Blockchain-Technologie und Smart Contracts

Welche Rolle kann die Schiedsgerichtsbarkeit spielen?

Jan Heiner Nedden und Dr. Dirk Wiegandt 

HANEFELD 

Blockchain-Technologie und sog. Smart Contracts versprechen in vielen Bereichen Effizienzgewinne. Streitigkeiten bleiben allerdings auch hier unvermeidbar. Die Schiedsgerichtsbarkeit kann bei der Beilegung derartiger Streitigkeiten eine wichtige Rolle einnehmen.

Die Blockchain-Technologie gilt als eine der disruptivsten Technologien unserer Zeit. Zugleich ermöglichen sog. Smart Contracts, die auf einer Blockchain gespeichert werden können, den automatischen Vollzug von Verträgen. Damit verbunden ist teilweise auch die Hoffnung, dass mit der Zunahme von Blockchains und Smart Contracts Streitigkeiten reduziert oder gar ganz vermieden werden könnten. Diese Hoffnung mag von einer zu großen Portion Optimismus geprägt sein. Denn im Zusammenhang mit Blockchains and Smart Contracts eröffnen sich auch neue Konfliktbereiche. Neben Blockchain-basierten Streitbelegungsmechanismen kann die Schiedsgerichtsbarkeit hier eine wichtige Rolle bei der Lösung von Streitigkeiten spielen.[1]

Blockchain-Technologie

Blockchains sind im Kern dezentrale Register. Sie sind eine konkrete Ausprägung sog. Distributed-Ledger-Technologien. Darunter werden Datenbanksysteme verstanden, in denen Daten nicht durch übergeordnete Verwalter zentral, sondern dezentral in Peer-to-Peer Netzwerken gespeichert werden. Blockchains bilden dementsprechend ein verteiltes Register, in dem Daten, Ereignisse oder Transaktionen für alle Teilnehmer:innen chronologisch nachvollziehbar in Blöcken gespeichert („Block“) und unveränderbar miteinander verkettet werden („Chain“).[2]

Mithilfe von Verschlüsselungstechnologien in Verbindung mit Konsensmechanismen gewährleisten Blockchains eine hohe Datenintegrität und Systemsicherheit, ohne auf klassische Intermediäre angewiesen zu sein.

Schon diese allgemeine Beschreibung lässt erahnen, dass die potentiellen Anwendungsbereiche von Blockchains vielfältig sind. Sie reichen weit über den Bereich der Kryptowährungen (Bitcoin, Ether) hinaus. So wird der Blockchain-Technologie etwa das Potenzial nachgesagt, den internationalen Handel zu revolutionieren, indem Prozesse, an denen verschiedene Akteure beteiligt sind, effizienter gestaltet werden.[3]

Smart Contracts

Eine wichtige konzeptionelle Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie sind sog. Smart Contracts, die den Selbstvollzug von Verträgen ermöglichen. Dies geschieht mittels Computerprotokollen, die auf einer Blockchain gespeichert und automatisch ausgeführt werden, sobald bestimmte vordefinierte Bedingungen erfüllt sind. Eine solche Wenn-Dann-Beziehung kann etwa lauten: „Wenn ein Flight-Tracker die Verspätung eines Fluges von mehr als drei Stunden registriert, wird eine Entschädigungszahlung in Höhe von X veranlasst.[4] Wie dieses Beispiel zeigt, kann der automatische Vollzug von Ereignissen abhängen, die in der „realen“ Welt außerhalb der Blockchain stattfinden (wie etwa die Verspätung eines Fluges). In einem solchen Fall bedarf es externer Datenquellen (sog. Oracles), die den Smart Contract mit den relevanten Informationen versorgen (wie im Beispiel der Flight-Tracker).

Der Einsatz von Smart Contracts verspricht in vielen Bereichen große Effizienzgewinne. Gleichzeitig stoßen sie bei komplexeren Geschäften an Grenzen – etwa, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe ausgelegt oder auf bei Vertragsschluss unvorhergesehene Ereignisse reagiert werden soll.

Streitbeilegung

Vollständig spezifizierte, sich in Gänze selbst vollziehende Verträge sind in der Realität kaum anzutreffen. Ebenso wenig erscheint das Versprechen einlösbar, mithilfe von Blockchain-Technologie und Smart Contracts Streitigkeiten ganz zu vermeiden. Tatsächlich sind die Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit Blockchains und Smart Contracts entstehen können, vielfältig. So können etwa Softwarefehler Anlass für Streitigkeiten geben oder aber die Verwendung von Oracles, z.B. wenn streitig ist, ob dem Smart Contract durch die externe Datenquelle korrekte Informationen übermittelt wurden. Streitigkeiten können auch aufgrund von Friktionen zwischen dem Smart Contract als Computercode und einem Vertrag im Rechtssinne entstehen – etwa, wenn ein Smart Contract das von den Parteien (implizit) Gewollte nicht richtig oder vollständig abbildet.

