten. Der Referentenentwurf zeigt auf, wie das Bundesministerium der Justiz die Gestaltungsspielräume nutzen möchte. Der Entwurf befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung.

Seit Beschluss und Veröffentlichung der Verbandsklagerichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828) im Jahr 2020 steht ein zukünftiges Sammelklageregime in einzelnen Punkten fest. Die Richtlinie schreibt vor, dass in jedem Mitgliedstaat mindestens ein Verfahren zur Erhebung von Verbandsklagen gegen Unternehmen zur Verfügung stehen muss, die gegen EU-Vorschriften verstoßen. Erfasst sind neben dem allgemeinen Verbraucherrecht u.a. auch die verbrauchernahen Bereiche Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reiseverkehr/Tourismus, Umwelt/Energie, Telekommunikation, digitale Dienstleistungen und Produkthaftung. Die Durchsetzung von Verbraucheransprüchen soll durch Verbandsklageverfahren verbessert und die bisherigen Regelungen für Unterlassungsklagen bei Verstößen gegen Verbraucherrecht weiter harmonisiert werden. Die Richtlinie betont das „notwendige Gleichgewicht“ zwischen der Stärkung kollektiver Verbraucherinteressen und dem Schutz der Unternehmen vor missbräuchlichen Klagen.

Gleichzeitig überlässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weitreichenden Umsetzungsspielraum. Bis zum 25. Dezember 2022 hat der deutsche Gesetzgeber Zeit, die Verbandsklagerichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Ab dem 25. Juni 2023 müssen entsprechende EU-weite Klagemöglichkeiten für Verbraucherorganisationen bestehen.

Die Umsetzung der Richtlinie sorgte zuletzt für Debatten in Justiz, Wirtschaft und Wissenschaft. Verschiedene Interessenverbände unterbreiteten Vorschläge zur Umsetzung. Zum Teil wurde die Schaffung einer Klageindustrie wie in den USA gefürchtet. Dies wurde nicht zuletzt durch die weitgehende Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in den Niederlanden Ende Juni 2022 bestärkt. Der Referentenentwurf entschärft diese Befürchtungen für Deutschland vorerst.

Neue Klagemöglichkeit für Verbraucherverbände

Kern des vorgelegten Referentenentwurfs zum Verbandsklagerichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) ist die Möglichkeit von Verbraucherorganisationen, Unterlassungs- oder Abhilfeentscheidungen durch Verbandsklagen (einschließlich grenzüberschreitender Verbandsklagen) zu beantragen. Mit der neuen Abhilfeklage können qualifizierte Einrichtungen für Verbraucher erstmals gebündelt direkt auf Leistung klagen. Die Abhilfeklage geht deutlich über die bislang bestehende Musterfeststellungsklage hinaus. Sie ist nicht auf rechtliche Feststellungen begrenzt, sondern kann auf Leistung, u.a. Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises, gerichtet sein. Es kann zudem die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrages begehrt werden.

Der Referentenentwurf sieht ein neues „Gesetz zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten“ (Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz – VDuG) vor, welches eine neue Sammelklage (Abhilfeklage) entsprechend der Verbandsklagerichtlinie ermöglicht und auch die bisherige Musterfeststellungsklage integriert. Darüber hinaus wird u.a. auch das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) angepasst, um den Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen.

Verbraucherverbände als „klageberechtigte Stellen“

Das VDuG sieht für die Abhilfe- und Musterfeststellungsklage – zusammen als Verbandsklagen bezeichnet – einheitliche Voraussetzungen vor.

Verbandsklagen stehen nur „klageberechtigten Stellen“ offen. Hierunter fallen qualifizierte Verbraucherverbände, u.a. die als Mitglieder mind. zehn im gleichen Aufgabenbereich tätige Verbände oder 350 natürliche Personen haben, seit mindestens vier Jahren in der Liste nach dem UKlaG eingetragen und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind sowie nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Zudem sind auch eingetragene Einrichtungen aus der Europäischen Union grundsätzlich qualifiziert und klagebefugt. Ferner gelten die Verbraucherzentralen als klagebefugt.

