Interview
Fünf Fragen an:
Georg Graf Waldersee
Georg Graf Waldersee ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender von UNICEF Deutschland.
Er war über viele Jahre Mitglied in den internationalen Führungsgremien von Arthur Andersen und EY (früher Ernst & Young) und ist heute Chairman des Boards der deutschen Organisation von EY und Aufsichtsrat verschiedener anderer Unternehmen.
ICC GERMANY: Was sind nach wie vor die größten Hindernisse bei der Umsetzung der Prinzipien?
GRAF WALDERSEE: Der Gedanke der sozialen Verantwortung im Unternehmenskontext ist den allermeisten Unternehmen präsent. Die Kinderrechte erscheinen vielen jedoch abstrakt und die konkreten Auswirkungen ihres Handelns auf die Lebensrealität von Kindern unklar. Sie stellen sich die Frage, in welchen Phasen der Wertschöpfung ihr Unternehmen den Schutz, die Förderung und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise stützen und entwickeln kann.
Wir sprechen mit vielen Unternehmen, um ihnen die kinderrechtlichen Dimensionen ihres Tuns – auch in Deutschland – vor Augen zu führen oder im Rahmen von Partnerschaften Programme für Kinder zu fördern. Wenn wir als globale Gemeinschaft die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bis 2030 erreichen möchten, gilt es, die Situation der Kinder und ihre Rechte zu einem wichtigen Kompass unseres Handelns zu machen.
Unternehmen stehen dabei auch zunehmend unter Beobachtung. Investor:innen, Mitarbeiter:innen oder Verbraucher:innen fordern nachhaltigeres Handeln. Immer mehr internationale Richtlinien und nationale Gesetze – wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – zielen darauf ab, einen verbindlichen Standard für faires und sozial verantwortliches Handeln von Unternehmen zu setzen.
"Die großen Herausforderungen unserer Tage betreffen Kinder besonders: besonders schwer und besonders lange."
ICC GERMANY: Es wird viel über „business purpose“ gesprochen, Nachhaltigkeit und die SDGs sind seit Jahren in aller Munde. Wie bewerten Sie Nachhaltigkeit aus Sicht von UNICEF und der Kinder weltweit?
GRAF WALDERSEE: Unter dem breiten Anspruch nachhaltigen Handelns suchen wir im Grunde alle Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit, verbunden mit dem Anspruch, dass unser Planet auch für zukünftige Generationen lebenswert bleibt. Es geht hier etwa um Aspekte wie extreme Armut, nicht enden wollende Konflikte und die damit einhergehenden Fluchtbewegungen, um Themen wie Ausbeutung von Kindern durch Kinderarbeit, aber auch um die weltweiten Auswirkungen des Klimawandels. Es geht darum, natürliche Lebensgrundlagen zu erhalten, nachhaltiges Wirtschaften zu stärken, sozialen Zusammenhalt zu ermöglichen.
Die großen Herausforderungen unserer Tage betreffen Kinder besonders: besonders schwer und besonders lange. Wenn wir die Herausforderungen im Sinne der SDGs angehen wollen, müssen wir in noch stärkerem Maße als bisher schon die Perspektive der Kinder und Jugendlichen einnehmen, ihnen zuhören, ihre Lebenswelt sehen und sie verstehen. Junge Menschen können eine sehr starke Kraft für Veränderungen sein, die uns allen helfen. Ein Potential, das nur durch ihre Beteiligung vollumfänglich ausgeschöpft werden kann.
ICC GERMANY: Insbesondere das Klima ist als CSR-Thema sehr präsent. Dazu hat auch UNICEF auf unserem diesjährigen ICC PreCOP Forum in Düsseldorf gesprochen. Wie bewerten Sie die Lage aus Sicht der Kinder?
GRAF WALDERSEE: Vor wenigen Tagen hat UNICEF einen Bericht veröffentlicht, der zeigt, dass bereits heute mehr als 620 Millionen Kinder weltweit unter Hitzewellen oder extrem hohen Temperaturen leiden. Die jüngsten Überschwemmungen in Pakistan, die verheerende Folgen für Familien hatten und Millionen von Kindern getroffen haben, sind uns allen vor Augen. Klimaextreme wie diese häufen sich, wir haben es auch in Deutschland schon erfahren. Kinder sind sehr oft besonders hart betroffen.