Für die Frage nach der am besten geeigneten Form der Streitbeilegung hilft es, zunächst grob zwischen on-chain und off-chain Streitigkeiten zu unterscheiden.


On-chain Streitigkeiten

Mit on-chain Streitigkeiten sind Streitigkeiten gemeint, die sich unmittelbar aus on-chain durchgeführten Transaktionen ergeben. Gerade für Nutzer:innen öffentlicher Blockchains (wie Bitcoin oder Ethereum) erscheint es in der Regel wenig attraktiv, bei Streitigkeiten auf staatliche Gerichte zurückzugreifen. Schließlich würde die Unterwerfung unter eine zentrale Gerichtsbarkeit der für öffentliche Blockchains charakteristischen Dezentralität und Anonymität/Pseudonymität zuwiderlaufen. Hinzu kommt, dass es den Nutzer:innen von Blockchains und Smart Contracts darum geht, Transaktionen effizienter zu gestalten. Auf Streitbeilegungsinfrastruktur off-chain zurückzugreifen, dürfte bedeuten, die gewonnene Effizienz teilweise wieder einzubüßen.

Vor diesem Hintergrund wurden verschiedene Blockchain-basierte Streitbeilegungsmechanismen entwickelt. Als Beispiel sei Kleros genannt.[5] Kleros ist ein auf der Blockhain Ethereum basierendes Protokoll für die Beilegung von Streitigkeiten aus Smart Contracts. Mittels Crowdsourcing und spieltheoretischer Methoden werden wirtschaftliche Anreize genutzt, um „Juror:innen“ Fälle analysieren und entscheiden zu lassen. So werden „Juror:innen“ angeregt, mit der Mehrheit zu stimmen. Da die „Juror:innen“ nicht wissen, wie die Mehrheit abstimmen wird, ist die Grundidee, dass jede:r unabhängig voneinander versucht, so abzustimmen, wie es seiner oder ihrer Meinung nach die Mehrheit der „Juror:iinen“ tun wird. So soll jede:r „Juror:in“ angeregt werden, Fälle „gerecht" zu entscheiden. Wer mit der Mehrheit entscheidet, wird wirtschaftlich entlohnt.

Naturgemäß zielen derartige Modelle vor allem auf kleinere Transaktionen ab, die auf öffentlichen Blockchains abgewickelt und binär entschieden werden können. Gerade bei komplexeren Transkationen, die auf privaten oder konsortialen Blockchains durchgeführt werden, dürften die Parteien indes ein rechtsförmliches Verfahren bevorzugen, das der Einhaltung grundlegender Verfahrensgarantien dient und zu einer (international) vollstreckbaren Entscheidung führt. Dabei sollte das Verfahren flexibel genug und hinreichend effizient sein, um spezifischen Bedürfnissen und Erwartungen der Nutzer:innen von Blockchains und Smart Contracts gerecht zu werden. Hier bietet sich die Schiedsgerichtsbarkeit an. So können die Parteien nicht nur Schiedsrichter:innen beauftragen, die das erforderliche technische Verständnis mitbringen. Das Verfahren kann auch flexibel auf die konkreten Bedürfnisse des Rechtsstreits angepasst werden. Es ließe sich über ein entsprechendes Interface auch in die spezifische Blockchain und Smart Contract-Umgebung einbetten.[6]