Verbraucherquorum und Finanzierung

Es müssen gleichartige Ansprüche von mind. 50 Verbraucher betroffen sein. Kleine Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von weniger als 10 Millionen werden Verbraucher gleichgestellt. Diese Gleichstellung könnte insbesondere bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen zum Tragen kommen.

Die Finanzierung einer Verbandsklage durch Dritte – wie in der Verbandsklagerichtlinie bereits vorgesehen – ist möglich. Ausgeschlossen von der Finanzierung sind u.a. Wettbewerber des beklagten Unternehmens oder Dritte, die vom verklagten Unternehmen abhängig sind. Das Gericht kann umfassende Informationen über die Finanzierung verlangen, um etwaige Interessenkonflikte und Missbräuche aufzudecken.

Erstreckung der Klagemöglichkeit auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten

Der Anwendungsbereich des VDuG-Entwurfs geht über die Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie hinaus. Nach letzterer muss eine Abhilfeklage nur bei Verletzung bestimmter Verbraucherschutzbestimmungen des EU-Rechts zur Verfügung stehen. Der Referentenentwurf erfasst sachlich alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Relevant ist dies z.B. für kartellrechtliche und deliktische Sachverhalte, deren Einbeziehung von der Richtlinie nicht vorgegeben war. Unternehmen, insbesondere im B2C-Geschäft, sollten sich daher rechtzeitig mit den neuen Verbandsklageregeln vertraut machen, um Risiken im Einzelfall abschätzen zu können.

 Die Abhilfeklage setzt „gleichartige“ Ansprüche voraus. Diese müssen auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe vergleichbarer Sachverhalte beruhen und die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sein. Individuell abweichende Fallkonstellationen und Rechtsfragen werden somit ausgeschlossen, um einheitliche Entscheidungen zu ermöglichen. Das Kriterium der Gleichartigkeit birgt Raum für Diskussion und es bleibt abzuwarten, ob der Entwurf an dieser Stelle weiter konkretisiert werden wird.

Die Klageschrift muss die Höhe des einzelnen Verbraucheranspruchs angeben. Soweit die Anspruchshöhe unterschiedlich ist, genügt die Angabe der Methode zur Berechnung.

Verfahren der Abhilfeklage

Der Referentenentwurf sieht mit der Abhilfeklage eine spezielle Form der kollektiven Leistungsklage mit einem neu konzipierten Verfahren vor.

Für Abhilfeklagen ist ausschließlich das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk der Unternehmer, gegen den sich die Verbandsklage richtet, seine gewerbliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat.

Das Gericht übermittelt zunächst dem Bundesamt für Justiz die im Verbandsklageregister zu veröffentlichenden Angaben. Nach Veröffentlichung der Verbandsklage können Verbraucher ihre Ansprüche im Verbandsklageregister anmelden. Die Anmeldung ist bis zum Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung per Textform (z.B. per E-Mail) möglich und kann sehr niedrigschwellig durch die Verbraucher selbst, d.h. ohne Anwalt:in und kostenlos, gegenüber dem Bundesamt für Justiz erfolgen. Es wurde somit wie bei der bisherigen Musterfeststellungsklage ein sog. frühes Opt-In-Modell mit individueller Verjährungshemmung gewählt.

Das dreistufig ausgestaltete Verfahren besteht aus (1) dem Verfahren bis zu einem Abhilfegrundurteil, (2) dem Verfahren bis zu einem sich ggf. anschließenden Vergleich bzw. bis zu einem Abhilfeendurteil und (3) dem sog. Umsetzungsverfahren. Die Revision ist sowohl gegen das Abhilfegrundurteil als auch gegen das Abhilfeendurteil statthaft.

Abhilfegrundurteil, Vergleichsvorschlag und Abhilfeendurteil

Das Gericht bestimmt bei einer Klagestattgabe im Abhilfegrundurteil die konkreten Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung und die von jedem Verbraucher zu erbringenden Nachweise. Im Fall eines kollektiven Geldbetrages tenoriert das Gericht den Betrag, der den berechtigten Verbraucher zusteht bzw. die Methode, nach der die Einzelbeträge zu berechnen sind.