UNICEF ist praktisch täglich im Einsatz, um auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Kinder und ihre Familien zu reagieren. Der Klimawandel berührt all unsere Arbeitsbereiche, von Gesundheit über Kinderschutz bis hin zur Bildung. Im vergangenen Jahr hat UNICEF den ersten Klima-Risiko-Index für Kinder veröffentlicht. Danach sind weltweit rund eine Milliarde Kinder durch die Auswirkungen des Klimawandels extrem stark gefährdet, etwa in der Zentralafrikanischen Republik, Nigeria, am Horn von Afrika, genauso wie in zahlreichen asiatischen Ländern. Kinder sind den Umweltgefahren häufig schutzlos ausgeliefert, und sie treffen vor allem jene besonders hart, die kaum Zugang zu grundlegenden Diensten wie Wasser- und Sanitärversorgung oder Bildung haben.
Auf die Auswirkungen des Klimawandels muss schnell, umfassend und in allen Lebensbereichen von Kindern reagiert werden. Die UN-Klimakonferenz jetzt im November ist ein wichtiger Moment dafür, dass Staats- und Regierungschefs aber auch andere Akteure gemeinsames Handeln voranbringen. Es muss darum gehen, Kinder durch wirkungsvolle Anpassungsmaßnahmen zu schützen. Wir müssen sie durch Klimabildung und Beteiligung präventiv stärken. Zudem müssen Investitionen in Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse im Rahmen von Klimamaßnahmen priorisiert werden.
Unternehmen kommt eine wichtige Rolle dabei zu, nachhaltige Antworten auf den Klimawandel für und mit Kindern zu finden. Deswegen freuen wir uns, dass auf dem diesjährigen ICC PreCOP-Forum Ende September mit Unternehmen zentrale Aspekte diskutiert wurden, wie etwa das Voranschreiten beim Klimathema trotz vielschichtiger aktueller Krisen und die Stärkung von Klimaanpassungsmaßnahmen.
ICC GERMANY: Vor einigen Monaten hat UNICEF an unserer Podiumsdiskussion zum Thema Ukraine teilgenommen. Ihr Kollege Daniel Timme aus dem Nothilfe-Team hat uns sehr eindrücklich über die dortige Situation berichtet. Wie hat sich die Situation vor Ort aus Sicht von UNICEF inzwischen verändert?
GRAF WALDERSEE: Der grauenhafte Krieg mitten in Europa beschäftigt uns alle täglich. Seit dem Ausbruch im Februar erleben unzählige Familien einen Albtraum. UNICEF ist bereits seit einigen Jahren vor Ort in der Ukraine tätig. So konnten wir im vergangenen Februar auf einem entsprechenden Netzwerk aufbauen und gebotene Hilfe schnell leisten. Hilfsgüter, medizinisches Equipment, Wasser, Bildungsangebote, psychosoziale Unterstützung für geflüchtete Familien – die UNICEF-Teams vor Ort haben in den vergangenen Monaten viel geleistet, die Anforderungen steigen täglich. Die Organisation der logistischen Prozesse im Hintergrund bleibt eine besondere Herausforderung.
Seit Beginn des Krieges hat uns eine Welle der Solidarität aus der deutschen Bevölkerung und auch sehr großzügige Unterstützung aus der Wirtschaft erreicht. Auf lokaler Ebene ist viel bewegt worden, mit privaten Initiativen und gemeinsam mit unterschiedlichen Hilfsorganisationen. Dies macht uns zuversichtlich, dass wir es schaffen, den ukrainischen Familien mit langfristigen und nachhaltigen Lösungen zur Seite zu stehen. In den nächsten Wochen wird es darum gehen, die Bevölkerung so gut es geht vor den harschen Auswirkungen des Winters und der Kälte zu schützen.
Der Konflikt in der Ukraine hat massive Auswirkungen in vielen anderen Ländern. Dies ist auch im Rahmen Ihrer Podiumsdiskussion im Mai bereits zur Sprache gekommen. So hat der Krieg, wie wir wissen, Lebensmittelpreise weltweit unermesslich steigen lassen und die Hungerkrise in weiten Teilen noch verschärft.
ICC GERMANY: Herzlichen Dank!
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