Off-chain Streitigkeiten

Streitigkeiten, die sich zwar nicht unmittelbar aus on-chain Transaktionen ergeben, aber gleichwohl mit der Blockchain-Technologie zu tun haben, sind vielfältig. Um nur zwei Beispiele zu nennen: M&A-Transaktionen, die Unternehmen aus dem Bereich der Blockchain-Technologie betreffen, können Anlass für Streitigkeiten geben. Solche Streitigkeiten werden sich nicht grundlegend von anderen Post-M&A-Streitigkeiten unterscheiden, die herkömmlich vielfach durch Schiedsgerichte entschieden werden. Daneben haben in jüngerer Zeit vor allem Schiedsverfahren gegen Handelsplattformen für Kryptowährungen Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Solche Kryptobörsen enthalten oft Schiedsklauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es wird z.B. berichtet, dass ein Investor, dessen Krypto-Werte angeblich zu Unrecht von der Handelsplattform Binance liquidiert worden sind, in einem ICC-Schiedsverfahren eine Entschädigung in Höhe von rund USD 140 Millionen fordern soll.[7] Selbst wenn sich auch diese Streitigkeiten nicht allzu grundlegend von anderen commercial disputes unterscheiden, die herkömmlich durch Schiedsgerichte beigelegt werden, können durchaus Besonderheiten bestehen: Bei einigen Akteuren im Bereich des Krypto-Handels kann es infolge häufigen Sitzwechsels bzw. gesellschaftlicher Umstrukturierungen bereits praktisch schwierig sein, den richtigen Klagegegner zu ermitteln. Je nach Jurisdiktion und anwendbarem Recht können auch Fragen nach der Rechtmäßigkeit des Handels mit Kryptowährungen und in der Folge auch der Schiedsfähigkeit auftreten. Schließlich können sich schwierige Fragen in Bezug auf die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen gegen Kryptobörsen stellen.[8]

Streitigkeiten im Zusammenhang mit Blockchains und Smart Contracts sind unvermeidbar. 

Fazit

Streitigkeiten im Zusammenhang mit Blockchains und Smart Contracts sind unvermeidbar. Für Streitigkeiten aus weniger komplexen on-chain Transaktionen, die auf öffentlichen Blockchains abgewickelt und binär entschieden werden können, wurden Blockchain-basierte Streitbeilegungsmechanismen entwickelt. Gerade für komplexere Transkationen, die auf privaten oder konsortialen Blockchains abgewickelt werden, sowie für off-chain Streitigkeiten dürften demgegenüber vor allem Schiedsverfahren mit ihrer Flexibilität sowie aufgrund der Vollstreckbarkeit der Entscheidung eine geeignete Form der Streitbeilegung darstellen.

Jan Heiner Nedden, M.M.

ist Managing Partner in der Dispute Resolution Boutique HANEFELD, die Büros in Hamburg und Paris unterhält. Er ist insbesondere als Parteivertreter in Schiedsverfahren sowie als Schiedsrichter tätig und Mitherausgeber des im Otto Schmidt Verlag erscheinenden Praxiskommentars zur ICC und DIS SchO.


Dr. Dirk Wiegandt, LL.M. (Cambridge)

ist Senior Associate im Hamburger Büro von HANEFELD. Er ist vorrangig als Parteivertreter in Schieds- und Gerichtsverfahren tätig. Darüber hinaus fungiert er als Schiedsrichter und, in großvolumigen und komplexen Verfahren, als Sekretär des Schiedsgerichts. Zudem ist er Vice-President von AIJA‘s (International Association of Young Lawyers) International Arbitration Commission und Lehrbeauftragter für internationales Kaufrecht an der European Business School (EBS).

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[1] Eingehend dazu auch jüngst Wiegandt, Blockchain and Smart Contracts and the Role of Arbitration, 39 J. Int’l Arb. 671 (2022): https://kluwerlawonline.com/journalarticle/Journal+of+International+Arbitration/39.2/JOIA2022029

[2] Eine Einführung in die Grundlagen der Blockchain-Technologie findet sich z.B. auf den Seiten der Bundesnetzagentur (BNetzA): https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/Digitalisierung/Technologien/Blockchain/start.html

[3] Ganne, Can Blockchain Revolutionize International Trade?, WTO Publication 2018: https://www.wto.org/english/res_e/publications_e/blockchainrev18_e.htm

[4] Zur automatisierten Entschädigung bei Flug- bzw. Zugverspätungen Fries, Schadensersatz ex machina, NJW 2019, 901.

[5] https://kleros.io/.

[6] Kreis/Kaulartz, Smart Contracts and Dispute Resolution – A Chance to Raise Efficiency?, ASA Bulletin 2019, 336 (345 ff.).

[7] Fisher, Crypto Investor Brings ICC Claim Against Binance, Global Arbitration Review (29. Oktober 2021): https://globalarbitrationreview.com/crypto-investor-brings-icc-claim-against-binance

[8] McCarthy/Nappert, The Impending Binance Arbitration: A Primer on the World of Cryptocurrencies, Derivatives Trading and Decentralised Finance on the Blockchain, Kluwer Arbitration Blog (13. Oktober 2021): http://arbitrationblog.kluwerarbitration.com/2021/10/13/the-impending-binance-arbitration-a-primer-on-the-world-of-cryptocurrencies-derivatives-trading-and-decentralised-finance-on-the-blockchain/.

Effizienz in der Bau-Schiedsgerichtsbarkeit
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