Nach Verkündung des Abhilfegrundurteils soll das Gericht die Parteien auffordern, einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zur Umsetzung des Abhilfegrundurteils zu unterbreiten. Wird das Verfahren nicht durch Vergleich beendet und ist das Abhilfegrundurteil rechtskräftig, wird das Verfahren fortgesetzt. Mit dem Abhilfeendurteil verurteilt das Gericht den oder die Unternehmer ggf. zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags zu Händen eines Sachwalters. Das Gericht kann den kollektiven Gesamtbetrag unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bestimmen. Ferner ordnet es das Umsetzungsverfahren an und setzt die für dieses von dem oder der Unternehmer zu Händen des Sachwalters zu zahlenden Kosten vorläufig fest.

Umsetzungsverfahren

Im Umsetzungsverfahren bestellt das Gericht einen oder eine Sachwalter, der einen Umsetzungsfonds errichtet. Am Umsetzungsverfahren nehmen alle Verbraucher teil, die ihre Ansprüche wirksam zum Verbandsklageregister angemeldet und nicht oder nicht fristgerecht zurückgenommen haben. Der unter der Aufsicht des Gerichts stehende Sachwalter prüft die Berechtigung der einzelnen Verbraucher. Er erfüllt die Zahlungsansprüche oder setzt den Unternehmer eine Frist zu Erfüllung von Ansprüchen, die nicht auf Zahlung gerichtet sind.

Ein im Abhilfeendurteil festgesetzter kollektiver Gesamtbetrag kann im Umsetzungsverfahren auf Antrag der klageberechtigten Stelle durch das Gericht nachträglich erhöht werden, sollte dies zur Befriedigung aller Anspruchssteller notwendig sein. Während des Erhöhungsverfahrens ruht das Umsetzungsverfahren. Sollte der Gesamtbetrag nach Beendigung des Umsetzungsverfahrens nicht vollständig verbraucht sein, hat der Sachwalter diesen an den oder die Unternehmer zu erstatten.

Sollte der Sachwalter die Ansprüche ablehnen, bleibt dem oder der Verbraucher neben einem Widerspruch beim Sachverwaltender die Möglichkeit der Erhebung einer Individualklage. Hat der oder die Unternehmer Einwendungen gegen einzelne Verbraucher, die im Abhilfeverfahren nicht geltend gemacht werden konnten, können diese ebenfalls im Klagewege erhoben werden und die Herausgabe der ausgezahlten Beträge nach den Grundsätzen einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangt werden.

Fazit

Das Risiko im B2C-Bereich tätiger Unternehmen, mittelbar von Verbraucher und kleinen Unternehmen in Anspruch genommen zu werden, wird durch das VRUG steigen. Der Referentenentwurf trifft dabei tendenziell ausgeglichene Regelungen, um den wechselseitigen Interessen angemessen gerecht zu werden und geht nun in die Ressortabstimmung. Insbesondere die Frage des frühen Opt-in und die daran geknüpfte Verjährungshemmung sowie die Klagbefugnis des Umsetzungsverfahrens dürfte noch Kern der rechtspolitischen Diskussion werden. Es bleibt insoweit abzuwarten, ob der Gesetzentwurf im politischen und parlamentarischen Verfahren wesentliche Änderungen erfährt.

*Die Begriffe "Verbraucher", "Unternehmer" und "Sachwalter" beziehen sich hier auf die Legaldefinitionen im Gesetzesgesetz und wurden daher nicht gegendert.  

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Dr. Elke Umbeck

ist Partnerin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet dort die Praxisgruppe Prozessführung/Schiedsverfahren. Mit über 20-jähriger Berufserfahrung berät und vertritt sie Unternehmen aus verschiedenen Branchen in Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren und ist regelmäßig als Schiedsrichterin in nationalen und internationalen Schiedsverfahren tätig.

Dr. Jonas Pust

ist Salaried Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Als Inhaber eines Certificate of Advanced Studies (CAS) in Arbitration der Universitäten Luzern und Neuchâtel vertritt er Mandanten sowohl in nationalen als auch in internationalen Verfahren, einschließlich institutioneller und Ad-hoc-Schiedsverfahren.

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